Ich bin von einer Journalistin angeschrieben worden. Sie recherchiert für einen Beitrag die “mitunter prekären Arbeitsverhältnisse” der Wissenschaftler. Hier ihre Anfrage im Wortlaut und meine doch recht düster ausgefallene Antwort. Ist es tatsächlich so schlimm wie es klingt oder ist das nur Jammern auf hohem Niveau? Ich wäre für relativierende oder bestätigende Kommentare unten dankbar und würde mich über Anekdoten aus dem eigenen Wissenschaftsalltag freuen.
Hallo lieber Autor des Blogs WeiterGen,
vielleicht eine etwas ungewöhnliche Art der Anfrage, aber besser als sie gar nicht zu kontaktieren. Wir recherchieren gerade zum Thema Wissenschaftliche Mitarbeiter und ihre mitunter prekären Arbeitsverhältnisse. Da Sie diese Themen auf Ihrem Blog auch streifen, würde ich mich freuen von Ihnen zu hören, denn aus meiner Sicht, herrscht eine erstaunliches Stillschweigen über dieses Thema. Niemand will so recht über die Abgründe dieses Systems mit uns sprechen -also zumindest niemand der “betroffen” ist. Vielleicht können Sie mir weiterhelfen und noch Hinweise geben.
Hallo liebe Journalistin,
Sie schreiben, Sie interessieren sich für wissenschaftliche Mitarbeiter. Ich weiß nicht genau, wen Sie damit meinen. Es gibt technische Angestellte, Doktoranden, Post-docs, Nachwuchsgruppenleiter, Privatdozenten und Professoren. Die Arbeitsverhältnisse sind aber eigentlich auf allen Ebenen prekär.
Außer den Professoren und einigen technischen Angestellten hat fast niemand einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Ein Jobwechsel, zum Beispiel nach der Doktorarbeit oder dem Postdoc, ist fast immer mit einem Wohnortwechsel verbunden und nach neuen Stellen in der Wissenschaft wird selbstverständlich deutschlandweit, wenn nicht europa- oder weltweit gesucht. Die geforderte Flexibilität und die fehlenden langfristigen Perspektiven erschweren das Zwischenmenschliche. Viele meiner Kollegen sind entweder ohne festen Partner oder führen Fernbeziehungen. Fast alle sind kinderlos.
Bezahlt wird an Unis und an öffentlich finanzierten Instituten in Deutschland nach Bundesangestelltentarif (BAT), wobei Doktoranden gewöhnlich eine halbe Stelle besetzen und somit je nach Standort etwas mehr als 1000 Euro pro Monat Netto verdienen. Postdocs haben mit Glück ein Stipendium für zwei Jahre, sonst werden sie nach BAT2a bezahlt. Das Gehalt der Juniorprofessoren spottet dem eingebrachten Arbeitsaufwand, der Verantwortung, dem Risiko, der Zusatzbelastung durch Lehre und Praktikabetreuung und dem Grad der Ausbildung, also jeder Beschreibung. Die durchschnittliche Arbeitszeit, beim Doktoranden angefangen, beträgt konservativ geschätzt zwischen 45 und 50 Stunden pro Woche, inklusive Wochenenden. Überstunden werden weder notiert noch vergütet.
Die Arbeit in einem Labor ist langwierig und von Frustrationen geprägt. Experimente funktionieren nicht oder sind nicht reproduzierbar. Zum Teil fehlt Geld für notwendiges technisches Gerät und Verbrauchsmaterialien. Manuskripte für wissenschaftliche Publikationen werden in der Begutachtungsphase abgelehnt und müssen mit viel Aufwand erweitert und umgeschrieben werden, um zur Publikation akzeptiert zu werden – immer mit dem Risiko das jemand anderes schneller ist. Oft beeinflussen die Publikationen direkt den weiteren wissenschaftlichen Werdegang. Weiter müssen Anträge für Forschungsgelder geschrieben werden, die häufig ebenfalls abgelehnt werden.
Professoren sind meistens hervorragende Wissenschaftler. Wie Personal geführt wird, Konflikte gelöst werden oder ein Labor gemanagt wird ist nicht Teil der Ausbildung und das führt regelmäßig zu Problemen und Reibungsverlusten im Tagesgeschäft. Es gibt vereinzelt Bestrebungen hier zu helfen. Beispielsweise bietet hfp consulting Leadership-Kurse für Wissenschaftler an. Möglicherweise steht Ihnen einer der Coaches dort als Interviewpartner zur Verfügung.
Während es an Stellen für Doktoranden und Postdocs zumindest in meinem Forschungsbereich nicht mangelt, läuft die hierarchische Pyramide danach sehr spitz zu und viele verlassen die wissenschaftliche Laufbahn an dieser Stelle, um in angrenzenden Sektoren in der Wirtschaft unter zukommen. Für Biologen wie mich wäre das also beispielsweise die Pharma- und Biotechbranche. Vielleicht finden Sie dort ehemalige “Betroffene”, die Ihnen mit einiger Distanz Auskunft geben können.
Die Frage warum wir das alle mitmachen ist sicher nur individuell zu beantworten. Ich mache das, weil ich in der Wissenschaft die Möglichkeit sehe, meine eigenen Ideen umzusetzen und dafür nehme ich Frustrationen in Kauf. Bei vielen, mich eingeschlossen, fiel die Entscheidung in den Naturwissenschaften zu promovieren während des Studiums auch aus Mangel an adäquaten Berufsalternativen. Das im Lauf des Studiums Erlernte und die Fähigkeit wissenschaftlich zu denken und zu arbeiten qualifiziert offenbar nicht ausreichend für den Arbeitsmarkt außerhalb der akademischen Welt. Eine Promotion ist häufig die naheliegendste Lösung um nach abgeschlossenem Studium nicht direkt arbeitslos zu werden.
Ein weiterer Aspekt, der nicht unerwähnt bleiben soll: Während sich in der Biologie Studentinnen und Studenten, Doktorandinnen und Doktoranden noch weitgehend die Waage halten, gibt es auf der Ebene der Nachwuchsgruppenleiter und Professoren deutlich mehr Männer als Frauen. Hier ein aktueller Artikel, in dem die Gründe untersucht werden.
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