Rennen kann man nicht am Rechner gewinnen. Aber Jonas hat bei den beiden Bergankünften gerade mal etwas mehr als eine Minute auf den führenden Fahrer verloren. Das entspricht etwa dem mitführen von 2kg Gewicht. Diese zwei kg Ersparnis wären auch dieses Jahr schon möglich gewesen (Körpergewicht/Ausrüstung).
Jonas ist die Rundfahrt aber nicht in Topform gefahren. Nur in den großen Profiteams, können die Sportler sich auf die Saisonhöhepunkte mit längeren Trainingsblöcken und Höhentraining vorbereiten. In den UCI-Continentalteams fahren die Sportler ihren Kalender runter und müssen schauen, dass sie von Rennen zu Rennen kommen. Wenn dann noch eine Erkältung da Zwischen kommt, werden die Vorbereitungsfenster kleiner.
Bei der Tour de France sind die Bergetappen eher länger aber es gibt selten mehr als 3 Etappen für Classementfahrer am Stück. Kürzere Etappen werden mit einer höheren Intensität gefahren. Auf den hügeligen oder flachen Etappen fahren Fahrer wie Jonas mit Leistungen, die eher im Regenerationsbereich liegen. Bei der Österreichrundfahrt hatte jede Etappe mehr als 2000 Höhenmeter und wurde hart gefahren. Vorsichtig geschätzt, liegt Jonas mögliche Topform bei optimaler Vorbereitung und mit Höhentraining bei circa 450 Watt für Zeitfenster von 20-40 Minuten.
Welche Leistungsfähigkeit braucht ein Toursieger?
Aus meiner Sicht braucht ein Tour de France Sieger eine relative Stundenleistung von ca. 6,3-6,5 W/kg, um in Rennen wie vergangenen Mittwoch noch am letzten Berg 6 W/kg abrufen zu können. Für den Sieg am Mittwoch hätte rein rechnerisch ein 50 kg Fahrer wie Quintana 6,24 W/kg, ein 62kg schwerer Fahrer 6,02W/kg und ein 71kg schwerer Fahrer 5,88 W/kg benötigt. 6,3 W/KG könnten also für einen 71kg Fahrer durchaus bedeuten, dass er bei einer Grandtour zumindest um das Klassement mitfahren kann.
Die Grandtour gewinnt aber nicht unbedingt derjenige, mit dem besten relativen Leistungsgewicht, sondern der, von seinem Leistungsprofil am besten mit dem Profil der Rundfahrt harmoniert. Beim Giro gibt es viele Zeitgutschriften für kurze Schlussanstiege bei gefühlt jeder zweiten Etappe. Hier haben explosive Fahrer Vorteile. Wenn dann aber Froome mitten in einer Etappe (19.) an einem Anstieg (Col del Finestre) mit 5,9 W/kg über eine Stunde alle Verfolger abschütteln kann, sieht man, dass richtiges Training und Umsetzung gerade in der dritten Woche einer Grandtour entscheidend sein können. Froome hat sich hier von Helfern alle 1-2km Flaschen reichen lassen und nach dem Trinken fallen lassen um Gewicht zu sparen. Ein Killogramm weniger Gewicht weniger machen an so einem Berg 30 Sekunden aus. Jonas Rapp kam mit einer fast vollen Flasche am Kitzbüheler Horn an. Er (Originalton) ..hatte dann oben wenigstens schon was zu trinken.
Kann man ohne Doping die Tour gewinnen?
Nach 3,5 Jahren des Privilegs eines der größten deutschen Radsporttalente trainieren zu dürfen, würde ich das ganz klar mit ja beantworten. Ob Jonas die Tour gewinnen kann? Von 8 harten Tagen am Stück bei der Österreich Rundfahrt auf eine Grandtour zu schließen, ist schwierig. Wer aber auf seiner ersten schweren Landesrundfahrt nur 3 Min. auf den Sieger verliert, ist ein Rundfahrer mit Potential.
Jonas fährt für das Team Hrinkow Advarics. Das Team hat ihn bei den Rundfahrten 2018 super unterstützt. Die Teamphilosophie steht für sauberen Radsport. Seine Leistungsentwicklung ist dokumentiert; hier gibt es nur Anpassungen an harte Reize und ein großes Talent. Anpassungen des aeroben Systems über mehrere Jahre erfordern ein Reizsystem, dass auch hochintensive Reize immer wieder in der Mehrjahresplanung berücksichtigt.
Sind aus meiner Sicht Leistungen um 6,3-6,5 W/kg pro Stunde ohne Doping möglich? Ja, das würde ich unterstreichen. Sind alle Sportler sauber, die 6,3-6,5 W/kg leisten? Das würde ich mir wünschen. Dumoulin und Froome fahre beide das Double Giro und Tour auf hohem Niveau. Das geht nur, wenn das Basislevel sehr hoch ist und das spricht aus meiner Sicht dafür, dass der Sportler davon ausgehend in Höchstform auch Topleistungen erbringen kann – ohne Doping. Bei der Tour 2018 habe ich keine Leistungen gesehen, die man mit einem Fragezeichen versehen müsste.
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