Schmuck ist eine durch und durch moderne Erfindung. Es ist sicherlich kein Zufall, dass die Herstellung von Schmuck ausgerechnet am Ende der Altsteinzeit immer populärer wurde und sich weiter ausbreitete. Wenn wir verstehen wollen, worin sich vormoderne und moderne Menschen und Kulturen unterscheiden, dann lohnt es sich, die Bedeutung des Schmucks näher in den Blick zu nehmen. Denn der moderne Mensch – so ließe sich pointiert zusammenfassen – , ist der Mensch, der sich schmückt.
Wir haben in den letzten Texten hier im Blog bereits gesehen, dass (menschheits-geschichtlich betrachtet) die Herstellung von Schmuck eine späte, aber umso erfolg- und folgenreichere Errrungenschaft ist. Erste Schmuckformen sind wohl knapp über 70.000 Jahre alt, dann vor etwa 40.000 Jahren werden dann offenbar erstmals ganz gezielt Schmuckstücke hergestellt. Es ist die Zeitspanne, in der Neandertaler und die zugewanderten Gruppen des modernen Menschen parallel in Europa leben und die Zeit, in der sich so etwas wie eine “kreative Explosion” vollzieht. Über Jahrmillionen hatten sich die technischen Fertigkeiten und kulturellen Muster allerhöchstens in Zeitlupe gewandelt. Jetzt aber werden neue Werkzeuge entwickelt, erste Kunstobjekte entstehen und der Mensch beginnt auch seine Verstorbenen zu bestatten.
Diese Phase der Jungpaläolithischen Revolution hat ja Marcus schon skizziert. Und im Hinblick auf die wachsende Bedeutung von Schmuckstücken in dieser Ära stellt er fest:
“Wann immer der Sinn für diese Dinge entstand, bei uns, beim Homo erectus oder dem Neandertaler. Spätestens 30.000 Jahren vor heute war Schönheit keine Sache der Natur mehr.”
Wieso Zeit, Energie und Rohstoffe für die Herstellung von Produkten aufwenden, die nicht unmittelbar lebensnotwendig sind?
Wie aber kam es dazu, dass nun auf einmal mit viel Geduld und Ausdauer aus Tierzähnen bspw. kleine Perlen geschnitzt wurden? In der gleichen Zeit hätte doch auch eine Speerspitze für die nächste Jagd angefertigt werden können? Wieso also Zeit, Energie und Rohstoffe für die Herstellung von Produkten aufwenden, die nicht unmittelbar lebensnotwendig sind?
Schmuck als Kommunikationssystem
Die Archäologen Seven L. Kuhn and Mary C. Stiner argumentieren, dass diese Entwicklung (die ja relativ gleichzeitig über verschiedene Kontinente hinweg beobachtet wird) mit der zunehmenden Bevölkerungsdichte zu tun habe. Im Gegensatz zu früheren Zeiten seien nun die Begegnungen mit Mitgliedern anderer (Menschen-)Gruppen immer häufiger geworden. Und Schmuckstücke dienten jetzt als schnelles Kommunikations- und Identifikationsinstrument.
An ihren Schmuckstücken erkannten sich die Gruppenmitglieder gegenseitig und die (soziale) Position innerhalb der Hierarchie wurde deutlich. Und fremde Personen waren natürlich sofort als Nicht-Gruppenmitglieder identifizierbar.
Um wirklich zu rekonstruieren, wie Schmuck genutzt wurde und welche Rolle er innerhalb des Gruppen- und Stammesgefüges hatte, ist die Quellenlage natürlich ein wenig dürftig. Es gibt die beschriebenen Funde von Perlen und Schnitzereien etwa aus Elfenbein; aber die weniger haltbaren Schmuckstücke (die es aller Wahrscheinlichkeit nach gegeben hat) aus Pflanzenfasern, Holz, Leder oder Federn sind natürlich nicht überliefert. Dennoch sind sich viele Experten einig, dass Schmuck vermutlich eine zunehmende Rolle als Kommunikationsmittel spielte. Wer sich schmückt, verbindet damit eine Botschaft an seine Umwelt.
Miriam Noël Haidle von der Uni Tübingen schreibt:
“Hinzu kommt beim Schmücken ein Mitteilungsbedürfnis: Das Schöne und Besondere soll gezeigt, die Wahrnehmung mit anderen geteilt und von diesen mit der eigenen Person in Verbindung gebracht werden. Dies setzt voraus, dass die anderen nicht nur das Objekt wahrnehmen, sondern den außergewöhnlichen Zusammenhang zwischen TrägerIn und Objekt erkennen.
Schmückt sich nur eine Person für sich selbst und wird dies in der Gruppe nicht als erstrebenswert akzeptiert, dann bleibt die Verwendung schmückender Objekte ein Einzelfall. Schmuck kann sich als Artefaktgattung nicht durchsetzen, und es kommt nicht zur Schaffung nicht natürlicher Schmuckformen. Schmuck bleibt archäologisch unauffindbar. Wenn aber die Idee einer einzelnen Person mit Interesse aufgenommen wird und gelegentlich von anderen Gruppenmitgliedern wiederholt wird, kann sich diese Neuerung in der Gruppe verankern. Mit der Zeit kann sich aus dem individuellen Schmuckbedürfnis ein Gruppenbedürfnis bilden. Je stärker die Gruppenidentität wird, desto ausgeprägter wird die Vereinheitlichung der gebrauchten Geräte und damit auch des Schmucks, der zunehmend Symbolgehalt gewinnen kann.”
Das ist natürlich ein hochspannender Prozeß, der eine neue Qualität der Vergesellschaftung und der intellektuellen Entwicklung markiert. Denn – Miriam Noël Haidle beschreibt es sehr schön – im und durch den Schmuck findet ja durchaus so etwas wie eine Individualisierung statt: einzelne Gruppenmitglieder eignen sich schöne Gegenstände an und schmücken sich damit, was gleichzeitig äußeres Zeichen für eine herausgehobene soziale Position ist.
Allerdings – und das ist die intellektuell-kognitive Dimension – müssen solche Symbole ja auch von den anderen Gruppenmitgliedern verstanden werden. Symbolisches Denken, die richtige Interpretation von solchen Statussymbolen ist ja erst die Voraussetzung dafür, dass Schmuckstücke überhaupt so funktionieren, wie sie offenbar funktioniert haben (und es auch heute noch tun). Es müssen also bestimmte Vereinbarungen über Gebrauch und Bedeutungen solcher Symbole getroffen werden.
Wir haben vor mehr als 30.000 Jahren also auf der individuellen Ebene das aufkeimende Bedürfnis sich selbst als Person auszudrücken, sich und seinen Körper zu gestalten. Und auf der Ebene des sozialen Gefüges der Gruppen und Stämme erfüllen die Schmuckstücke eine zusätzliche Art der Kommunikation, in der Statusunterschiede gruppenintern und gegenüber anderen Gruppen nach außen sichtbar gemacht werden.
So betrachtet sind wir heute auch nicht viel weiter gekommen. Die goldene Uhr, das Kettchen um den Hals – es sind klar zu identifizierende Symbole, die bestimmte Gruppen- und Milieuzugehörigkeiten ausdrücken. Oder man nehme nur die schweren Amtsketten, die wir etwa bei Bürgermeistern finden (s. Foto links).
Ist es vorstellbar, dass in künftigen Jahrhunderten solche äußeren Statussymbole überflüssig sind?
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Quellen:
- Steven L. Kuhn, Mary C. Stiner: Ornaments of the earliest Upper Paleolithic: New insights from the Levant, in: Proceedings of the National Academy of Science, 2001 June 19; 98(13): 7641-7646. [PDF]
- Stiner, M. C. and S. L. Kuhn. 2006. Changes in the ‘Connectedness’ and Resilience of Paleolithic Societies in Mediterranean Ecosystems. Human Ecology 34(5):693-712. [PDF]
- Haidle, Miriam Noël 2003: Eiszeitschmuck – Schönheit, Selbstbewusstsein und Kommunikation. In: Kölbl S. und Conard N. J. (Hrsg.), Eiszeitschmuck. Status und Schönheit. Museumsheft 6. Urgeschichtliches Museum Blaubeuren, Blaubeuren, 9-14.
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