Der Sinn für Schönes war wahrscheinlich keine ‚Erfindung’ des Homo sapiens. Es mehren sich die Hinweise, dass Ästhetik und Symbolik auch bei den evolutionären Vorfahren und Vettern eine Rolle spielten – beim Behauen der Faustkeile etwa.
Vor 30.000 Jahren war klar: Der Mensch macht sich die Welt wie sie ihm gefällt – um es mal salopp zu sagen. Es begann die große Zeit des Gestaltens und ‘Verschönerns’ meist aus religiös-mystischen Gründen, vielleicht aber immer wieder auch aus ästhetischen Erwägungen.
Man könnte versucht sein, diesen Sinn für Symbole und Ästhetik für eine besondere Leistung unserer Art zu halten. Doch das wäre bei einem solch komplexen Parameter – evolutionär betrachtet – ungewöhnlich. Dass etwas – plopp – bei einer Art auftaucht, ohne dass es sich zuvor nicht schon mal in – wenn auch geringerem Maße – angekündigt hätte, wäre ungewöhnlich. Evolution verläuft in kleinen Schritten. Ich hatte ja hier und hier schon darauf verwiesen, dass es durchaus Hinweise für gestalterisches Schaffen beim Homo erectus (als dem Vorfahren des frühen modernen Menschen) und dem Neandertaler (als dem Gattungsvetter unserer Art) gibt.
Zwei Hinweis wollte ich noch ergänzen, bevor wir dann die Steinzeit verlassen und weiter in der Zeit fortschreiten (wir wandern zu den Ägyptern und Griechen und ein paar anderen).
Da gibt es die bereits angesprochenen Hinweise für einen ästhetischen Sinn bei Homo erectus, von dem ja möglicherweise bereits zwei Venusfiguren stammen. Und auch beim Neandertaler geht man ja inzwischen davon aus, dass er viel mehr Kultur besaß als wir von dem „groben Klotz” immer annahmen.
Dass der Homo erectus kein ästhetischer Legastheniker war, dafür sprechen seine Faustkeile. Die ältesten sind 1,5 Millionen Jahre alt und erectus bzw. H. ergaster gilt gelten als Erfinder dieses Werkzeugs, die eine Weiterentwicklung der bis zu zwei Millionen Jahre alten Chopper sind. Schon der Vergleich dieser beiden Werkzeugarten lässt erkennen, dass sich da auch aus ästhetischen Gründen einiges getan hat. Die Bearbeitung wurde immer feiner und zugleich etablierte sich ein Standard. Vor allem sind die meisten Faustkeile völlig symmetrisch gestaltet. Zum Arbeiten wären symmetrische Faustkeile aber gar nicht nötig, daher glauben Archäologen, die sich mit Faustkeilen beschäftigen, dass dies ersten Anzeichen für einen ästhetischen Sinn der Gattung Homo sind. Faustkeile waren nützlich, aber auch schön.
Eine bemerkenswerte Entdeckung machten Archäologen, als sie mehrere tausend Faustkeile eines Fundortes in Syrien vermaßen. Alter: etwa 500.000 Jahre. Jean-Marie Le Tensorer, Leiter der Forschungsgruppe Urgeschichte am Institut für prähistorische und naturwissenschaftliche Archäologie (IPNA) der Universität Basel schreibt dazu in seinem Beitrag „Die Suche nach Symmetrie”:
„Die Ergebnisse offenbarten eine Tendenz zur Standardisierung und eine klare Präferenz für ein Seitenverhälnis von Höhe zur Breite nahe bei 1:1,4. Dieses Verhältnis, von Homo erectus zweifellos als harmonisch betrachtet, entspricht dem eines DIN A4 Blattes.”
Vielleicht muss man sich einfach mal genau vorstellen, wie ein Homo erectus da sitzt und mit viel Geduld, Akribie und Präzision einen Stein bearbeitet; Mühe aufwendet, kleine Splitter abschlägt, die Schneide bearbeitet, immer wieder abwägt, wo er noch mehr abschlagen muss, bis zu dem Punkt, an dem er sein Ergebnis zufrieden in der Hand hält – einen letzten prüfenden Blick darauf wirft, ihn vielleicht gegen den Himmel hält, um seine Form zu begutachten, ihn in der Hand wiegt, hin- und her wendet, um zu testen, wie er in der Hand liegt und wie er aussieht. Diese Vorstellung lässt erahnen, das da jemand genauso denkt wie wir, wenn wir so ein Ding herstellen. Und am Ende lächelt zufrieden, weil der Faustkeil nicht nur gut in der Hand liegt, sondern einfach auch schön ist.
Doch nicht nur die Vorfahren des Homo sapiens hatten wohl schon einen Sinn für Schönheit. Auch unser „Vetter” der Neandertaler, sollte doch eigentlich schon das Reich der Symbolik und Ästhetik erobert haben. Er war schließlich ebenso ein Nachfahre des Homo erectus wie der Homo sapiens, und er hatte sogar ein größeres Gehirn als wir (obwohl das nur bedingt ein Hinweis darauf ist).
Einen von mehreren Hinweisen, dass dem tatsächlich so war, liefert zum Beispiel eine Untersuchung von Marie Soressi, die u.a. für das Leipziger Max Planck Institut für Evolutionäre Anthropologie arbeitet.
Sie hat sich kleine, graue Blöcke aus Manganoxid angesehen, das zwar auch Braunstein genannt wird, tatsächlich aber ein schwarzes Pigment liefert, das man als Farbe verwenden kann. Entdeckt hatte man diese über fünfhundert Braunsteinstücke in einer Höhle im französischen Pech-de-l’Azé I. Hatte man ursprünglich angenommen, dass diese Höhle von Homo sapiens bewohnt war, stellte sich später heraus, dass es tatsächlich Neandertaler waren, die die Höhle vor 45.000 Jahren nutzten – zu einem Zeitpunkt also, als es noch gar keinen Homo sapiens in Europa gab.
“Warum haben die Neandertaler diese Steinstücke in der Höhle gesammelt und warum haben sie sie von anderen Stellen extra hergeholt?” fragte sich Marie Soressi.
Klar scheint, dass die Steine wahrscheinlich zum Malen genutzt wurden. Soressi hat sich die Braunsteinstücke unter dem Mikroskop angesehen und kommt zu dem Schluss, dass die Kratzer und Schrammen auf den Steinen aber nicht etwa daher rühren, dass sie jemand zum Malen auf Stein gebraucht hat (wie etwa einen Bleistift), sondern:
„(…) dass die Pigmente wahrscheinlich auf weichen Materialien wie Tierhäuten, gegerbtem Leder oder menschlicher Haut verwendet wurden. (…) es erscheint wahrscheinlich, dass sie die schwarzen Pigmente nutzten, um Objekte aus Tierhäuten zu dekorieren oder für Körperverzierungen oder sogar Make-up verwendeten.”
Es wären die ältesten Hinweise für Körperbemalung, schreibt sie noch (was mich verwundert, da ja auch schon das Ocker und Eisenoxid für Körperbemalung hätten genutzt werden können, und davon gibt es viel ältere Funde.)
Wie immer gibt es auch hier ein gerütteltes Maß an Unsicherheit. Man kann eben einfach keinen mehr fragen, und aufgeschrieben hat es auch keiner, weil die Schrift noch nicht erfunden war. Das sollte noch ein paar Jahrtausende dauern.
Als das aber geschehen war, gab es eine Menge zu erzählen und berichten. Und Archäologen bekamen damit eine weitere Quelle in die Hand (neben den eigentlichen Fundstücken), um sich Gedanken über die menschliche Vorstellung von Schönheit und Ästhetik zu machen. Die Ägypter zum Beispiel haben so einiges aufgeschrieben und die Griechen natürlich auch.
Doch davon erzählen wir demnächst dann mehr.
Lesetipp: Wer sich etwas ausführlicher über Faustkeile informieren will: Marie Soressi hat ihr Buch “Multiple Approaches to the Study of Bifacial Technologies” als pdf online gestellt.
Wer Spanisch beherrscht sollte auch einen Blick auf den spanischen Wikipedia-Artikel werfen, der ausgezeichnet wurde.
Zeichnung: Wikipedia spanisch
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