Mit Faustkeilen haben unsere Vorfahren Tiere zerlegt. Aber mussten die Werkzeuge dafür symmetrisch sein? Eine nicht unbedeutende Frage in der Archäologie. Wer könnte darüber besser Auskunft geben als – ein Metzger.

Ich und einige andere wollten noch ein bisschen mehr wissen über die Symmetrie der Faustkeile. Also habe ich mich noch ein wenig umgesehen.

Nein, ich habe keinen Metzger befragt, um herauszufinden, ob die Symmetrie den Wirkungsgrad eines Faustkeils erhöht. Brauche ich auch nicht, denn das hat Anna Machin vom Institute of Cognitive and Evolutionary Anthropology der University of Oxford vor ein paar Jahren schon getan. Sie wollte wissen, warum denn nun Faustkeile so oft symmetrisch sind? Das ist ein alter Streit unter Archäologen und sie haben eine Menge Erklärungen entwickelt, um dieses Phänomen zu erklären. Viele halten den Faustkeil schlicht für über-entwickelt (eng. over-engineerd). Einige glauben hingegen, dass gerade die Symmetrie den Wirkungsgrad erhöht, andere sind der Meinung, dass es eher etwas mit dem Material oder der Herstellungsmethode zu tun hat. Wieder andere halten es für möglich, dass es irgendetwas mit Sexualität zu tun haben könnte ( … fragt mich nicht), und einige finden, dass die Symmetrie einfach ein Zeichen für einen ästhetischen Sinn der Hominiden dieser Zeit ist.

Man kann wunderbar und tagelang darüber diskutieren, man kann aber auch einfach mal ausprobieren, wie gut man mit diesen Dingern arbeiten kann. Und schon befinden wir uns im Reich der experimentellen Archäologie. Die hat insofern meine Sympathien, weil sie sich eben mehr durch ‚Machen’ als durch ‚Reden’ auszeichnet. Ganz nach dem Motto: „Dann probieren wir es eben mal aus.” Genau das hat Anna Machin gemacht. Genau genommen nicht sie, sondern zwei Experten auf dem Gebiet des ‘Tiere zerlegen’. Der eine war David John, ein Metzger, spezialisiert auf das Zerlegen von Wild. Er arbeitet am Covered Market in Oxford. Der zweite war Matt Pope, ein Kollege von Machin, mit viel praktischer Erfahrung in Steinzeit-Technologien. Er hat sich selbst beigebracht, wie man mit Steinwerkgzeugen Metzgerarbeiten erledigt.

Und die beiden hatten einiges zu erledigen. Sie haben an jeweils zweieinhalb Tagen mit insgesamt sechzig unterschiedlich symmetrischen Faustkeilen dreißig Dammhirsche zerlegt. Sie häuteten die Tiere und trennten das Fleisch von einem Vorderschenkel und einem Hinterschenkel.

Machin wollte herausfinden, welche Parameter des Faustkeils beim Zerlegen eine Rolle spielten. Ist man mit symmetrischeren Steinen vielleicht schneller beim Häuten? Oder kann man mit größeren Keilen besser das Fleisch zerlegen? Sie untersuchte eine Reihe von Faktoren wie Gewicht, Breite, Länge und natürlich Symmetrie. Sie stoppte die Zeit, die die beiden Metzger für einzelne Schritte brauchten. Und sie ließ die Beiden Skalen ausfüllen, anhand derer sie einschätzen konnte wie gut ein einzelner Faustkeil war. Wie lag er in der Hand? Wie gut konnte man mit ihm Fleisch oder Sehnen schneiden? Außerdem protokollierte Machin, was die beiden “Metzger” währende des Zerlegens so erzählten über den Zerlegeprozess.

Das Ergebnis fasst Machin so zusammen:

„Das Experiment liefert gewisse Hinweise für die These, dass Symmetrie den Wirkungsgrad des Faustkeils verbessert, (…) allerdings ist der Einfluss nicht besonders groß.”

Das klingt nur bedingt überzeugend. Das Problem: Die Ergebnisse sind widersprüchlich. Während es beim erfahrenen Markt-Metzger überhaupt keine statistisch signifikanten Zusammenhänge zwischen der Morphologie der Keile und dem Zerlegen gab, war dies beim unerfahreneren Autodidakten durchaus so: je symmetrischer ein Faustkeil war, desto effektiver ließ sich damit metzgern. Allerdings war der Zusammenhang sehr schwach ausgeprägt, und er ergab sich auch nur, weil ein statistischer Ausreißer aus der Rechnung entfernt wurde, wie Machin erklärte. Das mache das Ergebnis problematisch.

Ihr Fazit lautet daher:

„Im Lichte dieser Ergebnisse gehen wir davon aus, dass andere Faktoren als funktionelle Erwägungen eine Rolle bei der Entscheidungen gespielt haben besonders symmetrische Faustkeile herzustellen, um Tiere zu zerlegen.”

Oder anders herum. Dass viele Faustkeile so ausgesprochen symmetrisch sind, scheint nicht unbedingt mit der Tätigkeit zu tun zu haben, für die sie gemacht sind.

Nachtrag:
Die richtige Form und offenbar auch die Symmetrie, sind aber trotzdem wichtig, wie protokollierte Aussagen Matthew Popes während des Zerlegens zeigen:

… because it’s kind of asymmetrical and plano-convex in shape I’m having to adjust my technique to how I would normally do it. (…)

I have been very impressed by how well a good [refined] biface works . . . I can’t make a biface like this so I’m restricted . . . unless you can make a good biface you’re not going to appreciably increase the efficiency of your butchery.

…the angle I’m finding really hard because its kind of asymmetrical…I haven’t got a perfectly symmetrical cutting edge so the edge symmetry is playing a role here.

In einem zweiten Paper, das mir Anna Machin freundlicherweise gleich mitschickte, erklärt sie dann auch – noch etwas vorläufig und eher als Anregung für eine Diskussion gedacht, wie Sie selbst schreibt – welche Gründe ihrer Meinung nach den Faustkeil symmetrisch oder weniger symmetrisch machten. Nach ihrer Vorstellung ist es nicht ein einziger Faktor, wie das Material, der Herstellungsprozess oder der Wirkungsgrad der die Form und das Aussehen des Faustkeils beeinflusste. Letztlich lag es in der Hand jedes einzelnen Handwerkers, und der Einflüsse, die ihn bestimmten, wie am Ende der Faustkeil aussah. Die möglichen Einflüsse auf die Form des Faustkeils hat sie in einer Grafik mal so zusammengefasst (zum Vergrößern auf das Bild klicken):

Handaxe shape.png

Das ist natürlich ein wenig unübersichtlich, deshalb hat Anna Machin auch die zehn ihrer Meinung nach wichtigsten herausgegriffen, darunter Faktoren wie die Fähigkeiten den Stein zu beschlagen, die soziale Gruppe, in der der Hersteller lebt, die generelle Funktion, wie ein Faustkeil beim Überleben hilft, um nur drei zu nennen. Sie erklärt das alles ausführlich und führt Belege und Widersprüche auf, regt zugleich aber auch an, wie man die einzelnen Punkte erforschen könnte. Das werde ich hier nicht ausführen können, sondern mich auf den Punkt konzentrieren, der für diesen Blog am wichtigsten ist: Ästhetik.

Machin glaubt nämlich, dass die pure Ästhetik, ohne jeden direkten Nutzen, das reine l’art pour l’art sozusagen, durchaus eine Rolle gespielt haben kann, wenn ein H. erectus einen Faustkeil aus dem Stein formte. Machin glaubt nicht, dass es sich bei den Faustkeilen um die ersten Kunstwerke der Gattung Homo handelt. Aber sie findet, dass dies die ersten Belege für eine gewisse Kunstfertigkeit/Handwerkskunst (engl. craftsmanship) unserer Vorfahren sind. Sie glaubt, dass diese Frühmenschen, genau wie wir, aber eben anders als Tiere, kognitiv in der Lage waren Gedanken und Vorstellungen zu entwicklen, die notwendig waren für eine ästhetische Erfahrung.

„Und genau wie die Kunst aus dem Handwerk entstand, könnte man den Faustkeil als den Vorläufer von Kunst bezeichnen, dessen Bearbeitung die Fähigkeiten zur Steinbearbeitung hervorbrachte und letztlich zu den Skulpturen führte.”

Als Hinweise dafür führt Machin das gleichzeitige Vorhandensein von Symmetrie und gebrochener Symmetrie bei Faustkeilen an, eine beträchtliche Zahl überdimensionierter Faustkeile, die viel zu groß zum Arbeiten waren, zugleich gibt es auch viel zu kleine Faustkeile. Und natürlich verweist sie auch auf die Ergebnisse ihrer eigenen Arbeit von 2007, die ihrer Meinung nach schon in die Richtung weisen, dass die die Symmetrie nicht nur der Funktion geschuldet ist.

Soweit, so gut. Was nehmen wir mit? Wie zu erwarten, ist es nicht leicht herauszufinden, warum Faustkeile symmetrisch waren. Vielleicht muss man so ein Ding auch einfach mal in die Hand nehmen, es wiegen und fühlen und damit arbeiten, um ihrem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Dann wird man vielleicht diesem Satz des französischen Architeckten Marc Crunelle zustimmen, den der Archäologe Jean-Marie Le Tensorer zitiert:

„Unsere innere Symmetrie hallt in der Symmetrie der Dinge wider, die wir erschaffen.”

Ob den Homo erectus ein Gefühl von Zufriedenheit durchströmte, wenn er einen besonders gelungenen (sprich symmetrischen) Faustkeil geklopft hatte?

Zusatz:
Und während ich diesen Artikel hier einbaue und verlinke usw. stoße ich doch noch auf diesen wohl gerade erst online gegangenen Beitrag mit dem Titel: “Another side of symmetry: the Acheulean biface debate.”

Autor Derek Hodgson plädiert auch für einen nicht-funktionellen Erklärungsansatz für die Symmetrie der Keile:

” … the human brain seems to give special precedence to detecting symmetry with respect to a whole range of objects that serve as a way of parsing the world into meaningful units (Liu & Kersten 2003). The brain thus seems to respond to symmetry within particular areas of the visual cortex i.e., V3A, V4d/v, V7 and LO which supports the notion that symmetry serves as a marker for detecting many kinds of objects (Beck et al. 2005; Sasaki et al. 2005; Sasaki 2007).

(…) Thus, a more productive approach to understanding the significance of the shape of Acheulean handaxes would be to regard the non-functional aspects of symmetry as a bi-product of general perceptual and recognition processes that serve to encode the various regularities of the world. In tool-making, symmetry may represent evidence of an explicit cognitive ability to impose form on inert matter (Hodgson 2009b). The more refined symmetries of Acheulean handaxes can thus be regarded as a kind of stimulus generalisation that may be associated with a bias for prototypicality/symmetry where key aspects of form are exaggerated and intensified in order to produce what is referred to as a super stimulus. “

Artikel:

Anna Machin et.al. (2006): “Why are some handaxes symmetrical? Testing the influence of handaxe morphology on butchery effectiveness.“, Journal of Archaeological Science

Anna Machin (2009): “The role of the individual agent in Acheulean biface variability.“, Journal of Social Archaeology

Derek Hodgson (2010): “Another side of symmetry: the Acheulean biface debate.Antiquity

Kommentare (7)

  1. #1 optimus.prime
    Juli 8, 2010

    Vielen Dank für diese weiteren Ausführungen.

    War ja absehbar, dass man als dahergelaufener Kommentator nicht schlauer ist als die Leute die wirklich dransitzen ;-)…

    Aus aktuellem Anlass muss ich noch folgendes Testen:
    L’Oréal ist doof!

    Hmmm….? Sollen wir auf so billige Provokations-Statements reagieren? Grundsätzlich gilt in diesem Blog, wie auf allen anderen ScienceBlogs: in den Kommentaren soll inhaltlich diskutiert werden. Nonsense, Beleidigungen und anderer Quatsch wird gelöscht. Die einzelnen Blogautoren üben das jeweilige Hausrecht aus, was heißt: die Kommentare werden moderiert. Das handhabe ich auch hier so. // Marc Scheloske

  2. #2 Ldu
    Juli 8, 2010

    Wurden Faustkeile eigentlich beidseitig benutzt? Stumpf, umdrehen, weitermachen? Müsste man weniger in den Rucksack packen.

  3. #3 Marcus Anhäuser
    Juli 8, 2010

    @Ldu

    das kann ich leider nicht sagen, nehme es aber an. Apropos stumpf: Damit hatten die Metzger bei einigen Faustkeilen auch zu kämpfen. Nachdem Häuten und dem ersten Schenkel verloren die Steine an Schärfe.

    Es sei aber nicht klar geworden, ob dies passierte, weil die Schneide tatsächlich Schäden davon trug oder ob sich mit der Zeit einfach zu viel Fett, Haare, und Schmodder an den Schneiden festgesetzt hatten.

  4. #4 Thomas R.
    Juli 8, 2010

    Wow, das Schaubild ist wirklich handwerklich… eigentümlich.

    Ich stehe auf dem Standpunkt: Ab einer gewissen Menge und Verknüpftheit von Information sollte man nicht mehr von einer Grafik oder einem Diagramm sprechen, sondern von einer Collage. Würde man noch ein Foto eines Popstars einbauen, würde es den Grad der Nutzbarkeit der Informationen nicht verändern.

  5. #5 Marcus Anhäuser
    Juli 8, 2010

    naja, es verdeutlicht aber ziemlich überzeugend, wie abwegig eigentlich der Gedanke ist, es gäbe nur eine Ursache, die die Form und letztlich die Symmetrie beeinflusst.

  6. #6 Thomas R.
    Juli 8, 2010

    Es ist schön, dass auch in manchen Wissenschaftlern also offenbar ein versteckter Künstler steckt.

  7. #7 ZielWasserVermeider
    Juli 8, 2010

    Na ihr….

    kommt doch mal nach Blaubeuren…..
    oder nach Tübingen ins Schloss.

    In Blaubeuren gibt es ein nettes Museum und wenn man die Zeit gut abpasst auch einen Vorführung experimenteller Archäologie.
    Und man kann da einige der ältesten plastischen Kunstwerke(bei den Faustkeilen kann man ja eher von Industriedesign ausgehen 😉 der Menschheit bewundern…..

    Gruß
    Oli