Wie Claas Relotius wohl Weihnachten verbringt? Vielleicht bei seinen Eltern. In vertrauter Umgebung im Bildungsbürgertum. Klassische Musik kommt leise aus den zu groß geratenen Standlautsprechern im Wohnzimmer. Es ist Brahms. Ein Holzscheit knackt im offenen Kaminofen. Relotius sitzt im selben Ledersessel, in dem er sonst immer sitzt, wenn er bei seinen Eltern zu Besuch ist. Er versucht sich auf die Musik zu konzentrieren. Denn sobald seine Gedanken abschweifen, wird ihm schwindelig.
Er kann einem schon fast wieder Leid tun, wie er jetzt in den Medien von den ehemaligen Kollegen auseinander genommen wird. Von denen, die es immer schon wussten, und denen, die ihre Empörung öffentlich teilen müssen. Und von den Lesern. Jenen, die jetzt den Untergang des SPIEGEL prophezeien, und von jenen, die meinen, dass die Reportage, also die von Relotius bevorzugte journalistische Darstellungsform, als Format ausgedient hat.
Letztere Stimme kommt auch aus der Ecke der Wissenschaft. Mein Eindruck ist, dass viele Forschende eine Aversion gegen das Geschichten erzählen in der Wissenschaftskommunikation haben. Große Fallzahlen zählen mehr als Anekdoten. Porträtierte Einzelschicksale wirken aber mehr als die statistisch signifikanten Ergebnisse des letzten Papers. Das wird als ungerecht wahrgenommen.
Auch Julika Griem, Vizepräsidentin der DFG, fragte in ihrem Vortrag beim diesjährigen Forum Wissenschaftskommunikation, warum “alle gegenwärtig auf erzählerische Vermittlung setzen”. Sie wünscht sich, dass die Wissenschaftskommunikation ihr Publikum nicht nur einseitig mit Narrativen füttert und “irgendwo abholt, sondern sorgfältig, umsichtig, furchtlos und […] zärtlich überfordert”. Hier das Transkript ihrer Rede als pdf. Die Wissenschaftskommunikation bräuchte laut Griem “keinen barrierefreien Abenteuerspielplatz, sondern ein bisschen mehr hartnäckigen und frustrationstoleranten Ernst für die Sache”.
Bei allem Ernst: Wer als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler Zielgruppen jenseits der eigenen Fachcommunity erreichen will, muss lernen, die sachliche Wohlfühlecke zu verlassen. Eine gute Geschichte bleibt eine gute Geschichte. Sie soll das erzählen, was die Daten aussagen. Und wahr muss sie sein.
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