Eva Matthes skizziert den Geschlechterkampf um Bildungschancen seit Ende des Zweiten Weltkriegs und die ermüdende Auseinandersetzung mit den immergleichen Vorurteilen.
Bald nach Kriegsende wurden 1945/46 die Universitäten auf dem Gebiet der späteren Bundesrepublik Deutschland unter den drei Besatzungsmächten Frankreich, Großbritannien und USA wieder eröffnet. Vor dem Trümmerhaufen einer Ideologie, von Hunger, Familienzerstörung und Armut gezeichnet, begannen Studierende und Lehrende 1945 mit dem Aufbau der zu 80 % zerstörten Universitätsgebäude. 1946 konnte ein stark eingeschränkter Lehrbetrieb wieder aufgenommen werden.
Aufbau der Nachkriegsuniversitäten
Der Andrang der Studierenden war groß, die finanzielle Ausstattung der Universitäten blieb demgegenüber weit zurück. Bald wurden Zulassungsbeschränkungen nötig. Die Diskussion um eine Beschränkung des Frauenstudiums lebte erneut auf.
Nicht nur in der studentischen Presse entbrannte eine über Jahre hinweg geführte Kontroverse über das Frauenstudium schlechthin, in der den Frauen vielfach das Recht auf ein Studium vollständig abgesprochen wurde. Trotz der im Grundgesetz verankerten Gleichberechtigung der Geschlechter (Art. 3/Abs. 2 GG) wurden in den 50er Jahren traditionelle Rollenbilder propagiert und der Beruf der Frau zur Hausfrau und Mutter betont.
In den 50er Jahren ging der Frauenanteil unter den Studierenden erstmal zurück.
Diese gesellschaftliche Grundeinstellung blieb nicht ohne Wirkung: Der Frauenanteil an den Studierenden ging zurück, zumal auch die Berufschancen für Akademikerinnen als sehr schlecht eingeschätzt wurden. Hatte etwa der Studentinnenanteil an der Universität Erlangen 1946/47 noch 23 % betragen, so sank er in den 50er Jahren auf 16 %. In München und Würzburg lag er noch deutlich niedriger.
Auch die bereits in den Kriegsjahren und auch noch in den Nachkriegsjahren – aus Mangel an männlichen Kollegen – erfolgte Steigerung der Zahl der Hochschuldozentinnen trug keine Früchte. Die meisten von ihnen erhielten – trotz Habilitation – keinen Lehrstuhl; sie wurden nach Rückkehr der Männer von diesen wieder verdrängt. In diesem Zusammenhang ist die zwischen dem Wintersemester 1953/54 und dem Wintersemester 1955/56 durchgeführte repräsentative Erhebung des Soziologen Hans Anger an den Universitäten Bonn, Frankfurt/M., Heidelberg und Kiel aufschlussreich. 138 Hochschullehrer wurden unter anderem zu den Themen “Die Frau als Studentin” und “Die Frau als Dozentin” befragt.
Nach Kriegsende wurden viele Dozentinnen wieder aus der Hochschule verdrängt.
Ausgangspunkt für diese Befragung war die extreme Seltenheit weiblicher Hochschullehrer. Die fachlichen Leistungen der Studentinnen wurden im Vergleich zu den Studenten – in bekannter Weise – dahingehend eingeschätzt, “daß rein intellektuelle Fähigkeiten geringer oder seltener seien, abstraktes Denken, jedes Denken überhaupt liege ihnen nur weniger, es mangele an Kritikfähigkeit, Erfindungsgabe, Einfällen, wissenschaftlicher Phantasie, sie seien schüchterner, nicht selbständig genug und hätten weniger Initiative” (Anger 1960, S. 475f.). Markanter noch als diese Einschätzungen waren die Aussagen über die weiblichen Kollegen.
“Die akademische Tätigkeit ist eine vorwiegend abstrakte und liegt deshalb der Frau nicht so; auch die intellektuellen Beziehungsverknüpfungen liegen ihr nicht. Die Notwendigkeit der Autorität mag der Frau auch Schwierigkeiten bereiten. Der Mann kann bis ins hohe Alter hinein eine intellektuelle Steigerung erfahren. Die Frau neigt bei wachsendem Alter zur Ruhe und Seßhaftigkeit. In jungen Jahren wird sie sicher sehr Gutes leisten, aber auch physisch ist der Beruf zu anstrengend für sie, deshalb haben wir kein Angebot seitens der Frauen.” (Anger 1960, S.479)
Mangelnde Präsenz von Frauen auf Professuren und Lehrstühlen wurde als naturgegeben interpretiert.
Mangelnde Präsenz von Frauen auf Professuren und Lehrstühlen wurde als naturgegeben interpretiert, der natürlichen Bestimmung der Frau entsprechend. Die Vorurteile, die die Studentinnen erlebten, aber nach wie vor auch die Aufgabe des Studiums mit der Eheschließung führten zu deutlich höheren Abbruchquoten als die ihrer männlichen Kommilitonen.
Der frustrierende Kampf gegen Vorurteile
In einer Studentinnenbefragung um 1960 finden sich Aussagen wie:
“Studentinnen werden nicht als echte Studierende angesehen; von der Mehrzahl belächelt; es gibt immer noch viele Professoren, die Mädchen […] nicht für voll nehmen. Das habe ich selbst erlebt; Ja, ich habe mich immer sehr durcheinanderbringen lassen, wenn man mich nicht ernst nahm; Wenn man seine geistige Persönlichkeit immer wieder beweisen muß, sich immer wieder gegen Vorurteile wehren muß, kann einen das schon mürbe machen; Es ist schwer, Achtung zu erringen.” (Gerstein 1965 , S. 88f.)
Mitte der 60er Jahre wurde die Bildungspolitik zu einem zentralen öffentlichen Thema. Auslöser war die 1964 von Georg Picht veröffentlichte Schrift “Die deutsche Bildungskatastrophe”, in der er darlegte, wie sehr das deutsche Bildungswesen im internationalen Vergleich zurückgeblieben sei und – um die Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland zu erhalten – eine deutliche Steigerung höherer Bildungsabschlüsse anmahnte. Großes Aufsehen erregte auch Ralf Dahrendorfs 1965 veröffentlichte Schrift “Bildung ist Bürgerrecht”, in der er betonte:
“Es darf keine systematische Bevorzugung oder Benachteiligung bestimmter Gruppen aufgrund leistungsfremder Merkmale wie soziale Herkunft oder wirtschaftliche Lage geben” (S. 22).
Bildungsoffensive der Sozial-liberalen Koaltion
Die sozial-liberale Regierung von 1969 schrieb sich eine Bildungsoffensive auf ihre Fahnen. Brachliegende Begabungsreserven sollten mobilisiert werden. In diesem Kontext stieg die Zahl der Abiturientinnen und Studentinnen in den 70er Jahren deutlich an. In Erlangen etwa stieg der Studentinnenanteil von 18,9 % im Jahre 1967 auf 35, 2 % im Jahre 1980. An der Universität München verdoppelte sich zwischen 1970/71 und 1975/76 die Zahl der Studentinnen, die Zahl der männlichen Studierenden erhöhte sich im selben Zeitraum nur um ca. 30 %.
Auch bei den 68ern hatten Frauen mit Vorurteilen zu kämpfen
Im Zuge der 68er Bewegung hatten sich auch die Studentinnen politisiert. Zunächst kämpften sie an der Seite ihrer männlichen Kommilitonen für eine Demokratisierung der deutschen Hochschulen und eine gesellschaftstheoretische Verankerung der Wissenschaften. Doch schnell mussten sie feststellen, dass sie auch von ihren männlichen Kommilitonen nicht ernst genommen wurden und für sie für unterschiedliche Dienstleistungen zur Verfügung stehen sollten. Aus Protest gründeten sich deshalb in allen größeren Städten der Bundesrepublik “Weiberräte”, zu denen Männer keinen Zugang hatten.
Die Neue Frauenbewegung
Auf dieser Basis begann sich zu Beginn der 70er Jahre eine Neue Frauenbewegung zu organisieren. So trafen sich im ASTA der Universität München seit Anfang 1971 die “Roten Frauen”, die zusammen mit einer Berliner und einer Frankfurter Frauengruppe die von Alice Schwarzer nach Deutschland importierte Aktionsidee gegen den § 218 aufgriffen. Gemeinsam organisierten sie die Unterschriftenaktion “Wir haben abgetrieben”, die als “Stern”-Titel im Juni 1971 die bundesdeutsche Öffentlichkeit in Aufruhr versetzte.
Kritik und Anstöße der Neuen Frauenbewegung fanden jedoch auch Eingang in den Universitätsbetrieb. Erstmals wurden in Lehrveranstaltungen frauenspezifische Themen aufgegriffen, Forschungsprojekte zu Frauenfragen wurden initiiert, Sommeruniversitäten für Frauen durchgeführt, Ringvorlesungen veranstaltet, universitäre Frauenvollversammlungen einberufen. Innerhalb der studentischen Vertretung traten nun eigenständige Frauengruppen auf.
Was die weitere Integration von Frauen in die Wissenschaft betrifft, standen die 80er Jahre im Zeichen der Bemühungen von (jungen) Wissenschaftlerinnen, Frauenförderung und Frauenforschung an den Hochschulen zu verankern.
Universitäre Gleichberechtigung wird ein Thema – endlich
Zielsetzung der in Frauenfragen engagierten Wissenschaftlerinnen war es, mehr begabten Frauen größeren Anreiz bieten zu können, sich die Universität als Arbeitsfeld zu erobern, also sie zu Promotion und Habilitation zu ermuntern. Doch noch immer fehlten häufig die Vorbilder und es stellt(e) sich das Problem der schwierigen Vereinbarkeit von Studium/Berufstätigkeit und Familie. Frauenförderpläne und Frauenbeauftragte an den Hochschulen wurden gefordert; Frauenforschung sollte institutionalisiert werden.
Nachdem der Passus “Die Hochschulen wirken bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben auf die Beseitigung der für Wissenschaftlerinnen bestehenden Nachteile hin” in das 1985 novellierte Hochschulrahmengesetz Eingang gefunden hatte, das Defizit an Gleichberechtigung auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Konkurrenz also gleichsam bestätigt worden ist, wurden die Landeshochschulgesetze und schließlich die Grundordnungen der Länderuniversitäten dieser Zielvorgabe angepasst.
“Frauenbeauftragte achten auf die Vermeidung von Nachteilen für Wissenschaftlerinnen, weibliche Lehrpersonen und Studierende; sie unterstützen die Hochschule in der Wahrnehmung ihrer Aufgabe, die Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken.” (Bayerisches Hochschulgesetz Art.34, Abs. 1)
Neben der vom Senat gewählten Universitätsfrauenbeauftragten und ihren Stellvertreterinnen gibt es noch die Fakultätsfrauenbeauftragten, die von den jeweiligen Fachbereichsräten gewählt werden. Erst seit 1998 hat die Universitätsfrauenbeauftragte Stimmrecht im Senat und in den Kommissionen, denen sie durch ihr Amt angehört, vorher hatte sie lediglich beratende Funktion.
Abschließend will ich noch auf etwas hinweisen, was in bestimmten Frauenkreisen manchmal allzu gern tabuisiert wird. Nicht nur Männer bekämpfen Frauen als Konkurrentinnen, die Konkurrenz unter Frauen ist manchmal mindestens ebenso hart. Zugespitzt formuliert in diesem Kontext die Soziologieprofessorin Ulrike Gräßel:
“Projekten von Männern bekunden viele Frauen lobendes Interesse, den Verriss schreiben sie über die Kollegin. Notwendig wäre an dieser Stelle ein bisschen mehr Solidarität unter Frauen. Frauen sollten Frauen leben und arbeiten lassen wie Männer auch.”(Gräßel 2003, S. 43).
Männer und Frauen werden an der Universität damit leben und umgehen lernen müssen, die Konkurrenz von Frauen auszuhalten, beide Geschlechter werden sich darum bemühen müssen, ihr Konkurrenzverhalten zu humanisieren und sachbezogene Arbeitsbündnisse zu schließen.
Frauen werden stärker als bisher Netzwerke gründen und ihre Berührungsängste gegenüber mit Macht und Einfluss verbundenen Positionen aufgeben müssen.
In den ersten beiden Artikeln rekonstruierte Eva Matthes zunächst die ersten Schritte der Frauen an Universitäten und den Kampf um die Zulassung zu einem regulären Studium. Im zweiten Text behandelte sie die Situation von bildungswilligen Frauen in der Weimarer Republik und der Nazizeit.
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