(Zeichnung: Andrea Walter)
Die als „Kälber-Studie“ bekannte Untersuchung schlägt Wellen, da sie angeblich zeigt, dass schwache Magnetfelder die Produktion von Melatonin stören, einem endogenen Radikalfänger und vermuteten Anti-Krebshormon. Allerdings sind die Daten aus verschiedenen Gründen so merkwürdig, dass sie eigentlich nicht stimmen können. Die Reaktion der Herausgeber ist, darauf angesprochen, mau, um nicht zu sagen: Null. In der Theorie wendet sich ein Leser an ein Journal, wenn ihm seltsame Daten in einer Publikation auffallen, die eigentlich gar nicht real sein können, und erwartet eine Erklärung. Wenn in der Praxis ein geschlagenes halbes Jahr überhaupt nichts in dieser Richtung passiert, ist etwas grundsätzlich verkehrt. Wobei das nicht wirklich überrascht, denn das passiert eigentlich dauernd. Die Gretchenfrage lautet nämlich: wer hat ein Interesse daran, solche seltsamen Daten entweder plausibel zu erklären oder – falls das nicht gelingt – sie zu entsorgen. Dazu später mehr, jetzt erst einmal der aktuelle Fall.
Mitte September 2015 publizierten Forscher aus Deutschland, Belgien und Tschechien Befunde (Kolbabová et al., 2015, Open Access), die scheinbar belegten, dass sehr schwache künstliche Magnetfelder die Melatoninproduktion von Kälbern beeinflussen (für die Technik-Nerds: 0,4 µTesla, 50 Hz Sinus bei ca. 50 µTesla statischem Erdmagnetfeld). Das wäre schon ein ganz interessantes Ergebnis, da Hochspannungsleitungen solche schwachen Magnetfelder produzieren und im Verdacht stehen, mit kindlicher Leukämie assoziiert zu sein. Nur passen einige Daten in der Publikation überhaupt nicht zum Stand der Wissenschaft, andere hingegen passen viel zu gut zu anderen Daten in demselben Paper.
Wenige Tage nach der Online-Publikation Mitte September 2015 machte ich die Redaktion auf die Punkte aufmerksam, die mir aufgefallen waren, und das waren einige. Bislang habe ich lediglich immer wieder gehört, man kümmere sich darum. Seit mehr als sechs Monaten.
Die „Seltsamkeiten“: Die Abweichungen der Balkengrafiken waren in vielen Fällen exakt gleich, obwohl es sich ja um unterschiedliche Stichproben handelte. So bei Abb. 1 und 2, und auch bei Abb. 3, jedenfalls für die Daten des Sommers.
Ach ja, Sommer: Im Sommer sollen die Melatoninwerte höher sein als im Winter? Stimmt mit der Literatur nicht überein. Und bei Weibchen viel höher als bei Männchen? Auch nicht. Tageszeitliche Werte? Ebenfalls nicht. Am Tag ist Melatonin üblicherweise so gut wie nicht messbar, nachts dagegen deutlich erhöht. In der Publikation sind keine solchen Unterschiede zu sehen. Und die absoluten Werte? Auch die stimmen mit der Literatur nicht überein, da sie vergleichsweise viel zu hoch liegen. Interessanterweise sind die mittleren Werte in der Studie, die von den Autoren als Referenz für die Methode angaben, meilenweit von ihren jetzigen entfernt.
Alles in allem mehr als genügend Gründe, an den Resultaten fundamentale Zweifel anzumelden und diese auch für jedermann sichtbar zu platzieren. Dies umso mehr, als der Netzausbau mit hunderten neuer Hochspannungsleitungskilometern natürlich Besorgnis in der Bevölkerung auslöst, wenn höchst seltsame Befunde wie diese kursieren und so lange unkommentiert bleiben. Verantwortung der Herausgeber sieht für mich anders aus.
Nebenbei: ein solches Paper überhaupt zur Publikation anzunehmen, ist aus einem weiteren Grund mehr als fragwürdig: die Anzahl Kälber pro Gruppe war 4 (vier!). 4 exponiert, 4 Kontrollen, und das Ganze mal im Sommer, mal im Winter (die Angaben n=80 bzw. n=20 kommen daher, dass an 5 Tagen zu je 4 unterschiedlichen Zeiten Proben genommen wurden). Wäre das ein Tierversuch in Deutschland gewesen, hätte allein dieser Umstand bei der Genehmigung vermutlich große Probleme verursacht. Aber die Studie wurde ja in der Nähe von Prag durchgeführt…
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