“Früher war mehr Lametta!” So klagt Loriot über Weihnachten. “Früher war mehr Durchbruch!” So nutze ich den Satz, um den Durchbruch des Jahres 2007 zu kommentieren, den “Science” in diesen Tagen ankündigt. Was ist der Durchbruch? Die Variation des menschlichen Genoms! Die Variation des menschlichen Genoms? Was soll denn zu durchbrechen sein, außer dem eigenen Vorurteil, daß es da mehr Invarianz als Varianz gibt. Was ist überhaupt “das” Genom? Auf keinen Fall etwas in lebenden Zellen oder gar Organismen, sondern irgendwelche Daten in irgendwelchen Computern, die irgendwelche Leute als menschliches Genom deklarieren. Wenn wir auf sie weniger hören würden – das wäre der Durchbruch des Jahres. Auf ihn warten wir.
Früher produzierte die Wissenschaft Einsichten. Seit den 1960er Jahren produziert sie Durchbrüche, wobei sie das Wort nicht aus der Medizin (Magendurchbruch), sondern aus dem Militär übernommen hat. Bei einem Durchbruch gibt es Sieger und Verlierer, und die Frage, wer dabei wer ist, wird spannender, seit das amerikanische Science Magazin den Durchbruch des Jahres zelebriert. Letzes Jahr wurde der Beweis von Poincares Hypothese gefeiert, und die Verlierer sind die Mathematiker, die ihn nicht zustande gebracht haben. Ein Verlust, mit dem die Welt leben kann. Dieses Jahr sind es die genetischen Variationen des Menschen, und in dem Zusammenhang wird uns zum x-ten Mal erläutert, wie gut die Wissenschaft nun Krebs, Diabetes, Autismus und all die Dinge versteht, die in der Öffentlichkeit schon Interesse wecken, wenn nur das Wort fällt. Aber die Wissenschaft verspricht schon seit Jahrzehnten, daß sie den entscheidenen Durchbruch geschafft habe. Daraus kann selbst ein wohl wollender Beobachter nur den Schluß ziehen – die Wissenschaft besiegt sich selbst. Auf den Durchbruch können wir verzichten.
Was nun die genetischen Variationen angeht, so steckt hinter dem wissenschaftlichen Durchbruch die Hoffnung auf einen kommerziellen, und der wird dann gelingen, wenn es billiger als bisher wird, das Genom einer Person zu sequenzieren. Wir laufen dann alle mit einer CD umher, auf der irgendwelche Daten aus irgendwelchen Zellen stehen, und jemand wird uns belehren, daß ich mich selbst damit auf der Scheibe habe. Ich lege sie in einen Computer und sehe, was ICH SELBST bin – so die Hoffnung der Genetik. Man hätte glatt Lust, Buddhist zu werden, wo es so etwas garnicht gibt und wo man mehr Respekt vor Personen hat. Nur – was macht der Dalai Lama, wenn man ihm seine Sequenz gibt?
Kommentare (3)