Wir sind Augentiere. Und wir sind Weltmeister im Schubladendenken. Das gilt auch und vor allem, wenn wir unsere Mitmenschen beurteilen. Dabei ist es von entscheidender Bedeutung, wie attraktiv wir unsere Arbeitskollegen, Zufallsbekanntschaften oder Sportkameraden finden. Ob bewusst oder nicht: wir machen uns blitzschnell ein Bild. Und je schöner der Mensch in unseren Augen ist, desto bessere Eigenschaften schreiben wir ihm auch zu…

Und je schöner der Mensch in unseren Augen ist, desto bessere Eigenschaften schreiben wir ihm auch zu.

Vertrauenswürdigkeit, Erfolg, Stärke, Durchsetzungsvermögen, Ausgeglichenheit, Warmherzigkeit… diese Liste könnte man noch deutlich erweitern. Und all diese positiven Attribute sprechen wir eben schönen Menschen zu. Das ist vielleicht nicht unbedingt fair, aber zutiefst menschlich. Die Menschen, die wir in die Schublade mit dem Etikett “schön” einsortieren, haben schon fast gewonnen…

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In der Sozialpsychologie ist dieser Effekt als Attraktivitätsstereotyp geläufig. Es gibt dutzende, vielleicht sogar hunderte Studien, die den Mechanismus belegen. Das beginnt dann bei den Säuglingen, die mehr Aufmerksamkeit erhalten, wenn sie schön sind, geht weiter mit den hübschen Schulkindern, die bessere Noten1 bekommen und reicht bis zu den Vorteilen bei der Gehaltsverhandlung.2

Kurz: Wer schön ist, dem fliegen im Leben manche Dinge einfach zu. Wobei das natürlich nicht Zauberei, sondern das Ergebnis ganz profaner sozial-kognitiver Prozesse ist. Es ist ja eben – wie eingangs erwähnt – die positive Zuschreibung der Umwelt, die den offenbar schönen Menschen automatisch auch Kompetenz und Charisma attestiert. Und dann gibt es – das wäre Stoff für ein Extra-Posting – natürlich den Effekt der self-fulfilling-Prophecy, deren Wirkmächtigkeit wohl als bekannt vorausgesetzt werden darf.


In den nächsten Wochen werde ich hier im Blog einige der spannendsten Befunde aus der Sozialpsychologie und der Attraktivitätsforschung vorstellen. Heute vorab nur ein kurzer Abriß.

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Der Nimbus-Effekt: „Was schön ist, ist auch gut”

Wohl eine der ersten grundlegenden Untersuchungen zu diesem Themenkomplex wurde in den 1970er Jahren von den Sozialpsychologinnen Karen Dion, Ellen Berscheid und Elaine Hatfield durchgeführt.3 Die Studienteilnehmer sollten anhand von Porträtfotos die mutmaßlichen Persönlichkeitsmerkmale und einen Lebenslauf der porträtierten Personen formulieren.

Es zeigte sich, dass die Nennung positiver Eigenschaften (beruflich erfolgreich, leidenschaftlich, warmherzig, gefühlvoll usw.) nicht gleich verteilt war. Die überdurchschnittlich gutaussehenden Menschen wurden eben auch überdurchschnittlich häufig mit diesen positiven Eigenschaften in Verbindung gebracht.

Der Nimbus-Effekt ist allgegenwärtig. In Schule, Beruf, Privatleben…

„Was schön ist, ist auch gut”, so lautet die Kernaussage des sog. Attraktivitätsstereotyps oder auch Nimbus-Effekts. Eigentlich ist es lediglich eine spezielle Form des Matthäus-Effekts: Wer hat, dem wird gegeben. Nur diesmal: Wer schön ist, dem spricht die Umwelt weitere positive Merkmale zu. Und dieses Phänomen trifft man überall: im Bildungssystem, in der Politik, den Medien, der Wirtschaft und in der Familie. Und wie eine aufsehenerregende Studie von Judith Langlois4 einige Jahre später zeigte, ist die Präferenz von Schönheit nicht erst Ergebnis der (Medien-)Sozialisation.

Schon Säuglinge sind von schönen Gesichtern fasziniert

Die US-Psychologin beobachtete Säuglinge im Alter von drei bis sechs Monaten. Sie präsentierte den Babys immer wieder zwei Porträtfotos. Eines eher attraktiv, das andere unattraktiv. Dabei entdeckte sie, dass die Babys die schönen Gesichter deutlich länger betrachteten. Wohlgemerkt: Es waren genau die gleichen Gesichter, die auch von Erwachsenen als attraktiv bewertet wurden – die Wahrnehmung von Schönheit und das Empfinden, was als schön gilt, scheint also vererbt zu sein.

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Schöne Menschen sind erfolgreicher in Diskussionen. Unabhängig von den vorgebrachten Argumenten!

Die Studienlage ist wirklich erdrückend. Da gibt es Arbeiten, die zeigen, dass schöne Menschen sich in Diskussionen erfolgreicher durchsetzen, länger sprechen und seltener unterbrochen werden. Und das unabhängig von der Qualität ihrer Argumente.4 Und auch vor der ehrwürdigen Universität macht der Nimbus-Effekt nicht halt: attraktive Professoren werden von den Studenten als kompetenter eingeschätzt.5 Weitere Studien demnächst hier im Blog.

Es bleibt die große Frage nach dem Warum. Was ist der Sinn dieser impliziten Präferenz, die wir allem Schönen entgegenbringen? Evolutionsbiologen und -psychologen argumentieren bisweilen, dass ein schönes, symmetrisches Äußeres schlicht ein belastbarer Hinweis auf die genetische Ausstattung des potentiellen Sexualpartners sei. Deshalb begegnen wir schönen Mitmenschen mit größerer Aufmerksamkeit. Eine andere Erklärung finde ich allerdings charmanter: Studien haben gezeigt, dass der Anblick von schönen Gesichtern das Belohnungszentrum im Vorderhirn, den Nucleus accumbens aktiviert. Schönheit kann – so könnte man diesen Befund interpretieren – also süchtig machen. Und wir berauschen uns an dieser süßen Droge.

Studien:

  • 1 Rost, D. (1993). Attraktive Grundschulkinder. In: Hassebrauck, M & Niketta, R (Hrsg., 1993). Physische Attraktivität. Göttingen: Hogrefe, 271-306
  • 2 Heineck, G. (2005): Up in the Skies? The Relationship between Body Height and Earnings in Germany. In: LABOUR, 19 (3), 469-489
  • 3 Karen Dion, Ellen Berscheid and Elaine Hatfield (1972), ‘What is Beautiful is Good.’
  • 4 Langlois, Judith H. / Lori A. Roggman / Rita J. Casey / Jean M. Ritter / Loretta A. Rieser-Danner / Vivian Y. Jenkins: «Infant Preferences for Attractive Faces: Rudiments of a Stereotype?» Developmental Psychology (Washington, DC), 23 (3), 1987, p. 363-369
  • 5 Horai, J., Naccari, N. & Fatoullah, E. (1974): The effects of expertise and physical attractiveness upon opinion agreement and liking. In: Sociometry, 37, 601-606
  • 6 Klein & Rosar (2006): Das Auge hört mit! In: Zeitschrift für Soziologie 35: 305-316

* Verwendetes Foto oben stammt von stock.xchng, User: aldin.