i-a0754665b33ab9eec9767c27cde2bf3e-Venus_von_Willendorf_01.jpgRiesige Brüste, breite Hüften, üppige, weibliche Rundungen. Das sind die Merkmale, die jedem Betrachter sofort auffallen. Dabei handelt es sich um die ältesten Zeugnisse für figürliche Kunst und sie dokumentieren, wie veränderlich Schönheitsideale sind. Die Rede ist von den Venus-Figuren des (Jung-)Paläolithikums. Allen voran die weltberühmte Venus von Willendorf, die heute im Naturhistorischen Museum in Wien zu sehen ist.

Es war übrigens ein österreichischer Eisenbahnbauarbeiter, der im August 1908 diese elf Zentimeter große Figur aus Kalkstein als erster moderner Mensch in Händen hielt. Der Fund war natürlich eine archäologische Sensation, denn mit ihrem Alter von etwa 27.000 Jahren gehört die Venus von Willendorf zu den ältesten menschlichen Figuren der Welt.

Aber die kleine Figur, die lange Zeit ausschließlich als religiöses Kultobjekt interpretiert wurde (man ging davon aus, dass die Venus eine Darstellung einer Art „Muttergöttin” ist), ist bei weitem nicht die einzige steinzeitliche Statue, die eine nackte Frau zeigt. Erst vor zwei Jahren wurde auf der Schwäbischen Alb eine Frauenstatuette aus Mammutelfenbein entdeckt, die einfach phantastisch ist. Und die „Venus vom Hohle Fels” (wie sie nach ihrem Fundort benannt ist) ist sogar noch einiges älter, als die Willendorfer Figur. Vor mindestens 35.000 Jahren – so sagen die Experten – wurde sie hergestellt. (Die Ausgrabungen wurden vom Tübinger Urgeschichtler Prof. Nicholas Conard durchgeführt.)

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Hohle Fels Venus: Ansicht von vorne und von der Seite; Foto: H. Jensen, Copyright Universität Tübingen

Die Venusfiguren haben – obwohl sie jeweils durchaus Unterschiede aufweisen – doch einige ganz charakteristische Merkmale gemeinsam. Die Kopfpartie ist meist kleiner, auch Arme und Beine sind unproportional dargestellt. Hervorgehoben sind Bauch, Po und Brüste.

Was will uns diese Akzentsetzung sagen? Wozu dienten die Figuren? Was war das Motiv solche Schnitzereien und Statuen herzustellen? Wenn man sich die Literatur durchsieht, dann wird deutlich, daß sich die Experten hier nicht einig sind. Es werden ziemlich verschiedene Interpretationen diskutiert.

Frühzeitliche Erotica?

Manche Forscher gehen offenbar davon aus, daß die Figuren wohl vornehmlich von Männern angefertigt wurden – die Venusstatuetten hätten eine sexuelle Bedeutung, eher vergleichbar mit heutigen Pin-Up-Girls. Sind die Venus von Willendorf und ihre Schwestern also nichts anderes als Zeugnisse von Steinzeit-Porno?

Die Interpretationen gehen weit auseinander: Stehen die Figuren für Fruchtbarkeit, sind sie Zeugnisse von Naturreligionen oder “nur” pornografisches Anschauungsmaterial?

Eine ganz andere Lesart schlägt etwa die US-Anthropologin Sarah Blaffer Hrdy vor. Sie vertritt – wie Michael Blume schreibt – eher eine „Starke-Frauen-Hypothese”. Demnach wären die Figurinen eher als weibliches Fruchtbarkeitsidol zu verstehen. Der dicke Bauch verweist auf die Schwangerschaft, die explizite Darstellung der Geschlechtsorgane hat eine Fruchtbarkeitssymbolik.

Idealisierungen: Schönheit als Ziel- und Wunschvorstellung?

Es gibt daneben noch viele, viele weitere Interpretationen – interessant ist aber folgender Aspekt: in den Zeiten, in denen die Venusfiguren angefertigt wurden, war eher Unterernährung ein Problem. Die Körperfülle der Venusfiguren lag vollkommen jenseits der Realität. Ganz egal, ob wir die Statuen nun als Zeugnis von religiösen Praktiken, Fruchtbarkeitsdarstellungen oder als pornografische Anschauungsobjekte betrachten: klar ist, daß die Figuren eine Idealfigur bzw. Idealform repräsentieren. Und dieses Ideal trägt Elemente (die Körperfülle, ausgeprägte Brüste etc.), die in der Wirklichkeit nicht anzutreffen waren.

Und vielleicht lernen wir daraus sogar etwas über unsere modernen Schönheitsideale. Denn sind die nicht auch immer auch geprägt von einem Streben nach (möglicherweise unerreichbarer?) Perfektion?

Literatur / Links:

Kommentare (12)

  1. #1 radicchio
    Juni 4, 2010

    ja, die veränderlichen schönheitsideale … wenn eines fernen tages jemand einen picasso ausbuddelt, was mag er von uns denken?

  2. #2 miesepeter3
    Juni 4, 2010

    Auch heute noch sind bei einigen Naturvölkern die Schönheitsideale dick. Das bedeutet genug Reichtum, um sich regelmäßig satt essen zu können. Und so werden z.B. die Lieblingsfrauen der Häuptlinge “gemästet”. Sie werden dann so dick, dass sie kaum noch in der Lage sind, sich normal fortzubewegen. Da ist man dann schon im Bereich der ausgegrabenen Venusse. Venusien? Verdammt, wie ist der korrekte Plural von Venus?
    Auch bei uns im Westen, vornehmlich in Amerika, gibt es Männer, die Ihre Frauen in dieser Weise mästen. Mann nennt sie “Feeder”. Aber hier ist die Intention wohl mehr der Gedanke, das die Damen dann nicht mehr weglaufen können, also mehr ein Problem des mangelnden Selbstbewußtseins. Aber die finden das eben sexy, also sind wir auch wieder irgendwie bei der Venus von Willendorf und ihrn Schwestern.

  3. #3 Bernd
    Juni 7, 2010

    “…in den Zeiten, in denen die Venusfiguren angefertigt wurden, war eher Unterernährung ein Problem.”
    Ist das sicher so? Z.B. durch Knochenanalysen nachgewiesen? Ich denk immer, bei der geringen Bevölkerungsdichte damals muss es doch vergleichsweise leicht gewesen sein, mehr als ausreichend Nahrung zu finden. Außerdem gab’s doch sicher vielviel mehr Wild, Vögel (Eier), Beeren etc. als heute hierzulande. Klar, wer fett ist, kann schlecht jagen. Aber sonst?

  4. #4 Marc Scheloske
    Juni 7, 2010

    @radicchio:

    man mag es sich gar nicht ausdenken. 😉

    @miesepeter3:

    Klar, dafür, dass Körperfülle auch heute noch als Schönheitsideal anzutreffen ist, gibt es einige Beispiele. Wobei es sicher weniger die von Dir erwähnten speziellen Vorlieben innerhalb moderner Industriegesellschaften sind (die ich eher als Fetisch einordnen würde), als eben indigne Kulturen, die man hier nennen muß. Hier wird ersichtlich, daß solche Normvorstellungen soziale Konstrukte sind.

    @Bernd:

    Es stimmt, daß eine pauschale Aussage a la “in der Steinzeit war Unterernährung ein Problem”, sehr problematisch sind, da wohl zu wenig handfeste Daten vorliegen. Deshalb habe ich meine Aussage oben auch relativiert und geschrieben: “… war eher Unterernährung ein Problem.”

    Man muß natürlich auch berücksichtigen, daß die paläolithische Periode insgesamt zigtausende Jahre reicht und hier im Verlauf und regional ganz unterschiedliche Ernährungskulturen gegeben waren. Da gab es Zeiten und Regionen, in denen der Speiseplan ausschließlich aus gesammelten Früchten bestand, andernorts dominierte Proteinreiche fleischliche Nahrung oder Fisch.

    Aber – und das zeigen die Analysen von Knochen, Zähnen etc. doch ganz gut – Nahrungsbeschaffung war immer an körperliche Aktivität gebunden. D.h. wer etwas essen wollte, der musste sich das erst mühsam und energiezehrend beschaffen (jagen, sammeln). Schon allein die Tatsache macht es eher unwahrscheinlich, daß die Zeiten ein Schlaraffenland waren. Und: man findet wohl (Analyse von Knochenzusammensetzung etc.) einige Indizien für Unterernährung/Mangelerscheinungen. Ergo: das Mammutsteak stand nicht jeden Tag auf dem Speisezettel (jedenfalls nicht ohne entsprechende körperliche Anstrengung).

  5. #5 Bernd
    Juni 7, 2010

    Nee, Schlaraffenland nun wohl wirklich nicht. Und klar: in Mitteleuropa war es sicher leichter als am Polarkreis oder am Rande der Wüste und zu Warmzeiten anders als zu Kaltzeiten. Spannend jedenfalls. Ich frag mich das schon lange, wie entspannt die Damen und Herren damals an ihre Nahrung gekommen sind. Ist es für Ackerbauern nicht auch eigentlich noch anstrengender als für Jäger und Sammler? Übrigens muss ich mich auch energiezehrend beschäftigen, bevor ich meine Münzen kriege, die ich dann gegen Lebensmittel tauschen kann…

  6. #6 S.S.T.
    Juni 7, 2010

    Vor ein paar Jahren hatte ich mal Jemanden zu einem Fotoshooting für etwas fülligere Damen begleitet. Auf der Terasse des Hotels (beim ersten Kennenlernen) wurden erst einmal die Stühle gegen die Stühle aus dem Restaurant ausgetauscht, denn diese hatten keine Armlehnen… Später wurde die Ankündigung laut beklatscht, dass die Fa. XY jetzt modische Kleidung in Größe 76 (!) herausbringt. Überraschenderweise hatten eigentlich alle Damen einen rel. normalgewichtigen Partner dabei und wie ich zumindest in einigen Fällen nebenbei erfuhr, mit dem ein lange Beziehung bestand. (Soweit ich weiß, wurde der Kalender ein Erfolg.)

    Ansonsten einfach mal wieder ein Blick auf die Gemälde von einem gewissen Rubens (hat ja auch seine sprichwörtliche Bedeutung) werfen.

    Tja, manche stehen halt auf Twiggys, andere mehr auf Damen aus Willendorf (bzw. ihren männlichen Pendants). Wo sollte sonst ein Deckelchen für jeden Topf herkommen?

  7. #7 radicchio
    Juni 7, 2010

    der blick in die fußgängerzone lehrt, dass entgegen dem ideal willendorfsches format heutzutage (watschelnd!) gänging ist. man könnte mutmaßen, dass ideale, falls diese venus überhaupt ein solches verkörpert, das gegenteil des gewöhnlichen abbilden.

  8. #8 Bernd
    Juni 10, 2010

    Schade, dass dieser Blog auf der Hauptseite nicht vernünftig verlinkt ist.

  9. #9 Marc Scheloske
    Juni 10, 2010

    @Bernd:

    Das Blog ist auf der Hauptseite verlinkt, wie alle anderen auch. Alle neuen Artikel sind im Blogticker mit dabei und in allen Kategorien. Und in der linken Seitenspalte findet man den Blog links unten unter “Gastblogs”. (Das ist zugegebenerweise sehr weit unten, aber eben so üblich bei uns.)

    Es wird allerdings – nächste Woche (wenn wir also noch ein wenig mehr Inhalte haben) – für einige Zeit ein extra Hinweisbanner auf unserer Startseite platziert. Dann ist das Blog deutlich prominenter sichtbar, als alle anderen Blogs.

    Aber dennoch Dankeschön für den Kommentar. Anscheinend gefallen Dir ja die bisherigen Postings. 🙂

  10. #10 Bernd
    Juni 10, 2010

    Oh weh, mit Blindheit bin ich geschlagen! Stimmt natürlich.

  11. #11 Christian
    Juli 14, 2010

    Es ist eine interessante Frage inwieweit unser Schönheitsideal biologisch verankert ist. Ich denke, dass es biologisch wenig bringt Dicke hässlich zu finden, allerdings bringt es ebenso wenig etwas dünne Frauen hässlich zu finden, gerade weil es meist eher an der Nahrungssituation gelegen hat. Allerdings könnte ich mir vorstellen, dass einige Faktoren, die eine gute Bewertung von Fruchtbarkeit und Fitness erlauben bei dünnen einfacher ist, weswegen für diesen Typ vielleicht mehr Merkmale eingespeichert wurden. Es dürfte ja auch weit weniger die heutige Konkurrenz zwischen Dicken und Dünnen gegeben haben, ich vermute mal, dass entweder alle aus der Gruppe eher dick waren oder alle eher dünn, da Nahrung innerhalb der Gruppe geteilt wurde. Zudem haben dünne Frauen den Vorteil, dass man besser erkennen kann, ob sie schwanger sind, was bei der Partnerwahl eine Rolle gespielt haben könnte.
    ich habe ein paar weitere Überlegungen mal in einem Blogbeitrag verarbeitet

  12. #12 Michael Blume
    Juli 21, 2010

    Haben wir evolutionär erworbene Präferenzen in Sachen Schönheit? Das ist wirklich eine spannende Frage! Mir fällt dazu spontan das erotisch angehauchte Hohelied Salomos ein, das aber sicher auch auf volkstümliche Traditionen zurück ging und noch im ersten Jahrhundert n.Chr. als Liebeslied in Wirtshäusern gesungen wurde. Dort heißt es z.B.:

    “Deine Füße sind zierlich
    in den Schuhen, du Fürstin!
    Und das Rund deiner Hüften
    ist das Werk eines Künstlers!
    Einer Schale, der niemals
    edler Wein fehlen möge,
    gleicht dein Schoß, süßes Mädchen!
    Wie ein Hügel von Weizen
    ist dein Leib, rund und golden
    und von Lilien umstanden.
    Deine Brüste sind herzig
    wie zwei junge Gazellen.”

    Aber später eben auch:
    “Du bist schön wie keine andre,
    dich zu lieben macht mich glücklich!
    Schlank wie eine Dattelpalme
    ist dein Wuchs, und deine Brüste
    gleichen ihren vollen Rispen.
    Auf die Palme will ich steigen,
    ihre süßen Früchte pflücken,
    will mich freun an deinen Brüsten,
    welche reifen Trauben gleichen.”

    @Marc, bitte beim Deuten helfen! 🙂
    https://www.deutsche-liebeslyrik.de/lied/h_l_heutiges_deutsch_1992.htm