Vor 2,5 Jahren wurde die Kikk-Studie veröffentlicht, die die Befürchtungen vieler Atomkraftgegner bestätigte: Es gibt mehr Krebs bei Kindern in der Nähe von Atomkraftwerken.
Da die Regierung relativ kernkraftfreundlich war (und ist) wurde von ihr (und natürlich den Kernkraftwerksbetreibern) die Aussagekraft der Studie bezweifelt. So konnte nur eine Korrelation zwischen Nähe zum Kraftwerk und einer erhöhten Krebswahrscheinlichkeit gefunden werden – aber keine erhöhte Strahlung und keine andere Erklärung für die Krebsfälle.
Doch wie erklärt man sie sich dann?
Zunächst zur Entstehung von Leukämien, denn das ist die größte und auffälligste Gruppe in der Studie, speziell die akute lymphatische Leukämie (ALL). Sie ist die häufigste Leukämieerkrankung und trifft vor allem kleinere Kinder. Eine ALL-Erkrankung führt dazu, dass keine reifen weißen Blutkörperchen produziert werden, sondern funktionsuntüchtige Vorstufen. Diese überschwemmen das Rückenmark und verhindern dort die normale Blutbildung. Folgen sind u.a. Schwäche, Blutmangel, spontane Blutungen und Anfälligkeit gegen Infektionen. Die Krankheit führt unbehandelt innerhalb von Wochen oder Monaten zum Tod. Zum Glück kann man sie inzwischen mit verschiedenen Methoden oft heilen, die Überlebenswahrscheinlichkeit bei Kindern liegt bei etwa 80%.
Die Erkrankungsursache, also warum die lymphatischen Zellen (=weiße Blutkörperchen) mutieren ist noch nicht genau bekannt, vermutet werden in erster Linie ionisierende Strahlung (Radioaktivität), Umweltgifte, aber auch Retroviren, die das Genom der Zellen durcheinander bringen. Letzteres ist bisher nicht bestätigt worden, außer bei einem speziellen Virus, der aber in Deutschland nicht auftritt. Einen angeborenen Fehler im Genom schließt man aus. So war der Zusammenhang zwischen Nähe zum Kraftwerk und der Häufigkeit für eine ALL besonders deutlich, im Vergleich zu anderen Krebserkrankungen.
z.B. wohnen 3% der Kinder in einer Entfernung von bis zu 5 km, dort kommen aber 5% der Krebsfälle vor.
(Quelle: Kikk-Studie)
Für die Studie wurden die verschiedensten Daten über die Kinder und deren Eltern erhoben. Krankheiten, soziale Schicht, bekannte Strahlenexposition, bzw. waren die Eltern im Kernkraftwerk beschäftigt, Stillen, Schimmelpilze etc. – verschiedene in der Literatur besprochene Faktoren wurden ausgewertet. Für keinen dieser Faktoren (“Confounder”) konnte eine Erklärung für die auffällig vielen Krebserkrankungen gefunden werden.
Was könnte es dann sein? Hintergrund der Studie war ja gerade die vermeintlich geringe Strahlung der Kernkraftwerke durch die Entfernung zum Kraftwerk einzurechnen: Je näher, desto stärker die Strahlung.
Tatsächlich gelangt durch das Kühlwasser eine kleine Menge radioaktiver Stoffe in die Umwelt. Da diese Emission sehr gering ist (außer bei Störfällen) vermuten die Autoren der Studie andere unbekannte Faktoren bzw. eine Scheinkorrelation. Atomkraftgegner bestehen allerdings darauf, dass auch geringe Strahlung gefährlich ist, dabei gibt es unterschiedliche Ansichten über erlaubte Grenzwerte.
Nach Ansicht der Atomkraftgegner werden von Kernkraftwerken “künstliche” Stoffe, die die Natur so nicht kennt, an die Umwelt abgegeben. Diese werden zum Beispiel in den Knochen und Muskeln eingebaut. So wird Strontium statt Kalzium verbaut (gerade bei Kindern, die noch im Wachstum sind) und kann dann von innen strahlen und z.B. eine Leukämie auslösen. Tritium würde sogar direkt im Genom als Wasserersatz verbaut.
Ob das vom Kraftwerk abgegebene Strontium & Co. dafür ausreichend ist, ist aber noch nicht geklärt.
In der Studie wurde das Thema mit einem kurzen Satz abgehandelt – die Messung der Kraftwerksemissionen war nicht möglich. Die Physiker unter den Lesern können vielleicht weiterhelfen: Liegen die normalen Emissionen der Kraftwerke unterhalb der Nachweisgrenze?
Interessant finde ich außerdem die Frage, ob die Kinder nicht doch einer höheren Strahlung ausgesetzt waren, z.B. durch einen Störfall, das konnte man in dieser Studie aber nicht untersuchen. Oder ob die Umwelt belastet wurde und das Wasser oder die Pflanzen und Tiere stärker radioaktiv belastet sind, wurde hier nicht überprüft. Nochmal die Frage an die Leser: Vielleicht gibt es Studien, die einen negativen Befund zeigen? Würde man gering erhöhte Radioaktivitätswerte durch einen Störfall mehrere Jahre später nicht mehr nachweisen können, da es von Pflanzen und Tieren aufgenommen wurde?
Das oft diskutierte Kraftwerk Krümmel stellt dabei einen auffällig großen Teil der Krebsfälle in der Studie. Vermutet werden hier auch Umweltgifte, was nicht bestätigt werden konnte, sowie ein Störfall in der Vergangenheit, der aber abgestritten wird.
Wer möchte, kann sich selbst die unterschiedlichen Ansichten der Atomgegner und Befürworter antun. Der NDR hat dazu auch eine Dokumentation gesendet.
Praktisch unstrittig sind allerdings Krebserkrankungen, die bekanntermaßen durch Störfälle ausgelöst worden sind. Tschernobyl ist natürlich das größte und bekannteste. Aber auch viele andere Kernkraftwerke hatten mit austretender Radioaktivität zu kämpfen. Zuletzt gelangte in Frankreich eine große Menge radioaktiver Flüssigkeit in die Flüsse und Seen der Umgebung.
Weiterhin ist die Lagerung von radioaktivem Müll, die ja für einen Zeitraum von zehntausenden von Jahren sichergestellt werden muss, bisher noch völlig unklar. Denn sieht man mal kurz 10.000 Jahre zurück – wieviele Kriege, kulturelle Entwicklung und Verfall, wie viele Völker, die auswanderten oder vernichtet wurden – es ist schwer soetwas gesellschaftlich sicherzustellen.
Dazu natürlich noch das geologische Problem: welche Gesteinsschichten sind dermassen stabil, dass kein Wasser in die Hohlräume kommt und dort niemals Bewegungen des Gesteins auftreten? Zwar gibt es neue Ideen, wie die Lagerung gestaltet werden könnte, aber noch keine Tests, geschweige denn langfristige Versuche.
Zumal wir ja nicht wirklich ein Problem mit zuwenig Strom haben. Es wird ja auch weiterhin erwartet, dass der Anteil der alternativen Energien weiter zunimmt – durch Ausbau und Verbesserung der Technik.
Aber zurück zur Studie: Was sagt uns das nun? Nun ja. Trotz erhöhter Krebsgefahr ist es immernoch ziemlich unwahrscheinlich, Krebs zu kriegen, auch in der Nähe von Kernkraftwerken. Wir sind weit davon entfernt, dass jedes zehnte Kind eine Leukämie bekommt. Und wenn man dieses Risiko vertretbar findet, dann kann man sich ja in der Nähe eines Kernkraftwerks niederlassen (vorzugsweise westlich, also entgegen der meist vorherrschenden Windrichtung ;-)). Ich persönlich halte die anderen Argumente, die gegen Kernernergie sprechen, für wesentlicher.
Nimmt lieber Ökostrom:
Andrea Thum
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