Vielleicht ist es jemandem aufgefallen: Die Teilaspekte der neutrale Theorie, die ich im ersten Post vorgestellt hatte erlauben nicht unbedingt viele Voraussagen und wären zu Kimuras Zeit, vor Entwicklung der DNA-Sequenzierung, in dieser Form untestbar gewesen.


Wie ich bereits angedeutet habe hat die Theorie auch einen mathematisch etwas schwierigen Teil: Formel, die von Kimura aus Diffusionsgleichungen ableitete, da Mutationen ähnlich diesem physikalischen Prinzip in die Population “diffundieren”. Für die durchschnittliche Zeit zwischen dem entstehen der Mutation und ihrer Fixierung konnte er 4Ne Generationen ermitteln.
Mutationen, die zum verschwinden verurteilt sind tun dies dagegen im Durchschnitt innerhalb von

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[6]

Generationen.
Mutationen die verloren gehen tun dies also in wesentlich kürzerer Zeit, als solche die fixiert werden.

Nehmen wir nen weiter ein Modell mit unendlich vielen verschiedenen möglichen Allelen an, gibt

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[7]

die erwartete durchschnittliche Homozygotie über alle Loci unter Neutralität in einem Gleichgewichtszustand von Mutation und Verlust der Mutationen durch Drift. u ist dabei die wieder die neutrale Mutationsrate. Die Formel hat eine schöne Herleitung auf die ich in späteren Posts zurückkommen werde, da dafür noch weitere Konzepte erklärt werden müssen.
Eine Homozygotie von 1 beschreit den Zustand eines Locus (Genort) an dem nur eine Allel in der Population vorhanden ist, folglich also alle Individuen homozygot sind. Dieser “Zustand” ist heute erkennbar indem man den betreffenden Locus für genügend Individuen der Population sequenziert, diese Technik war allerdings erst seit den achtziger Jahren verfügbar und auch bis in die neunziger für eine breite Anwendung noch zu teuer und arbeitsaufwändig.
Man hat nun bereits zu Kimuras Zeit festgestellt, dass diese Voraussagen über Homozygotie für anhand von Allozym -Polymorphismen gewonnenen Daten nicht immer mit der Realität übereinstimmen. Allozyme waren in der Zeit nach der Entwicklung der Populationsgenetik lange Zeit das einzige Werkzeug um Einblicke in die Genetik jenseits von morphologischen, diskreten Merkmalen, wie sie Mendel benutzt hatte, zu erlangen. Genaueres darüber kann man in diesem Post nachlesen!

Für die meisten Daten wird aus historischen Gründen, die wir noch kennen lernen werden, eher die die Heterozygotie als die Homozygotie angegeben. Da jeder Lokus entweder im einen oder im anderen Zustand vorliegt, ist der Zusammenhang zwischen beiden Messwerten aber ein einfacher: Die Heterozygotie (H) ist 1- die Homozygotie. Deshalb ist die einfache Umformung von Formel [7]:

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[8]

Im nächsten Post werde ich zunächst auf die nahezu neutrale Version der Theorie eingehen, dann sind die Grundlagen vorhanden um einige Veröffentlichungen -auch aktuelle- zu besprechen.

Kommentare (4)

  1. #1 Marcus Anhäuser
    März 19, 2009

    Hallo Emanuel,

    nimm mir das jetzt nicht krumm, vielleicht bin jetzt auch nur vorbelastet, wegen deiner angekündigten Kritiken an wissenschaftsjournalistischen Texten, aber ich habe mal eine Frage:

    Wen hoffst Du mit diesem Text zu erreichen? Studenten deines Faches oder eher ein Laienpublikum? Ich glaube im zweiten Fall, könnte das schwierig werden …

  2. #2 rolak
    März 19, 2009

    Na das kann ich doch fachlich fundiert kommentieren, da ich in punkto [Evolutions]Biologie ein Laie bin 🙂
    Abgesehen davon, daß es sich gut liest – ich finde es sinnvoll, wenn Überblick schaffende Arbeiten einem potentiell breiten Publikum vorgelegt werden. Mir hilft es, einen Überblick über die Ergebnisse der Forschung zu erhalten, tieferes lokales Einarbeiten ist dann immer noch möglich. Aber schon lapidare Zwischenergebnisse wie

    Mutationen die verloren gehen tun dies also in wesentlich kürzerer Zeit, als solche die fixiert werden.

    sind doch ziemlich förderlich.

  3. #3 Emanuel Heitlinger
    März 19, 2009

    Ich versuche zu erreichen: Studenten meines Faches, interessierte Laien, Queereinsteiger aus anderen etwas mathematischen Disziplinen, mich selbst um Dinge nachzuschlagen.

    AWL wir wohl ne recht bunte Mischung sein ich hoffe, dass ein paar Formeln niemanden abschrecken. Es wird ja auch leichtrere Kost geben, die dann auch besser zum Thema Wissenschaftjournalismus passt.

    Danke rolak!

  4. #4 Tobias
    März 19, 2009

    Auch von hier Zustimmung zu der Serie über Evolution, und danke für diesen und folgende Beiträge. Die Frage von Marcus, wen du mit solchen Blogposts erreichen willst, ist berechtigt aber irrelevent. ScienceBlogs ist kein journalistisches Netzwerk, sondern eine Plattform für bloggende Wissenschaftler.