In der Renaissance erlebte so manches eine Wiedergeburt. Nicht nur in Kunst und Architektur, sondern auch scheinbar kleine und unwichtige Dinge, wie beispielsweise das Taschentuch. Dieses kleine quadratische Fetzchen Stoff (oder Papier), an das wir heute kaum einen Gedanken verschwenden, war damals ein wichtiges und nicht selten kostbares Accessoires.

Wer hat eigentlich schon mal ein paar Gedanken mehr an sein Taschentuch verschwendet? Wohl kaum jemand. Daran denkt man höchstens, wenn man dringend eines bräuchte und selbst nach verzweifelter Suche in Hosen- oder Jackentaschen einfach keins finden kann.

Und sonst? Wenn die Nase läuft, zieht man es eben aus der Tasche (sofern man eins dabei hat) und gut. Meist sind es eh irgendwelche Papiertaschentücher, die man dann wegschmeißt – ist ja schließlich viel hygienischer. So richtige Stofftaschentücher sind doch eigentlich längst out und höchstens bei der etwas älteren Generation noch anzutreffen.


Früher wurden die Dinger noch liebevoll von den Omas umhäkelt und den Enkelinnen zum Geburtstag geschenkt (ich besitze circa 20 Stück …). Als kleines Mädchen war ich ganz scharf darauf, die Taschentücher zu bügeln – würde mir heute ganz sicher nicht mehr in den Sinn kommen.

Taschentücher sind lebenswichtig

Dabei kann so ein kleiner Fetzen Stoff von enormer Wichtigkeit sein. Desdemona hätte sich wahrscheinlich gewünscht, sie hätte ihrem Taschentuch ein bisschen mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Hat sie aber nicht -und deshalb hat ihr Taschentuch praktisch vier Menschenleben auf dem Gewissen. Denn Shakespeare ließ wegen diesem unglückseligen Stückchen Stoff nicht nur Desdemona sterben, sondern auch Emilia, Jago und Othello. Die oft mit aufwendigen Bildstickereien verzierten Tücher waren in der damaligen Zeit eben ein begehrtes Liebespfand… Gelangte so ein Tüchlein in die falschen Hände, konnte Mann das schon einmal missverstehen.

Kleine Schmuckstücke

Taschentücher waren in der Renaissance nicht zwangsläufig dazu da triefende Schnupfennasen abzuwischen, sondern sie waren vielmehr ein kostbares Prestigeobjekt. Die oft mit Silber und Gold durchwirkten Tücher -die als Fazzoletto bezeichnet wurden- galten als purer Luxus und waren bei den höheren Schichten äußerst beliebt. Die kostbarsten Tücher wurden in Venedig hergestellt und von dort exportiert.

Ein Fazzoletto wurde deutlich sichtbar -sozusagen als Statussymbol- in der Hand getragen; man zeigte, wer man war. Die kleinen Stofftücher waren regelrechte Kunstwerke: aufwendige Bildstickereien, Spitze, Perlen – ein Fazzoletto konnte offenbar nicht protzig genug sein. Im Gegensatz zu dem heute quadratischen Taschentuch, wiesen die kleinen Tücher von damals noch verschiedene Formen auf; sie konnten oval, rund oder viereckig sein. Gerne wurden die Tücher von den Damen auch mit Parfüm getränkt und als Liebespfand verschenkt.

Diese Ziertücher waren nicht nur ein unverzichtbares Accessoire, sondern gleichzeitig auch ein deutliches Zeichen der Abgrenzung gegenüber der unteren Schichten.

Um 1600 erließ der Rat der Stadt Halberstadt beispielweise folgenden Erlass:

“Das Schnupftuch des 1. Standes soll nicht über 2 Taler, des anderen über 1 Taler des 3. Standes über einen halben Taler wert sein. Schon bei Strafe einer neuen Mark wird den Frauen und Jungfrauen die Verwendung von Perlen untersagt.”

So ändern sich also die Anforderungen an ein Taschentuch. Heute soll es ja vor allem eins sein – reißfest 🙂

Quellen:

  • Ingrid Loschek: Accessoires. Symbolik und Geschichte. Bruckmann, München 1993
  • Marchand, E.: Gebärden in der Florentiner Malerei. Lit-Verlag, Berlin 2004
  • Rusche, T.: Kleines SOER-Brevier der Kleidungskultur: der Ratgeber für den Herrn. Lit-Verlag, Berlin 2006

Kommentare (6)

  1. #1 Frenk
    September 27, 2010

    Als alter Basler hat mir dieser Artikel aus zwei Gründen gefallen.

    Im alten Basler Dialekt wurde das Wort Fazelettli für das Taschentuch verwendet. Es war auch Brauch in dieser Stadt, sich vom gemeinen Pöbel durch sprechen von Franzeesch zu unterscheiden. Ein weiteres solches naturalisiertes Wort war Gellerettli für die Taschenuhr (abgeleitet vom französischen Quelle heure est-il). Heute finden sich diese alten Ausdrücke nur noch im Basler Wörterbuch.

    Als Ü-50 Mann bin ich mit dem ordentlich gebügelten und gefalteten Taschentuch aufgewachsen – natürlich mit Initialen. Ich trage heute noch eins in der Hosentasche. Es verrichtet nach wie vor seine Dienste, auch wenn ich selbst Nicht-Schnäuzer bin. Manches Kind und manche Frau hat in einem unpässlichen Moment davon profitiert. Natürlich hat mann das Stoffquadrat der Frau für ein paar Tage überlassen. Es kam dann gewaschen, gebügelt und parfumiert wieder zurück…

  2. #2 schlappohr
    September 27, 2010

    Das erinnert mich irgendwie an das Handy: Ursprünglich mal zum Telefonieren erfunden, hat es mittlerweile die Bedeutung eines Statusobjekts. Wenn es klingelt, zieht man es eben aus der Tasche (sofern man es dabei hat) und gut. 🙂
    Persönlich wünsche ich mir eines, das nichts weiter ist als reißfest. Mal schauen, wann Handies diesen Status erreichen.

  3. #3 Dilara Tunc
    September 27, 2010

    Ich finde Stofftücher als Accessoire sehr schön. Es unterstreicht eine gewisse Klasse. Ein Gentleman, der einer Dame in gewissen Momenten so ein Tuch reichen kann, punktet auf jeden Fall.
    Widerum fällt mir die Schulzeit ein, in der ich öfters Lehrer hatte, die diese Tücher immer wieder zum Naseputzen und gegebenenfalls (das fand ich wirklich eklig) dann noch zum Tafel wischen nutzten. Normale Taschentücher finde ich viel hygienischer. Ich könnte nicht meine Nase zwei Mal mit dem gleichen Tuch säubern.
    Fazit, für mich sind Stofftücher als Accessoire ein muss, aber zur Nutzung eher ungeeignet.

  4. #4 Liane Vorwerk-Gundermann
    September 27, 2010

    @Dilara Tunc

    Ja, stimmt! Ein Mann, der ein Taschentuch reichen kann macht auf jeden Fall Eindruck. Mir würde aber ein Papiertaschntuch durchaus reichen 😉
    An diese besagten benutzten Stofftaschentücher kann ich mich auch noch dran erinnern – äh…

  5. #5 Liane Vorwerk-Gundermann
    September 27, 2010

    @schlappohr

    Wohl wahr! Geht mir mit dem Handy auch so. Eigentlich will man nur eins, was telefoniert und der Akku lange hält. Früher, als es den ganzen Schnickes noch nicht gab, hielt der Akku auch fast ne Woche. Heute kann man nach zwei Tagen schon wieder aufladen …

  6. #6 Liane Vorwerk-Gundermann
    September 27, 2010

    @Frenk

    Mir war der Begriff bis zu diesem Artikel ehrlich gesagt nicht bekannt. Aber man lernt ja nie aus;-)
    So ein Taschentuch kann wirklich sehr hilfreich sein. Ich persönlich greife lieber auf die Papiervariante zurück. Besitze aber noch ein paar nette Exemplare als Andenken an meine Oma – inklusive einem (Taschentuch-) Täschen zur Aufbewahrung.