Bevor wir die Steinzeit verlassen will ich einmal kurz die Perspektive wechseln. Finden wir eigentlich irgendetwas Schönes im oder am Neandertaler? Das ist eigentlich nur eine Frage der Zeit, in der er rekonstruiert wurde. Ein Lachen macht auch den den finstersten Gesellen sympathisch.

Schnell, ohne groß nachzudenken: Wie stellst Du dir einen Neandertaler vor? Finsterer Blick, deutlich hervorstehende Augenwülste, fliehende Stirn, ausgeprägten Mundbereich, der eher einer Affenschnauze ähnelt? Vielleicht auch noch bullig, stark behaart?

Vielleicht so?

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Wenn das so wäre (ich nehme es nicht an), hätten die letzen zwei Jahrzehnte internationale Forschung und das Marketing des Neanderthal Museums Mettmann ;-)( siehe weiter unten) nichts gebracht.

Dies ist ein Bild von Francois Kupka aus dem Jahr 1909. Im französischen La Chapelle-aux-Saints hatte man ein Jahr zuvor ein Neandertaler-Skelett entdeckt, das vollständiger erhalten war, als das aus dem Düsseldorfer Neandertal. Kupka hatte sich an die Anweisungen des französischen Paläontologen Marcellin Boule gehalten, der den Neandertaler für einen primitiven, eher affen- denn menschenähnlichen, nicht mal aufrecht gehenden Wilden gehalten hatte. Er erklärte Kupka das Aussehen des Neandertalers lange bevor er überhaupt seine Rekonstruktionen abgeschlossen hatte. Außerdem hielt er den krummen Rücken für ein natürliches Merkmal des Neandertalers. Erst rund fünfzig Jahre später fand man heraus, dass diese Person schwere Arthritis hatte.

Laut Bärbel Auffermann und Gerd-Christian Weniger vom Neanderthal Museum in Mettmann hatten die Untersuchungen Boules „den bei weitem größten Einfluss auf das Bild des Neandertalers“, wie sie in einem Beitrag für den Katalog der Ausstellung „Roots” im Bonner Rheinischen Landesmuseum schreiben. Dieses Bild hat sich lange gehalten, auch wenn es zwischendurch immer wieder ‚harmlosere’ und vor allem haarlosere Varianten des „Wilden Mannes” gab.

Aber so ist es vielleicht kein Zufall, dass ausgerechnet für das Neandertal-Museum ein ganz anderer Typ wirbt. Fast schon das Maskottchen der Ausstellung ist nämlich dieser sympathische „Wilde” (rechts das Kind eines Homo sapiens):

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Wer will schon mit einem affenartigen, mordslüsternen Halbaffen Besucher anlocken?

Zugleich spiegelt der mild lächelnde Neandertaler den Wechsel der Vorstellungen wider, dass wir inzwischen von ihm haben. Oder wie Auffermann und Weniger schreiben:

„Erst seit den 1990er Jahren wird ein langsamer Wandel in der Rezeption des Neandertalers erkennbar. Eine Flut neuer Untersuchungsergebnisse verkürzt die biologische und kulturelle Distanz zwischen Neandertalern und anatomisch modernen Menschen so sehr, dass Neandertalern ihr Menschsein heute nicht mehr abgesprochen werden kann.”

Für so genannte PaleoKünstler wie Adrie und Alfons Kennis, die den Neandertaler für das Mettmanner Museum rekonstruiert haben (Video hier), gibt es eine ganze Menge Fragen zu klären für so eine Nachbildung.

Wie entscheidet man etwa, welche Augenfarbe ein prähistorischer Hominide hatte? War die Sklera des Australopithecus weiß wie unsere oder braun wie bei Affen? Hatten Neandertaler tatsächlich rote Haare?

Und: Könnte man einen Neandertaler so rekonstruieren, dass wir seinen Körper als schön, vielleicht sogar sexy empfinden?

Die Paleokünstlerin Elisabeth Daynes scheint manchmal ein wenig frustriert, wenn sie für Museen Urzeitmenschen rekonstruieren muss:

„ (…) Wenn ich zum Beispiel kritisiert werde, dass ich meine Figur zu ‚sauber’ gestalte, entgegne ich, dass Tiere sich sauber lecken, oder sich waschen, oder sich gegenseitig lausen, warum also nicht auch Menschen? (…) Ich halte mich immer wieder auch zurück, wenn die Belege fehlen, etwa bei Tatoos oder Körperbemalung. Aber wenn man so eng am Körper und den Gesichtern unserer Vorfahren arbeitet, dann will ich sie auch schön machen. Der physische Aufwand, den man bei der Rekonstruktion aufwendet ist fast wie ein Akt der Liebe. Ist das übertrieben? Warum sind die Spezialisten und Ausstellungsorganisatoren der Museen so vorsichtig, wenn es darum geht etwas so zu rekonstruieren, dass es physisch schön sein könnte, wenn auch wissenschaftlich korrekt? Eines ist sicher: Kein Fossil wird jemals die schillernde Schönheit oder das Lächeln eines Gesichtes einfangen.”

Wie wir unsere Vorfahren und evolutionären Neffen darstellen, sagt viel über unsere Sichtweise über sie aus. Auffermann und Weniger schreiben dazu:

„Die größte Herausforderung bei der wissenschaftlichen Beurteilung des Neandertalers bleibt bis heute die Auseinandersetzung mit den eigenen Vorurteilen.”

Vielleicht heißt die Schönheit eines Neandertalers darzustellen, seine Menschlichkeit zu offenbaren?

(mhm, klingt ein bisschen dicke, aber ich weiß nicht wie ich es anders schreiben soll).

Oder so?

Vielleicht wird ein Neandertaler um so schöner, je menschlicher er dargestellt ist?

Nachtrag 13.7.:
Aprospos Marketing des Neanderthal Museums. Wer ist der Avatar des Twitteraccounts @Neandertal1?

Dreimal raten bitte 😉

Zitat Elisabeth Haynes aus “100.000 Years of Beauty“, Band 1, Seite 67: “Beauty does not fossilise“.

Fotos: Illustrated London News, Neanderthal Museum

Kommentare (2)

  1. #1 Jürgen Schönstein
    Juli 12, 2010

    Könnte man einen Neandertaler so rekonstruieren, dass wir seinen Körper als schön, vielleicht sogar sexy empfinden?

    Ist sicher – wie alles, was Ästhetik angeht – eine Geschmackssache. Aber wenn man sich beispielsweise diese Rekonstruktion anschaut, dann wird man feststellen, dass es sicher genug lebende Menschen gibt, die a) dieser Figur ähnlich sehen und b) für irgend jemand unter uns Lebenden attraktiv genug waren, um einen Partner zu finden. Man muss den Neandertaler ja nicht gleich zum “Sexsymbol” machen – es genügt, seine Menschlichkeit zu erkennen. Denn eigentlich ist Menschlichkeit an sich schon für uns “sexy”.

  2. #2 Jürgen Schönstein
    Juli 12, 2010

    Siehe auch hier