Relativ zu Anfang meines Biologistudiums hatte ich eine wahnwitzige Idee. Wie wäre es denn, wenn ich alle Papers, die je publiziert wurden, lesen würde? So nebenher, neben dem Studium. Ein Besuch der Unibibliothek mit meterhohen Regalen voll mit gebundenen Ausgaben von Cell, Nature und Science hat mich schnell eines Besseren belehrt. Und noch während ich die nicht enden wollenden Bücherregale entlang irrte, wandelte sich der Wunsch, alles zu lesen, in ein Gefühl um, das ich im Lauf von Studium, Promotion und Postdoc nie los geworden bin: Wie kann ich hier nur den Überblick behalten?

Erst im Lauf der Zeit sind mir die Dimensionen der Frage wirklich klar geworden: Es gibt aktuell weit über zehntausend Journals, in denen mehr oder weniger regelmäßig neue Artikel erscheinen. Die Datenbank Pubmed, in der Veröffentlichungen aus den Lebenswissenschaften archiviert werden, hat aktuell mehr als zwanzig Millionen Publikationen gespeichert. Jeden Tag kommen über 2500 neue Papers dazu. Natürlich ist nur ein Bruchteil davon wirklich relevant für die eigene Forschung. Nur: Wie finde ich den? Wie verpasse ich keine wichtigen Veröffentlichungen? Und wie werde ich das schlechte Gewissen los, nie genug Papers zu lesen?

Geleitet von diesen Fragen haben wir in den letzten Monaten Recently entwickelt  – und jetzt veröffentlicht.

Recently Logo Horizontal

Recently ist eine App für Wissenschaftler im Life-Science-Sektor und für Ärzte. Das Prinzip ist einfach: Basierend auf persönlich relevanten Papers schlägt Recently neue Publikationen vor. So kann man bequem auf dem Laufenden bleiben mit allem, was in dem eignen Forschungsgebiet publiziert wird. Recently ist eine Art personalisiertes Journal.

Besonders relevante Papers kann man “liken”. Das beeinflusst direkt die zukünftigen Literaturvorschläge. Was nicht passt, kann man “disliken” (endlich! Der dislike Button!) und das Paper verschwindet aus dem Feed. Relevante Publikationen kann man auch einfach per Email verschicken oder per Twitter oder Facebook mit Kollegen teilen.

Wir haben Recently so designt, dass es auf normalen Computern, genauso wie auf mobilen Geräten gut aussieht. So ist es möglich, auch einfach mal zwischendurch, auf dem Weg zur Arbeit oder in einem langweiligen Talk durch die vorgeschlagenen Papers zu scrollen und Interessantes zu entdecken.

Am besten also einfach hier klicken und sich anmelden, testen, weitersagen, und wiederkommen um nach neuen und relevanten Papers zu schauen. Das Ganze ist kostenlos und ich würde mich sehr über Feedback freuen. Im Hilfeteil der App gibt’s dazu ein Formular, sonst gerne auch einfach hier einen Kommentar schreiben. Es gibt auch eine Seite mit weiteren Hintergrundinformationen und ich werde sicher in den nächsten Wochen noch mehr zu Recently schreiben.

Das Bild ganz oben ist modifiziert von Hyperbole and a Half

Kommentare (22)

  1. #1 Marcus Anhäuser
    14. Mai 2013

    Toll, sag ich mal spontan, das könnte auch für Wissenschafts- und Medizinjournalisten interessant sein …

  2. #2 CM
    14. Mai 2013

    Hoi,

    recently macht einen guten 1. Eindruck. Herzlichen Glückwunsch.

    Eine Frage bleibt: Wo kann man Feature-Wünsche hinsenden? Ich hätte gerne eine Listenexportfunktion und versch. Sub-Gruppenlisten (z. B. nicht 1 x drei Startpaper, sondern verschiedene, damit man recently auch in versch. Themenbereichen nutzen kann).

    Gruß,
    Christian

    PS Bin gerade selber wieder mal am programmieren und weiß, daß solcherlei Wünsche u. U. längst auf der ToDo-Liste stehen bzw. nicht zwischen 12 und Mittag implementiert & getestet sein können.

  3. #3 Tobias Maier
    14. Mai 2013

    Marcus,
    die App funktionert aktuell am besten, wenn man sich auf ein Themengebiet konzentriert, ist also aktuell eher für Forscher als für Journalisten geeignet – was dich nicht daran hindern sollte, Recently auszuprobieren!
    Die Unterstützung mehrerer Profile pro Account ist geplant.

  4. #4 Tobias Maier
    14. Mai 2013

    CM,
    danke!

    Der Feed in Recently wird natürlich ständig aktualisiert, und neue, persönlich relevante Papers werden als solche gekennzeichnet. Also: Wiederkommen.

    Und – wie eben schon in Antwort auf Marcus Kommentar geschrieben – wir planen verschiedene Sub-Literaturprofile pro Nutzer für einen zukünftigen Release. Aktuell kannst du deinen Feed aktiv beeinflussen, in dem du für dich relevante Papers likest.

  5. #5 Tobias Maier
    14. Mai 2013

    CM,
    und Featurewünsche gerne auch an tobias@recentlyapp.com

  6. #6 Fliegenschubser
    14. Mai 2013

    Wunderbar, werde es gleich mal ausprobieren und dann später was dazu schreiben! Es klingt auf jeden Fall sehr gut 🙂

  7. #7 ulfi
    14. Mai 2013

    Hi. Coole Idee!

    Aber ich habe zwei Fragen:

    1. Besteht bei so einem System nicht die Gefahr, in einer Bubble eingeschlossen zu werden? Ich denke hier spezifisch an Papers die andere Wege gehen als die, die man normalerweise liked, aber einen neuen Denkanstoß für die eigene Arbeit geben ( Es gibt zwei generelle Methoden A und B, ich arbeite am Problem X und favorisiere Methode A. Das heißt ich like alle Papers in denen A und X vorkommen. Und im Allgemeinen dislike ich alle Papers in denen B vorkommt, aber nichts mit X zu tun haben. Kann es nun vorkommen, dass, weil ich B so häufig dislike auch die relevanten Papers (B,X) entfernt werden? Was wäre mit neuen Methoden (C,X) am Rande meines Forschungsfelds?)

    2. Kann das System auch ausserhalb der Life-Sciences verwendet/portiert werden?

  8. #8 Erbloggtes
    14. Mai 2013

    Klingt gut. Schade, dass das nur für Life-Science und Medizin vorgesehen ist. Gerade bei denen hätte ich gedacht, dass Pubmed die wichtigsten Funktionen bereits bietet.

  9. #9 Tobias Maier
    14. Mai 2013

    ulfi,
    Hier habe ich mal was zur Filter Bubble geschrieben. Ich habe mir natürlich während der Entwicklung der App auch Gedanken dazu gemacht und wir haben zwei Dinge geplant, um das zu verhindern:
    1. Noch diesen Monat kommt ein Update, dass es erlaubt manuell Papers zur Liked-Liste hinzu zu fügen, so dass man selbst größeren Einfluss auf die vorgeschlagenen Papers hat.
    2. In Zukunft wollen wir mehrere Profile unterstützen, so dass es zumindest nicht mehr nur eine, sondern meherere Fitler Bubbles sind.

    Wir haben auch geplant, die App für weitere Wissenschaftssparten zu öffnen. Welche das sein werden hängt vor allem davon ab, wie gut die jeweilige fachspezifische Literturdatenbank ist.

  10. #10 Tobias Maier
    14. Mai 2013

    Erbloggtes,
    danke!
    Pubmed erlaubt dir die Suche nach Papers und du kannst dir Email Alerts mit bestimmten Keywords einrichten. Recently ist nicht für die Literatursuche, sondern für die Literaturentdeckung gedacht. Und um das schlechte Gewissen zu bekämpfen, wieder nicht genug gelesen zu haben.

    Wie in Kommentar #9 beschrieben, planen wir außerdem weitere Wissenschaftssparten in Zukunft zu erschließen.

  11. #11 Fliegenschubser
    14. Mai 2013

    So, hab mich mal angemeldet und hier mein erster Eindruck:
    Sehr gut, klare Struktur, denkbar einfach in der Bedienung. Die Grundidee dahinter find ich eh klasse. Hier noch ein paar Dinge, die mir spontan einfielen:

    Es ist wohl, wie beschreiben, (auch) für mobile Endgeräte optimiert, was grundsätzlich natürlich gut ist. Aber am PC, mit großem Bildschirm, leidet imho die Übersichtlichkeit und die Lesbarkeit etwas. Hier könnte man eventuell eine Option einbauen, welche das Design/Layout zwischen zwischen “Mobilmodus” und “Desktopmodus” wechseln lässt.

    Um der Filter Bubble zu begegnen, oder einfach auch um zu wissen, was im Hintergrund passiert, könnte man ein Option einbauen, welche einem die persönliche Stichwortliste anzeigt. Ich stelle mir da zwei (editierbare!) Listen vor, eine für positive Keywords, eine für negative (entsprechend Likes/Dislikes). Dort sind dann die jeweiligen Keyword gelistet, sortiert nach Relevanz. Der User könnte dann einzelne Keywords löschen, in der Priorität hoch- bzw. runterstufen, oder auch Keywords einfügen, um die Filter Bubble zu beeinflussen. Vermutlich arbeitet die App intern mit ähnlichen Listen (wild geraten), sodass das mit vertretbarem Aufwand machbar wäre (glaube ich).

    Ja, im Allgemeinen ein ziemlich gutes Projekt, hat viel Potenzial. Ich werde es weiter testen/benutzen 🙂

  12. #12 Tobias Maier
    14. Mai 2013

    Hier könnte man eventuell eine Option einbauen, welche das Design/Layout zwischen zwischen “Mobilmodus” und “Desktopmodus” wechseln lässt.

    Zieh mal dein Browserfenster größer oder kleiner wenn du recentlyapp.com offen hast.

    Der Filter ist natürlich eine konstante Baustelle und das wird sich auch nicht ändern. Wir werden sicher verschiedene Versionen testen, um noch relevantere Vorschläge zu machen.
    Freut mich jedenfalls, dass dir Recently gefällt!

  13. #13 Fliegenschubser
    14. Mai 2013

    Oha, es tut sich was 😀
    Mir persönlich gefällt die Variante mit dunklem Rand und ausgeklappten Menüs besser, aber das ist wohl Geschmackssache.

    Was ich aber eigentlich mit der Smartphone-Optimierung meinte, ist die Schriftgröße. Auf meinem Monitor (Auflösung 1920*1200) wirkt die Schrift sehr, sehr groß. Wenn ich im Browserfenster den Zoom auf 80% stelle, finde ich es deutlich angenehmer.

  14. #14 caesar
    15. Mai 2013

    Hallo Tobias,

    Eine sehr schöne Anwendung, die einem wirklich hilft interessante Paper zu finden ohne spezifisch nach Stichworten suchen zu müssen!
    Was mich ein bisschen “stört” (bzw. auch nicht wirklich, aber so als Anregung) ist, dass Paper, die man disliked, die Auswhal immer negativ beeinflussen. Was ich damit meine ist zB dass das Thema eines Paper für mich treffend und interessant ist, ich die Daten aber zB nicht überzeugend finde. Dann würde ich dieses Paper spontan mit dislike versehen. Das wiederum beeinflusst aber nachhaltig meine Auswahl an anderen Papern. Was ich mir dazu noch vorstellen könnte wäre eine Art “gelesen” Option. Diese stellt eine neutrale Bewertung dar, man weiß dass man das Paper gelesen hat es hat aber keinen negativen Einfluss auf die weitere Auswahl.

  15. #15 Tobias Maier
    15. Mai 2013

    Danke, casear.
    Wir sind gerade dabei das Like/Dislike Konzept etwas zu überarbeiten und die Idee, was als gelesen zu markieren ist gut!

  16. #16 regow
    15. Mai 2013

    Schöne Sache, aber wie kann man die Feature-Liste ändern?

  17. #17 Tobias Maier
    15. Mai 2013

    regow,
    meinst du die Liste mit den Hauptfeed oder die Liste mit den gelikten Papern?

  18. #18 Ludmila Carone
    16. Mai 2013

    Haben wollen. Insbesondere wenn Du wie ich interdisziplinär unterwegs bist, wirst Du jeck bei dem Versuch auf dem Laufenden zu bleiben. Das ist auch so eine Sache: Ich möchte gerne relevante Dinge in Astronomy/Meteorologie/Geophysik sichten und da kannst Du es eigentlich schon fast vergessen den Überblick zu behalten.

    Hast Du auch die Option bei neuen Vorschlägen nicht nur die neuesten sondern Dir auch bedeutende ältere Paper vorschlagen zu lassen? Das ist gerade bei Orchideen-Fächer nicht so ganz unwichtig, wenn Du Dich einlesen willst. Sonst kann es passieren, dass Du an einem Problem knabberst, das bereits vor 20 Jahren in nem benachbarten Forschungsgebiet gelöst wurde, was aber nur die Hand voll alter Hasen wissen, die Du nie triffst, weil die längst in Pension sind.

    Nur so mal als Anregung!

  19. #19 Tobias Maier
    16. Mai 2013

    Ludmila,
    andere Fachgebiete sind geplant für eine zukünftige Version von Recently.
    Danke auch für die andere Anregung, aber Recently ist nicht für die Literaturrecherche gedacht (da sitzt du dann sowieso vor dem Computer und suchst dir das passende), sondern als einfaches Tool, um schnell mal zwischendurch zu schauen, was es neues gibt. In der U-Bahn zur Arbeit, in einem langweiligen Talk, kurz nach der Mittagspause, etc.

  20. […] ob er mir das Projekt einmal vorstellen kann. Er hatte in seinem eigenen Blog WeiterGen bereits einen Post dazu veröffentlicht, hatte aber zum Glück nichts dagegen mir noch einmal ein paar Fragen zu beantworten – das […]

  21. […] Recently vor drei Wochen als kostenlose beta-Version veröffentlicht  und ich habe die App ja hier auch vorgestellt. Zeit für einen kurzen Zwischenbericht – und für ein Dankeschön an vielen […]