Die Soziologin Christine Kestel hat aktiv am Aufbau eines “Netzwerks für Soziologinnen” mitgewirkt. Dabei hat sie gelernt, dass der Schatten des Feminismus länger ist, als man denkt. Die Frage “Warum tun wir das? Sind wir benachteiligt?” begleitete die Arbeit an “Sociae” – aber auch wenn die Einsicht, dass Frauen benachteiligt sind, manchmal schmerzhaft ist, so ist Christine Kestel überzeugt: Netzwerken lohnt sich!
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“48. Waiting to be noticed” – Nummer 48 ist einer der 101 Fehler, die Lois P. Frankel in ihrem Buch “Nice girls don’t get the corner office. 101 Unconscious Mistakes Woman Make That Sabotage Their Careers” vorstellt. Sie benennt 101 Fehler, die Frauen im Berufsleben tendenziell und sozialisationsbedingt eher machen als Männer und die sich allesamt als Karrierebremsen erweisen.

Ich kam im Frühjahr 2004 mit diesem Buch im Gepäck aus Kanada, als mir Dr. Irmhild Saake, damals Frauenbeauftragte des Instituts für Soziologie, die Idee eines Netzwerks für Soziologinnen vorstellte:

Auch Vernetzung von Frauen erfordert Mut. Und man muß es einfach tun.

Frauen, die sich systematisch zu wenig zutrauen, sollten durch Information und Vernetzung ermutigt werden, Dinge einfach mal anzupacken, statt sich zögernd und zaudernd am Ende stets doch nicht zu trauen, z.B. eine Bewerbung um ein Stipendium abzuschicken.

“Ich habe ein Netzwerk für Soziologinnen gegründet, weil Frauen sich heute zwar nicht mehr als diskriminierte Opfer fühlen, sie aber nach wie vor mehr Gelegenheiten brauchen, um Ämter zu übernehmen. In diesem Netzwerk sollen Frauen erleben, was es heißt, Verantwortung zu tragen und Gestaltungsmöglichkeiten zu nutzen. Der Trick bei dieser Art der Frauenförderung bestand darin, eine Förderung zu schaffen, die nicht nach Förderung aussieht, weil Frauen heute alles meiden, was irgendwie nach 70er-Jahre-Feminismus und Frauenförderung aussieht.”

Anna Maria Mann, damals Studentin der Soziologie, hatte bereits mit der Zusammenstellung von Informationen auf einer Website begonnen und ich stieg begeistert ein: Netzwerken im besten Sinne: sich gegenseitig bereichern und unterstützen – darauf hatte ich Lust.

Der Aufbau eines Unterstützungs- und Informationsnetzwerks

Wir sammelten Wissenswertes und Kontakte zu Studierenden, die ihre Erfahrungen mit Förderprogrammen oder Auslandsaufenthalten etwa online teilen wollten. Wir erfanden für “Sociae” Angebote „in echt”, wie einen Workshop zur Karriereplanung.

Parallel dazu kam das Bedürfnis nach Reflexion auf – warum machen wir das? Sind wir tatsächlich „als Frauen” benachteiligt? Fühlen wir uns beschimpft, wenn die Frage „Bist du Feministin, weil Du diese Frauengeschichte da machst?” an uns gerichtet wird?

Die Angst als “Feministin” abgestempelt zu werden

Unsere Antwort war ein Workshop zum Thema Feminismus, mit dem wir uns und unseren TeilnehmerInnen die Gelegenheit schufen, das Thema wissenschaftlich und praktisch mit führenden Köpfen zu diskutieren – und den Aktiven bei “Sociae” Raum, sich als Organisatorinnen einer wissenschaftlichen Veranstaltung auszuprobieren. Am Ende des Workshops waren alle Beteiligten klüger bzw. gingen mit neuen Fragen zum alten und neuen Feminismus und zur eigenen Positionierung nach Hause.

Ein „unschuldiges” Frauennetzwerk, das nicht nach Frauensache und Feminismus klingt ist nicht machbar.

Und uns bei Sociae blieb die Einsicht – ein „unschuldiges” Frauennetzwerk, das nicht nach Frauensache und Feminismus klingt ist nicht machbar. Aber Frauennetzwerke zu stricken ist absolut notwendig – genau so notwendig wie das Netzwerken ohne Blick auf Geschlecht und Gender!

Das Netzwerk bringt so seinen Knotenpunkten also vieles an Erfahrungen, Erkenntnissen, Tipps, Hinweisen, Kompetenzen – und konfrontiert sie immer wieder mit der Frage: „Muss das sein, dass man sich für Frauen engagiert? – Ist das nicht zu anti? – Ist das überhaupt noch nötig?”

Sociae wird – immer noch und auch von SoziologInnen, denen man dank einer eigenen Bindestrichsoziologie fürs Geschlechterthema mehr Reflektiertheit und Offenheit unterstellen würde – oft als seltsamer Frauenverein wahrgenommen. Und gerade Sympathisantinnen der Idee schrecken davor zurück, sich als potentiell Benachteiligte und potentielle Unterstützungsempfängerinnen zu outen und in Sachen Frauennetzwerk aktiv zu werden.

Vor der Beteiligung an einem Frauen-Netzwerk steht die Erkenntnis, dass es Benachteiligung gibt. Manchmal muß es erst “weh tun”, bevor diese Einsicht wächst.

Das wunderte mich, weil doch Sociae angetreten ist, ohne Anti-Rhetorik und Opferrollen-Selbstbeschreibung. Wissenschaftlerinnen, die an ihren Studierenden den Umgang mit der Thematik schon länger beobachten, boten mir folgende Erklärung an: Für sich selbst „als Frau” aktiv zu werden, bedeutet einen Schritt vorher, sich als potentiell Benachteiligte wahrzunehmen – und das ist keine schöne Erkenntnis.

So lange Studentinnen noch nicht an gläserne Decken gestoßen sind – und es „echt weh” getan hat, scheint es also angenehmer, den Tatsachen nicht offen ins Auge zu schauen.

Es gibt noch viel zu tun!

In Anbetracht des Faktums, dass strukturelle Benachteiligung von Frauen eine statistische Gegebenheit ist, finde ich es schade, dass immer noch wenige Soziologinnen die Change ergreifen, sich selbst ein Trainingscamp zu verschreiben, sich zu unterstützen und Rückgrat und Mut aufzubauen. Und an dieser Stelle muss nun endlich geschrieben werden: ES MACHT AUSSERDEM SPASS! Der Austausch, das Ideenspinnen, das Projekteumsetzen und das Sichgegenseitigweiterbringen!

Netzwerken macht Spaß. Und bestärkt die Beteiligten im Wissen: “Ich kann das!

Inzwischen bin ich nach Studium, Promotion und einem halben Abschied aus der Wissenschaft an den losen Rand des Netzwerks gewandert. Von der Notwendigkeit des Aufbaus und dem Gewinn aus funktionierenden Netzwerken – ob nun geknüpft um „die Herausforderung Frausein” oder um andere Themen – bin ich überzeugt.

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Die Sociae zu Grunde liegende Erkenntnis „Ermutigung braucht’s!” scheint mir keinen Deut weniger aktuell oder akut als vor vier Jahren. Seit einer Weile verschenke ich darum beständig mit Freude und Nachdruck diese wunderbare ichkanndas-Karte, gemacht von Karin Bätz.

Dr. des. Christine Kestel arbeitet seit dem Abschluss ihrer Promotion im Juli 2008 als freie Beraterin am Wandel von Personen und Organisationen.

Kommentare (1)

  1. #1 Götte, Karl-W.
    November 3, 2008

    Hallo und guten Tag
    liebe Frau Dr. Kestel,

    werde Ihre Zuarbeit ( Kurzfassung des Gespräches über Allianz) durcharbeiten
    und Ihnen die Änderungen zukommen lassen.
    Weiterhin viel Spaß und Erfolg beim Verändern des
    “global Players” …… der Eliten der AZ.

    Ihnen einen schönen Tag!
    Gruß
    Karl-W.Götte
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