Warum Rot? Warum wohl war Rot die Farbe, mit der alles begann. Einige Anthropologen vertreten eine These, die ein wenig unappetitlich ist. Aber wer kann darauf schon Rücksicht nehmen. Es geht um Blut und das M-Wort.
An den archäologischen Fundstellen im südlichen Afrika entdeckten Forscher immer wieder rotes Pigment, vor allem das rot leuchtende Hämatit und der Ocker, der seine Farbe durch Erhitzen von orange/erdfarben in Rot verwandelt. Weil diese Farbpigmente auch heutigen ursprünglichen Gesellschaften noch zum Bemalen der Haut verwendet wurde, gehen Wissenschaftler davon aus, dass dies auch schon vor 200.000 Jahren oder noch früher der Fall war. Und daher könnte dies der Beginn dieser ganzen Geschichte des „schöner machens” gewesen sein – um es mal ganz einfach auszudrücken.
Warum Rot? Es könnte einfach Zufall gewesen sein. Wenn es in einer Gegend viel dieses Eisenerzes gab, was hätte man sich sonst auf die Haut schmieren sollen, wenn man der Meinung war, dass das irgendeinen Sinn ergibt.
Zeichen auf der Haut, so argumentieren einige Wissenschaftler, eröffneten den frühen Menschen einen neuen Raum, einen Raum der Symbole. Sie gaben ihnen die Möglichkeit eine kollektive Identität aufzubauen, weil Angehörige einer Gruppe ähnliche Zeichen verwendeten. Doch das hätten auch grüne oder blaue oder was auch immer für Farben sein könne, die die Natur so hergibt. Es war aber wohl Rot. Es blieb auch dabei, ein wenig erweitert um den erdfarbenen-orange-beigen Farbraum. Denn auch als der Mensch sich in Afrika ausbreitete und schließlich Richtung Mittlerer Osten wanderte, um dann den Rest der Welt zu erobern, blieb seine Lieblingsfarbe Rot, wie die Pigment- und Ockerfunde belegen.
Die Anthropologen Chris Knight und Camilla Power von der University of East London vertreten seit einigen Jahren eine These, die ein bisschen etwas unappetitliches hat. Zumindest ist das M-Wort, auf das sie abzielen, vielen Frauen unangenehm. Es geht um Blut (rolak vermutete schon richtig). Das Blut der Menstruation. Die beiden Anthroplogen schreiben dazu in ihrem Artikel „Blutrot”:
“Warum rot? (…) Um das zu beantworten, müssen wir zurück in die Zeit vor der Kultur und Darwins Theorie der Sexuellen Selektion auf die Situation der sich entwickelnden Menschen der letzen halben Millionen Jahren anwenden. Frauen hatten ein gravierendes Problem: Wie treibe ich genug Energie für einen Nachwuchs auf, dessen Gehirne stetig größer werden und metabolisch betrachtet sehr teuer sind. Sie brauchen zunehmend mehr Unterstützung durch jagende Männer für ihren Nachwuchs. In der Welt Darwins mit ihrem sexuellen Wettstreit könnten die Männer indes mehr daran interessiert gewesen sein, neue, fruchtbare Frauen zu finden, als die Bedürfnisse stillender Mütter und ihrer Kinder zu befriedigen.”
Nun, so ganz ist jetzt noch nicht zu erkennen, wo da die rote Farbe ins Spiel kommen soll. Nur, es ist wichtig die Grundkonstellation zu erkennen. Wie immer sind genetische Interessen im Spiel: “Warum soll ich diese Frau unterstützen, die ein Kind versorgt (das vielleicht meines ist, aber sicher kann ich mir nicht sein), wenn ich doch relativ schnell und einfach mehr Nachwuchs habe kann, wenn ich mich nach der nächsten Gelegenheit umschaue.”
Aus Sicht der Frau (was mir jetzt etwas schwerer fällt), sieht die Situation ganz anders aus: “Verdammt, ich brauche Unterstützung, weil mir der Kleine mit seinem Heißhunger jede Kraft raubt. Der Vater meiner Kinder sollte mich gefälligst mit ausreichenden Fleischmengen versorgen anstatt auf Brautschau zu gehen.”
Also wie kommt da jetzt das Rot ins Spiel (und ich muss zugeben, dass ich die These in manchen Momenten für ein wenig weit hergeholt und spekulativ halte, aber das ist oft so bei diesen evolutionären Ansätzen. Man kann sich plausible Szenarien überlegen, aber man kann sie nur schwer überprüfen. Irgendwie läufts oft auf ein „may be” hinaus).
Was also jetzt? Was schlagen Knight und Power nun vor:
„Frauen zeigen, anders als unsere nächsten Verwandten die Schimpansen, keine Anzeichen ihrer fertilen Phase. Andererseits ist es für Frauen aber auch nicht so einfach, die Zeichen der Menstruation zu verbergen. Die Periode zeigt ziemlich klar an, welche Frauen demnächst fruchtbar sind neben den anderen Frauen, die schwanger sind und stillen. Männern könnten daher ihr ganzes Interesse auf die Frauen im Zyklus konzentrieren und die anderen, die die schwerste Last tragen, ignorieren.”
Ein Einschub von mir: Man sollte nicht vergessen, dass Frauen zwar Vorteile daraus ziehen könnten, solange sie im Zyklus sind, aber sobald sie selbst schwanger sind, richtet sich das Interesse der Männer von ihnen weg. Das heißt, jede Frau im gebärfähigen Alter profitiert zwar eine kurze Zeit vom Interesse der Männer, aber während der viel längeren Zeit des Stillens, standen sie alleine da. Da letztlich also alle Frauen unter dieser Konstellation zu leiden hatten, während die Männer profitierten, erzeugte dies einen evolutionären Druck für Veränderung.
Jetzt kommen Knight und Power endlich zum Punkt:
„In der Evolution menschlicher Frauen standen sie zwei theoretischen Möglichkeiten gegenüber: Eine Möglichkeit, um zu verhindern, dass Männer sich den wertvollen menstruierenden Frauen näherten wäre es, ihr Signal vor den Männern zu verstecken. Die andere Antwort war, dass Frauen sich in Koalitionen zusammentaten und kosmetische Rituale veranstalteten, sich gegenseitig mit blutig-roten Farben bemalten und so eine Kultur der Symbole hervorbrachten. Auf diese Weise demonstrierten sie ihre Solidarität als eine Sippe gegenüber den jagenden Männern, sie zeigten, dass man sie nicht aufteilen kann. Die rote Kosmetik symbolisierte nicht so sehr ‚Menstruation’ als viel mehr ihr Gegenmittel, das heißt als „Tabu” oder „magische Kraft”, und schuf für die Frauen geheiligten Raum und Zeit.”
Klar soweit? Na, geht so. Die beiden drücken es ein bisschen kompliziert und vielleicht auch pathetisch aus (und erschweren einem die Übersetzung). Dazu muss man wissen, dass diese ganze Menstruations-Kultur-Geschichte eine These ist, die Chris Knight schon Ende der achtziger Jahre entwickelt hat und Camilla Power, die dann bei ihm Doktorandin war, das ganze noch etwas weiter ausgebaut hat (hier geht’s zu ihrer Doktorarbeit von 2001(pdf))
Um was es dabei im Kern geht, hat Power viel klarer in einem Artikel zusammengefasst, den sie 2004 unter dem Titel „Woman in prehistoric art (pdf)” in dem Sammelband „New Perspectives On Prehistoric Art” veröffentlichte.
Dabei geht es um nichts weniger als dass es eigentlich Frauen waren, die eine Kultur der Symbole und Kunst hervorbrachten.
Es beginnt alles, wie schon beschrieben, mit dem stetig wachsenden Gehirnen bei Homo heidelbergensis und dem frühen Homo sapiens in einem Zeitraum vor 500.000 bis 130.000 Jahren. „Das erhöhte den reproduktiven Stress“, schreibt Power. Je größer das Gehirn wurde, desto mehr Energie benötigte der Nachwuchs. Es kommt zum Konflikt zwischen Männern und Frauen, wer denn bitte schön, die Kinder versorgt. Jetzt kommt die Menstruation ins Spiel und damit auch die rote Farbe, denn so Power:
„Nachdem der Eisprung bei Frauen in der menschlichen Linie nicht mehr erkennbar war, wurde die Menstruation [mit all ihrem Blut, Anm. von mir] zum einzigen Indikator für eine bevorstehende Fruchtbarkeit. Während also ein versteckter Eisprung den Männern Informationen vorenthält, untergräbt das offensichtliche menstruelle Signal diesen Effekt, und markiert so den Unterschied zwischen demnächst fruchtbaren Frauen von Schwangeren und Stillenden.”
Soweit kennen wir das schon. Es geht um Interessen und das Verschleiern von Informationen im kostspieligen Spiel der Evolution. Wollten Frauen in diesem Konflikt nicht verlieren, mussten sie sich etwas einfallen lassen. Und das konnte ihnen vielleicht auch wegen der größeren Hirnkapazitäten gelingen. Im Kampf um die Eigeninteressen war es offenbar besser zu kooperieren und sich gegen die Männer zusammenzutun:
„Um der Diskriminierung der Männern zwischen Frauen im Zyklus und Frauen außerhalb des Zyklus etwas entgegenzusetzen, begannen Frauen des archaischen/frühen modernen Homo sapiens Koalitionen zu schmieden und kosmetisch die menstruellen Signale zu manipulieren – durch Scheinmenstruation [sham menstruation ist das wissenschaftliche Stichwort, Anm. von mir]. Der gemeinsame, täuschende, verstärkte Einsatz von roten Pigmenten als Körperfarbe verwischte die vorhandenen Informationen über den reproduktiven Status vor den Männern, und formte somit gewissermaßen eine Vorstufe zum Ritual.”
Jetzt haben wir es aber. In einem Satz und in Powers Original-Worten:
„The model is succinctly stated: cosmetic and symbolic signaling arose as a strategic response by female coalitions to the reproductive stress experienced as a result of rapid encephalization in the late Middle Pleistocene.”
Das kann man natürlich einfach mal so in den Raum stellen. In der Wissenschaft sollte ein Modell – und mehr ist es ja nicht – auch Vorhersagen erlauben, die man überprüfen kann und die dann das Modell verwerfen oder dazu passen. Darauf werde ich jetzt aber nicht mehr eingehen. Wen das interessiert, der sollte sich unbedingt Powers Artikel (pdf) durchlesen. Er ist lang, aber erklärt eine Menge und liefert eine Menge Daten zur Verteilung der roten Pigmente über die archäologischen Fundstellen, über Rituale bei heute noch lebenden usprünglichen Völkern und vieles mehr.
Einen einordnenden, leicht verständlichen Beitrag über Chris Knights Thesen (pdf) liefert ein New Scientist Artikel von 2001.
Das ganze ist natürlich eingebettet in eine generelle Entwicklung, die einhergeht mit dem größeren Hirnvolumen, und die zu etwas geführt hat, was es zuvor niemals gegeben hat und auch nicht geben konnte: eine kulturelle Explosion (der schönen Dinge). Davon beim nächsten Mal mehr.
Marcus Anhäuser ist freier Wissenschaftsjournalist. |
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