Gastartikel von Sabine Diedrich und Reinhard Burger

Im Großraum Kairo sind bei Routineuntersuchungen des Abwassers in Proben aus zwei verschiedenen Orten eingeschleppte Poliowildviren aus Pakistan nachgewiesen worden. Aus diesem Grund reagierten die ägyptische Regierung und die Global Polio Eradication Initiative (angeführt von der WHO, UNICEF, Rotary International und der amerikanische Gesundheitsbehörde) unmittelbar aus Vorsorge. Untersuchungen nach eventuellen Poliofällen starteten sofort, jedoch bis jetzt gibt es noch keinen Beweis, dass sich die eingeschleppten Viren verbreitet haben.

Bisher wurden zwar keine Fälle von Kinderlähmung in Ägypten gemeldet. Da jedoch nur etwa eines von 100 infizierten Kindern symptomatisch erkrankt, ist es schwer abzuschätzen, wie viele Personen betroffen sind.

Ägypten ist seit 2004 poliofrei. Die Weltgesundheitsorganisation plant nun eine Impfkampagne, bei der alle Kinder unter 5 Jahren in Ägypten geimpft werden sollen. Diese könnte sich jedoch unter den derzeitigen politischen Unruhen als sehr schwierig erweisen.

Pakistan ist neben Afghanistan und Nigeria eines der letzten drei Länder, in denen Poliowildviren endemisch zirkulieren. Nachdem dort Ende 2012 mehrere Impfhelfer ermordet wurden, mussten die Impfkampagnen teilweise gestoppt werden. Jedoch wurden die Impfkampagnen unter erhöhter Sicherheit in 29 Distrikten wieder aufgenommen mit dem Ziel, 13 Millionen Kinder zu erreichen. Die Zivilgesellschaft, religiöse Führer, Politiker und die Regierung bemühen sich sehr, die Impfkampagnen zu unterstützen.

Der Nachweis von Poliowildviren in bereits poliofreien Ländern verdeutlicht einmal mehr die hohe Gefahr der Wiedereinschleppung dieser Viren. Die im Robert Koch-Institut ermittelten Daten zeigen eine sehr gute Immunität der deutschen Bevölkerung gegen die drei Polioviren, so dass ein Polioausbruch bei uns eher als unwahrscheinlich anzusehen ist.

Jedoch zeigten die teilweise dramatischen Verläufe vergangener Ausbrüche nach Wiedereinschleppung, z. B. in der Republik Kongo oder Tadjikistan, das hohe Risiko für nicht geimpfte Bevölkerungsgruppen, an Polio zu erkranken. Diese Ausbrüche und die Polio-Nachrichten aus Ägypten belegen mit Nachdruck die Bedeutung der Ausrottung von Polio in den verbleibenden Endemie-Ländern durch systematische Anstrengungen. Es ist absolut notwendig, Polio weltweit auszulöschen, um ein erneutes Einschleppen in andere Länder zu verhindern.

Erfreulicherweise finden diese Maßnahmen auch politische Unterstützung. Bundesminister Niebel forderte auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos kürzlich:“ Das Beispiel Polio zeigt, wie erfolgreich der Kampf gegen Krankheiten sein kann, wenn er weltweit aufgenommen wird: Polio ist beinahe ausgerottet – gerade jetzt aber, auf der Zielgeraden, darf die internationale Gemeinschaft in ihren Anstrengungen nicht nachlassen. Nur dann können wir die Polio endgültig besiegen“.

Dr. Sabine Diedrich ist die Leiterin des Nationalen Referenzzentrums für Poliomyelitis und Enteroviren (NRZ PE).
Professor Reinhard Burger ist der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI).
Titelbild: UNICEF (CC BY 2.0).

 

Kommentare (19)

  1. #1 roel
    *****
    30. Januar 2013

    @Tobias Maier Woher weiß man, dass die Widviren aus Pakistan eingeschleppt werden?

    Und “Da jedoch nur etwa eines von 100 infizierten Kindern symptomatisch erkrankt, ist es schwer abzuschätzen, wie viele Personen betroffen sind.” Nicht ganz so ein krasses Verhältnis aber bei der “Schweinegrippe” waren ebenfalls viele Infizierte ohne Symptome. Baut der Körper bei den “Samptomlosen” Abwehrkräfte auf, die vor einer nächsten Erkrankung schützen oder diese mildern?

  2. #2 Tobias Maier
    30. Januar 2013

    roel,
    der Ursprung der Viren kann durch Sequenzvergleiche isolierter Viren aus Patienten bestimmt werden. Das Immunsystem bildet Antikörper gegen die Viren, unabhängig von einer akuten Erkrankung. Einmal infizierte sollten also geschützt sein.

    Ich weiß wenig über die Variabilität der Polioviren und über die Zusammensetzung des Impfserums in Deutschland, aber den Aussagen in dem Gastartikel nach, sollten geimpfte in Deutschland eine gut Immunität gegen die Wildviren aus Pakistan haben.

    Vielleicht kann da jemand vom RKI hier noch näher Stellung beziehen.

  3. #3 Ludger
    30. Januar 2013

    @ roel 30. Januar 2013

    Baut der Körper bei den “Samptomlosen” Abwehrkräfte auf, die vor einer nächsten Erkrankung schützen oder diese mildern?

    Die Infektion und die Infektionsabwehr finden bei den Infektionen mit Wildviren im Darm statt. Eine Myeloenzephalitis mit Lähmungen ist rein rechnerisch die Ausnahme, was die Betroffenen aber nicht wirklich tröstet. Eine durchgemachte Infektion mit Wildvirus schützt komplett gegen eine erneute Infektion mit demselben Virustyp.

  4. #4 WolfgangM
    30. Januar 2013

    Vor ein paar Jahren gabs auch im Abwasser in Strassbourg am Rhein Poliowildviren. Das ist an sich nichts außergewöhnliches, die Wildtypviren reisen ja im Darm des asymptomatisch Infizierten um die Welt.

    übrigens gute Infos findet man hier

    http://www.polioeradication.org

  5. #5 roel
    *****
    30. Januar 2013

    @Tobias Maier und @Ludger vielen Dank für die Antworten.

  6. #6 Spoing
    30. Januar 2013

    Eben eine kleine Frage:
    Was genau muss man sich unter Wildviren Vorstellen? Kurze Suche ergab nur die Unterscheidung zwischen Wild- und Impfviren. Ist das schon die einzige Unterscheidung?

  7. #7 Hanno
    30. Januar 2013

    Was leider im Artikel nicht erwähnt wurde: Für die Schwierigkeiten der Polio-Impfkampagne in Pakistan darf man sich bei Barack Obama bedanken. Im Rahmen der Tötung von Osama Bin Laden spielte wohl ein als Impfarzt getarnter CIA-Agent eine wichtige Rolle. Die Geschichte wurde nebenan bei zoon politikon schonmal aufgebracht:
    https://scienceblogs.de/zoonpolitikon/2011/07/28/eine-vorgetauschte-impfkampagne-der-cia-und-der-angerichtete-schaden/

    Dieser Vorfall war dem Ziel der Polio-Ausrottung sicher nicht förderlich – und hat ganz generell sicher dazu beigetragen, dass in vielen Ländern die Skepsis gegenüber westlichen Impfärzten gestiegen ist.

  8. #8 WolfgangM
    30. Januar 2013

    Ja die Sache mit der DNA Gewinnung durch Impfung von Osamas Kindern war eine Schweinerei.
    Aber die Impfaktivisten, die jetzt im Rahmen der Polio Impfkampagne erschossen wurden waren mW Einheimische.

    Es gab ja schon vor Jahren einen Polio Impfstoff in Nordnigeria, weil befürchtet wurde in den 2 Impftropfen wären Substanzen enthalten, die die Fruchtbarkeit muslimischer Mädchen reduzieren. Die Folge war ein großer Polioausbruch und weil das ein muslimisches Land war sind doch etliche Pilger zur Hadj gefahren, dort relativ schlechte hygienische Bedingungen. Verbreitete Besiedelung der Därme der Pilger und folgend Polioausbrüche in bereits poliofreien islamischen Ländern wie Yemen und Indonesien.

  9. #9 WolfgangM
    30. Januar 2013

    uups Tippfehler es gab bereits vor Jahren einen Impfstopp in Nigeria…

  10. #10 Ludger
    30. Januar 2013

    @ Hanno
    Wat den een sien Antroposoph, is den annern sien Taliban…

  11. #11 Joseph Kuhn
    31. Januar 2013

    … und wat den een sien Polio, sin dem annern sei Masern.

    Vor gut 10 Jahren hat man in den USA die Masern für ausgerottet erklärt, sie reisen aber immer wieder ein – u.a. aus Deutschland.

  12. #12 WolfgangM
    31. Januar 2013

    @Josef
    und Peru hatte seit 12 Jahren keinen Masernfall mehr- was machen die anders als die deutschsprachigen Länder?

  13. #13 Joseph Kuhn
    1. Februar 2013

    @ WolfgangM: … ich weiß es nicht. Hoffentlich liegt es nicht nur einem lückehaften Meldewesen.

  14. #14 Dark_Tigger
    4. Februar 2013

    @WolfgangM
    Ich rate bloß, aber Impfpflicht vll?
    Ich meine die Indios dürften angesichts ihrer Geschichte recht leicht vom Impfen zu überzeugen sein.

  15. #15 WolfgangM
    4. Februar 2013

    @Joseph

    In Gesamtamerika gibt es ein gutes Überwachungssystem. Morbilliforme Exantheme- das können Röteln sein oder Masern werden labordiagnostisch untersucht. Da Masern auf dem Doppelkontinent schon eliminiert ist, aber Röteln in Südamerika noch nicht- sie sind dabei- zeigt sich bisher bei der Labordiagnose. Es ist eigentlich immer eine Rötelninfektion

  16. #16 gerd
    Sachsen-Anhalt
    27. Februar 2013

    Tolles Foto von den Poliowildviren das ihr hier habt.

    Und wie gelangte das Insektizid DDT in das Wasser? Was nach anerkannten Glaubenssätzen natürlich nichts mit Polio zu tun?

    DDT darf weiterhin gegen Malaria versprüht werden – Die Welt

    Mit DDT gegen die Bewohner der 3. Welt … böse ketzerische VT 😀

    Vorkommen von DDT in Lebensmitteln (Quelle vis.bayern.de )

    Für Länder ohne DDT-Anwendung wird geschätzt, dass Ende der achtziger Jahre Erwachsene über die Nahrung ca. 2 µg DDT pro Tag aufgenommen haben … In Ägypten hingegen betrug die Zufuhr 1988 etwa 960 µg pro Tag

  17. #17 Tobias Maier
    28. Februar 2013

    gerd, das hat mit glauben nichts zu tun, sondern mit wissen.

    Der DDT-Einsatz zur Malariabekämpfung ist ein ganz anderes Problem, bei dem Viren allerdings überhaupt keine Rolle spielen.

  18. #18 rolak
    28. Februar 2013

    Hi Tobias, falls dieser Gerd mit jenem in jenem thread identisch sein sollte, wird Dein Argumentieren sinnlos bleiben…

  19. […] Reinhard Burger, Präsident des Robert Koch-Instituts, bei „Weitergen“ auf scienceblogs einen Gastbeitrag über Wildpolioviren im Abwasser in Ägypten. Ägypten ist eigentlich seit 10 Jahren poliofrei. Vor kurzem machten Medienberichte über […]