Es sind hauptsächlich drei offene Fragen, die im Zusammenhang mit EHEC und HUS gestellt werden: Wie ist das pathogene Bakterium entstanden, warum kommt es häufig zu eine schweren Infektionsverlauf, und wo ist der Infektionsherd für die aktuelle Epidemie?
Der zirkulierende E. coli Stamm vereint offenbar Eigenschaften zweier bekannter pathogener Stämme. Möglich ist die Entstehung neuer E. coli Stämme beispielsweise durch lateralen Gentransfer in Form von Konjugation, ein gut verstandener Mechanismus zum Austausch von genetischem Material zwischen Bakterien. Auch Bakterienviren, sogenannte Phagen, können eine Rolle bei der Übertragung genetischer Eigenschaften zwischen Bakterien eine Rolle spielen und so zur Entstehung eines veränderten, pathogenen E. coli Stamms beitragen. Wieso EHEC pathogen ist, wurde hier schon im letzen Artikel zum Thema besprochen.
Kieler Sprotten
Die derzeit wohl am intensivsten diskutierte Frage ist die nach dem Infektionsherd. Erst sind es die Gurken aus Spanien, dann die Sprossen vom Gärternhof aus Bienenbüttel, auf denen der Erreger aber immer noch nicht nachgewiesen wurde, dann sind es wieder Gurken aus dem Biomüll.
Nicht dass wir hier das Problem lösen könnten. Wir haben weder Zugriff auf die ausgefüllten und sehr ausführlichen Fragebögen, die HUS Erkrankten und EHEC Patienten ausgeteilt werden, noch können wir Fallkontrollstudien durchführen oder Proben aus Biomülltonnen, Restaurantküchen, Gemüseständen, Salatverladestationen oder Biohöfen nehmen und auswerten. Aber wir können hier die bekannten Fakten sammeln und werten – vielleicht entsteht dadurch hier ein alternatives Szenario für den Ursprung und den Übertragungsweg des Erregers:
- Bislang sind über 2500 Menschen mit HUS oder EHEC Infektion gemeldet. 75% der ans RKI übermittelten Fälle sind aus den norddeutschen Bundesländern.
- Untypischerweise infizieren sich hauptsächlich erwachsene Frauen. Bei vergangenen EHEC Fällen (rund 1000 pro Jahr in Deutschland) sind meist Kinder und Jugendliche betroffen. Eine Basalrate von rund 1000 Fällen pro Jahr bedeutet auch, dass im Durchschnitt drei gemeldete Erkrankungen pro Tag nichts mit der aktuellen Epidemie zu tun haben müssen.
- Die Infektionen treten seit dem 01. Mai auf. Am 22. Mai wurden bislang am meisten Neuinfektionen gemeldet (122). Die Zahl der Neuinfektionen ist zurück gegangen, es gibt aber immer noch aktuelle Fälle.
- Die typische Quelle für pathogene E. coli Keime sind Nutztierfäkalien. Vor allem Widerkäuer gelten als Reservoir (Rinder, Schafe, Ziegen). Die Übertragung auf den Menschen erfolgt entweder über den Kontakt mit Tierkot, über kontaminierte Lebensmittel oder Wasser oder über direkten Kontakt von Mensch zu Mensch.
- Gemüse, das roh verzehrt wird, also Salat, Gurken, Karotten, Radieschen, Tomaten, Sprossen, ist idealer Überträger für die Bakterien, da es vor Verzehr nicht gekocht wird, was die Bakterien abtötet.
- Gängige Wachstums- und Düngeroutinen erklären nicht direkt die Kontamination des Gemüses. Sprossen werden nicht auf Tiermist gezogen, Gurken werden nicht mit Gülle gedüngt, nachdem die Pflanzen gesät sind. Trotzdem ist nicht auszuschließen, dass beispielsweise verunreinigtes Gies- oder Waschwasser die Pflanzen kontaminiert. Gleichzeitig entsprechen die Wachstumsbedinungen für Sprossen (feucht und warm) einem idealen Millieu für die Vermehrung von E. coli.
Killersprossen (nicht zu verwechseln)
Ich tippe auf den Transportweg. Ich denke, eine Spedition hat einen verseuchten Lastwagen mit dem in der Vergangenheit kontaminierte Tierprodukte transportiert wurden zum Gemüsetransport eingesetzt. Ich habe natürlich keine Möglichkeit, diesen Verdacht zu prüfen oder auszuräumen, da ich weder die Transportvorschriften für Lebensmittel noch die gängige Praxis im Speditionsgewerbe genau kenne.
Für diese Hypothese spricht die regionale Häufung der EHEC Fälle, die Tatsache, dass die Keime schon über eine längere Zeit übertragen werden, der Infektionsherd also noch nicht abgeschaltet ist, und die Verteilung auf unterschiedliches Gemüse, das eben roh gegessen wird. Man kann spekulieren, dass eine verschmutzte Plane beim Transport mit dem Gemüse in Kontakt kommt. Wer hat eine bessere Idee?
Kieler Sprotten Bild von benchilada (lizenz). Killersprossen Bild von Wikipedia.
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