Die meisten Leser hier auf scienceblogs.de werden wohl auch research-blogging kennen.
Was die Plattform will kann man in ihren Richtlinien nachlesen. Am wichtigsten ist dabei wohl, dass über begutachtete (peer-reviewed) Veröffentlichungen, die zur Gänze gelesen und verstanden wurden geschrieben werden soll. Der daraus resultierende Blogpost soll natürlich eigene Gedanken zum Artikel enthalten. Posts die diese Anforderungen erfüllen werden auf der Seite aggregiert.
Grundsätzlich sollten diese Richtlinien wohl in einer Art gemeinschaftlicher Selbstkontrolle (fast einer Art peer-review) durchgesetzt werden. Daher jetzt diese neue Serie. Ich werde versuchen regelmäßig an die besten und leider auch die schlechtesten Artikel des deutschen researchblogging ein paar Zeilen zu verschwenden. All das wird natürlich in keiner Weise -selbst was nur Evolutionsbiologie angeht- umfassend sein, da ich mal ne Woche wenige Blogs lese, und das dann auch nicht unbedingt nachholen werde.
In meinen Augen schlechte, grundsätzlich verfehlte Artikel ärgern mich oft noch mehr als die Ergüsse “echter Journalisten”. Besonders wenn diese dann auf researchblogging erscheinen habe ich das Gefühl, dass meine eigenen (manchmal vielleicht zu) akribischen Posts mit runter gezogen werden. Daher werde diese hoffentlich seltenen “Ausrutscher” auch den meisten Platz in Anspruch nehmen.
Erster Teil: 1. bis 12. Juni 2009
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Die früheste Hirse in Europa Schöner Artikel von Ingo zu einem Fachgebiet, das er versteht. Durch eine Rückdatierung der Domestikation von Hirse in China wird nahegelegt, dass es in Europa und Asien unabhängige Domestikationsereignisse gab, oder, dass das Getreide aus Asien nach Europa kam.
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Mäuse als Modell für die Evolution der menschlichen Sprache? Wie man es von der Bierologie gewohnt ist ein lockerer Artikel von Philipp zu ganz aktueller Forschung. Mäuse eignen sich als Modell für sehr menschliche Merkmale, in diesem Fall Sprache.
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Happy-Hour für alle! Nochmal Phillipp mit einem kurzen Beitrag über ein Gen mit einem – dank seiner Rolle im Alkohol Metabolismus – lustigen Namen.
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Grüner Tee gegen HIV? Bastian (Bierologie) fundiert und etwas ausführlicher über die überraschende evidenzbasierte Wirkung eines Naturprodukts.
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Warum wir altern Lars mit einem fundierten längeren Artikel zur einer Theorie über den evolutionären Vorteil des Alterns. Großartig, ein Highlight!
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Die Evolution des genetischen Codes Bastian über ein sehr interessantes Thema, der genetische Code selbst ist adaptiert
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Krieg als Fortsetzung von Gruppenselektion mit anderen Mitteln Biologischer Artikel von polit-science-blogger Ali. “Multi-level”-Selektionsmodelle können die Entstehung von menschlichen Kriegen erklären. Kriege können in Modellen “Multi-level”-Selektion ermöglichen. Wichtig dazu Ulrichs Kommentar (der als Ökonom auf dem Gebiet hier wohl die fundiertest Expertise hat):
[…]ALLE Gruppenselektionsmodelle arbeiten auf der Basis von ‘egoistischen Genen’. Genau darum geht es ja: zu erklären, wie sich Altruismus trotz des ‘Egoismus’ der Gene durchsetzen kann.
Das merken wir uns, weil wir beim nächsten Artikel leider auf Gruppenselektion zurückkommen müssen.
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Humanevolution: WENIG Selektion? Furchtbarer Artikel, der rein gar nichts mit dem zitierten Paper zutun hat. Ingo verrent sich mal wieder in nicht haltbare, halbgare Ausschweifungen über Gruppenselektion. Mit der Beschreibung
Altruismus kann evoluieren, wenn die Hamilton-Ungleichung r > K/N eingehalten wird
beginnt Ingo seinen Blog. Nach lesen einiger Artikel wird allerdings schnell klar, dass er keine funktionierende Definition von Gruppenselektion hat und ihm auf dem Gebiet der Gentik die Grundkenntnisse fehlen. Doch nun zum in Frage stehenden Blogpost und dem dort diskutierten Paper (Coop et al 2009: The Role of Geography in Human Adaptation frei zugänglich!):
Ingo beginnt seinen Post mit Kritik an einem Artikel von Ulrich Dewald (in BdW), der dem Paper sehr viel besser gerecht wird als seine eigenen Ausführungen. Direkt im nächsten Abschnitt erfahren wir dann nämlich, dass man das Paper im “Konzept der Gruppenselektion” (ein für Ingo sehr eigenes Konzept, das er mit keinem ernsthaften Wissenschaftler teilt) betrachten müsse. Dewald ist – wie den Autoren der Orginalpublikation – die Verbindung mit dem Baldingschen Konzept natürlich verborgen geblieben. Dann folgen 4 im original zitierte Absätze aus dem Paper.
Die Ergebnisse der Untersuchung sind in 4 Punkten zusammenzufassen: (1.) Eine gemeinsame “nicht afrikanisch” Adaptation in der Hautpigmentierung in Europa und Asien. (2.) Zwei weitere getrennte Selektionsereignisse in Asien und Europa mit Auswirkungen auf Pigmentierung und Haarform. (3.) Starker Einfluss von Demographie in zwei Gruppen, nämlich Europa-Südasien versus Ostasien, die sowohl die Allelfrequenzen als auch neutrale Markern dominieren. (4.) NUR zwei Beispiele von jüngster Selektion.
Ingo setzt seinen Post fort mit dem Eingehen auf diese beiden Selektionsereignisse, sie betreffen ein Gen wichtig bei der Milchverdauung und eines bei der adaptiven Immunität (Laktose bzw. Toll-like Rezeptor).
Punkt (3.) interpretiert Ingo dann folgendermaßen:
Und das weist wiederum darauf hin, daß nicht die Anpassung an das Klima der wichtigste formende Faktor in den humangenetischen Populationsunterschieden war, sondern die Bevölkerungsgeschichte an sich, die historischen Schicksale, die Wanderungen, Überlagerungen, das heißt also Prozesse der Gruppenselektion und der Gen-Kultur-Koevolution
Richtig wäre: Anpassungen an das Klima waren unter den einzigen detektierbaren Selktionsereignissen. Es dominiert die Demographie und verwischt innerhalb der zwei beschriebenen geographischen Gruppen Spuren von Selektion. Im nächsten Satz erfahren wir dann dass Ingo demographische Phänomene mit ein seine Definition von Gruppenselektion einschließt, schade nur, dass sie damit komplett belang- und wertlos wird.
Einen dicken Brocken müssen wir dann nochmal im letzten Abschnitt schlucken. Ingo sieht durch das vorliegende Paper jüngste Selektion auf gesteigerte Intelligenz außerhalb Afrikas nahegelegt. Wie er darauf kommt bleibt er uns schuldig, schließlich standen die gefundenen Selektionsereignisse in Zusammenhang mit Hautfarbe, Haarform, Immunsystem und Ernährung.
Zusammenfassend denke ich, das der Post die Aussagen der Originalpublikation geradezu ins Gegenteil verzerrt. Die Publikation ist methodisch sicher nicht einfach zu verstehen. Da Ingo die eingesetzten Analysen nicht versteht, sollte er sich an die Interpretationen der Originalautoren halten.
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Schlaf ist gut! Ein schöner Artikel von Philipp über eine Untersuchung die zeigt, dass tiefer (REM) Schlaf Leistungen bei neuen Aufgaben erhöht. Schön, dass sogar kurz ein zentraler Punkt in der statistischen Auswertung erläutert wird, der den Autoren eine klare Interpretation der Ergebnisse ermöglicht.
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Der Ursprung und die Zukunft der Schweinegrippe Tabias mit einem kurzen Artikel über die molekulare Phylogenie der Schweinegrippe. Nach einer allgemeinen Einleitung eine prägnante Darstellung um eine sehr schöne zentrale Grafik aus der Originalpublikation.
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Melanozytenstammzellen verlieren ihre “Stammheit” durch DNA-Schädigung! Fee über die Entdeckung das das Ausdifferenzieren von Stammzellen zum Ergrauen der Haare führt.
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Schneewurzeln? Neuer Wurzeltyp in alpiner Pflanze entdeckt! Nochmal Fee mit einer sehr sehr kurzen Meldung über die Entdeckung einer “neuen Art von Wurzel”.
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