2

 

Oha! Ein gewaltiger Ausreißer nach unten, ein neuer Tiefstwert. An sich ist die Entwicklung der Eisbedeckung äußerst dramatisch, aber ein einzelner Datenpunkt, erst recht ein Outlier, sagt nur wenig aus. Wie mag die Eisbedeckung weiter verlaufen sein?

Müssen wir eine zweite Regressionsgerade einzeichnen, viel tiefer als die erste – macht der Verlauf der Eisbedeckung also einen Sprung? Oder ist vielleicht eine andere Regressionskurve höheren Grades (also eine gebogene) besser geeignet? Werden die Jayhawks nach 11 gewonnenen Spielen auch in der darauffolgenden Season 11 Spiele am Stück gewinnen?

2013:

3

 

Wer bis hierhin gelesen hat, wird davon wenig überrascht sein. Auf einen Outlier folgt mit einer großen Wahrscheinlichkeit eine Rückkehr zum Mittelmaß, eine Regression zur Mitte – wobei die Mitte hier eine abfallende Gerade ist. Es kam genau das heraus, was die meisten erwartet haben, der “Eiszuwachs” (mit ganz dicken Anführungszeichen) von 2012 auf 2013 ist keine Überraschung.

Aber es gibt noch ein weiteres Problem, eine Wahrnehmungsfalle – je dichter sich die Eisbedeckung dem Nullpunkt nähert, desto größer werden die prozentualen Unterschiede zwischen den einzelnen Minima. Man könnte den Unterschied zwischen 2012 und 2013 so auslegen, als sei das Eis drastisch angewachsen – wenn man die absoluten Minimalwerte nimmt, kommt man sogar auf 60%. Für viele ein gefundenes Fressen, um Leser oder Zuhörer mit großen Prozentzahlen zu beeindrucken.

Letztes Jahr nutzte der Vorsitzende der UK Independence Party, Nigel Farage, in einer Rede im europäischen Parlament den “Anstieg” als ein Hauptargument, warum Klimaschutz völliger Käse sei und hatte sich dafür sogar zwei Satellitenfotos ausgedruckt. Die UKIP holte in der darauffolgenden EU-Wahl übrigens die meisten Stimmen in Großbritannien. (Timestamp bei Minute 2:20)

60% Anstieg innerhalb eines Jahres! Potzblitz! Das sind ja in 10 Jahren eine Versechsfachung der Eisfläche! Alles Klimaschwindel!

 

Die Bild-Zeitung schrieb vor wenigen Tagen: Und die Polschmelze? Vergangenen Sommer wuchs die Eisfläche in der Arktis im Vorjahresvergleich um 60 Prozent. 20 Schiffe mussten von Eisbrechern befreit werden. (Link)

Dass der “Anstieg” um 60% wegen der Regression zur Mitte zu erwarten war und der Absolutwert damit immer noch einer der niedrigsten überhaupt ist, möchte die Bild ihren Lesern hingegen nicht mitteilen. Enttäuschend, da ich die Bild bisher in der Berichterstattung über den Klimawandel eigentlich ganz gut fand.

Ins gleiche Klo greifen auch die BZ Berlin (die dem Zuwachs einen ganzen Artikel widmete), die Daily Mail (“And now it’s global COOLING! Return of Arctic ice cap as it grows by 29% in a year”) und Fox News (“Arctic Sea Ice up 60 percent in 2013”). Vermutlich gab es noch viel mehr, das sind nur ein paar, die ich auf die Schnelle ergoogelt habe. Die genauen Prozentzahlen weichen ein bisschen voneinander ab, je nachdem mit welcher Definition von Meereis man arbeitet und ob man die Minimalbedeckung oder die Durchschnittsbedeckung nimmt.

Für den September 2014 gibt es übrigens noch keine Daten, aber für den August, was dann auch unsere Grafik von oben vervollständigt:

Figure3

 

Wie manche das wohl drehen werden? Ich glaube diesmal nicht, dass jemand daraus eine Schlagzeile machen wird. Schließlich wird der prozentuale Zuwachs von 2013 auf 2014 nur minimal sein. Dass man aus der Entwicklung der Eisbedeckung von einem Jahr zum nächsten genauso wenig eine Aussage treffen kann, wie aus zwei am Strand auslaufenden Wellen das Eintreffen von Ebbe oder Flut bestimmen zu wollen, sei dahin gestellt.

Der Zeitpunkt des völligen Abschmelzens lässt sich nur sehr grob abschätzen, nach meinem Eindruck gehen die meisten Klimawissenschaftler von etwa 10-50 Jahren aus – auf jeden Fall viel schneller, als noch zu Beginn der Satellitenmessungen vermutet wurde. Wenn wir die obige Grafik als Richtwert nehmen, erkennen wir ein Abfallen von etwa 0,75 Mio. km² pro Jahrzehnt mit einer Schwankungsbreite von etwa 1,5 Mio. km² von Jahr zu Jahr.

1 / 2 / 3

Kommentare (13)

  1. #1 Jürgen Schönstein
    18. September 2014

    Freut mich, wieder von Dir zu lesen. Sehr gut und anschaulich geschrieben!

  2. #2 Florian Freistetter
    18. September 2014

    Hu! Das war wohl die bisher längste Pause zwischen zwei Blogartikeln… 😉

  3. #3 Georg Hoffmqnn
    18. September 2014

    Anzug? Das geht bei einem Geologen doch gar nicht, oder?

    Die Sommerseeeisbedeckung koennte schon gut nichtlinear reagieren. Es ist soviel Volumen weggeschmolzen, dass der Rest von einer unguenstigen Wetterlage mal weggeschoben werden kann oder besonders effektiv schmilzt oder beides. Dass auch dass Winterseeeis verschwindet wird wohl keiner der hier postet, noch erleben. Man kann ja auch mal was Positives sagen.

  4. #4 Ole Sumfleth
    18. September 2014

    @Jürgen

    Danke!

    @Flo

    Tolkien hat beim Herr der Ringe zwischendurch auch 18 Jahre lang Pause gemacht und nicht weiter geschrieben. Aber ich verspreche, den nächsten schneller zu schreiben, vielleicht wird er vor 2016 fertig!

    @Georg

    Als Nicht-Klimawissenschaftler scheint mir das auch logischer, dass sich das Abschmelzen eher beschleunigen wird, der Verlauf also wie eine ballistische Kurve sich dem Boden nähern wird. Ich finde aber auch Modelle, die eher einen asymptotischen Verlauf suggerieren. Allerdings habe ich mich da auch nicht besonders tief eingelesen.

  5. #6 MeineMeinung
    20. September 2014

    Ist wirklich alles so klar? Offenbar nicht, siehe auch hier: https://wiki.bildungsserver.de/klimawandel/index.php/Arktisches_Meereis#Projektionen

    Zitat aus dem Link:
    “Das Abschmelzen des arktischen Eises wird demnach durch verschiedene und gegenläufige Rückkopplungsmechanismen bestimmt. Dass hier ein sog. Kipp-Punkt vorliegt, hält die referierte Studie des Hamburger Max-Planck-Instituts für Meteorologie daher für unwahrscheinlich.”

    Wie immer, sicher ist nichts. Aber kein Grund, “Wahrheiten” nicht zu verbreiten bzw. Information zu filtern.

  6. #7 MeineMeinung
    20. September 2014

    Danke für die Moderation. Freie Meinungsäußerung ist hier offensichtlich nicht erwünscht. Schade.

  7. #8 Stefan Wagner
    https://demystifikation.wordpress.com/2014/09/18/schariapolice-mariapolice/
    20. September 2014

    Leider störend, dass die y-Achse nicht bis zum 0-Punkt geht.

  8. #9 Ole Sumfleth
    20. September 2014

    @MeineMeinung

    Durchaus richtig, die verschiedenen Rückkopplungsmechanismen scheinen bisher nur unzureichend verstanden. Ob das jetzt eher beschleunigt weitergeht, eher linear oder sich sogar eher abgedämpft und langsam (wie die Modelle in deinem Link, die aber meines Wisssens relativ alt sind) gegen Null geht, kann ich nur schwer beurteilen. Für den Kernpunkt dieses Artikels, das Verständnis kognitiver Verzerrungen, ist das allerdings auch eher nebensächlich. Da musst du Georg fragen 🙂

    Übrigens, die Moderation ist eigentlich nur wegen Spam. Ohne Moderation wären die Kommentare zu 90% chinesische Kaufangebote für gefälschte Rolex oder Markenturnschuhe. Bei mir darf jeder alles schreiben, solange er keinen grob beleidigt.

  9. #10 Eheran
    21. September 2014

    Warum genau hängen sich eig. immer so viele am nördlichen Eis auf?
    Hier noch, warum mir das nicht einleuchtet:
    Die Arktis besteht aus ~15’000 km³ Eis.
    Die südlichen Eismassen beinhalten jedoch über 26’000’000 km³ Eis.
    Die Arktis hat also selbst zum Jahreshöhepunkt nur ein 1’000’stel des Eises der Antartkis.

  10. #11 Desolace
    21. September 2014

    @Eheran:
    So darfst du an die Sache nicht rangehen! Das Arktiseis ist deshalb so wichtig, weil daran ein komplettes Ökosystem dranhängt (wortwörtlich). Nicht nur die Eisbären sind extrem bedroht, auch der Rest der dort lebenden Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen sind gefährdet! Direkt unter den Eisschollen lebt zB verschiedener Krill, die wiederrum Nahrung für viele Arten sind. Und die Fischer dort haben auch rießige Probleme, weil die Fische zwar nicht immer unbedingt wegsterben, sondern einfach “nur” ihre Wanderrouten und Laichplätze verlegen. Da sind schon ganze Dörfer “umgezogen”.
    Und das sind jetzt nur zwei Beispiele. Es gibt tausend gute Gründe, warum das Wegschmelzen der Arktis aufgehalten werden muss. Da hilft es leider nicht, wenn die Antarktis auch noch so groß ist….

  11. #12 F.Jeschke
    22. September 2014

    Klingt das nicht irgendwie anders?
    Zhang, J., 1993: A high resolution ice-ocean model with imbedded
    mixed layer. Ph.D. thesis, Dartmouth College, 229 pp. [Available
    from Dartmouth College, Hanover, NH 03755.]
    ——, and D. A. Rothrock, 2001: A thickness and enthalpy distribution
    sea-ice model. J. Phys. Oceanogr., 31, 2986–3001.
    ——, and——, 2003: Modeling global sea ice with a thickness and
    enthalpy distribution model in generalized curvilinear coordinates.
    Mon. Wea. Rev., 131, 681–697.
    …..”Finally, it is necessary to point out that so far we have
    only focused on the satellite era of 1979–2004 during
    which both the model and observations show an increasing
    Antarctic sea ice cover under warming conditions
    in both the atmosphere and the ocean. This appears
    to be also true over the period 1948–2004 according
    to the model (Fig. 11). Although the modelsimulated
    Antarctic sea ice extent stays flat, the
    simulated total sea ice volume increases over 1948–2004

  12. #13 Eheran
    23. September 2014

    Danke für die Informationen.

    “Es gibt tausend gute Gründe, warum das Wegschmelzen der Arktis aufgehalten werden muss.”
    Ich denke, dass wir das selbst mit einem sofortigen halbieren sämtlicher Emissionen nicht verhindern würden. Dann würde die CO2-Konzentration noch auf dem jetzigen Niveau bleiben, wo ja schon eine massive Reduktion des Eises stattfindet. Dann sind Sättigungen der Meere zu erwarten, womit es trotz der gleichbleibenden Emission zu einem weiteren Anstieg kommen würde… habe da etwas von 20% der aktuellen Emissionen im Kopf, die in 50 Jahren noch resorbiert würden.
    Keine so rosigen Aussichten…