Wir mögen das als ungerecht empfinden, doch Schönheit wirkt. Es ist eine Form sozialen Kapitals.
Wer schön ist, ist immer auch mehr als das. Zumindest in den Augen seiner Mitmenschen. Wer schön ist, der hat – wie unzählige Studien belegen – in vielen, vielen Bereichen des Lebens einen (messbaren) Vorteil. Wir mögen das als ungerecht empfinden, doch Schönheit wirkt. Es ist eine Variante des sozialen Kapitals, wie man in Anlehnung an Pierre Bourdieu formulieren könnte. Was wissen wir über diese soziale Komponente der Schönheit?
Hier im Blog haben wir ja bereits festgestellt, dass die Vorstellungen von dem, was Menschen schön und anziehend finden, historisch und kulturell variieren. Schönheit ist keine stabile Größe, sie entzieht sich simplen Definitionen und ist nicht so einfach mess- und quantifizierbar. Und so gibt es auf die Frage „Was ist schön?” entweder keine oder unzählig viele Antworten.
Vollkommen anders verhält es sich, wenn wir nach der Wirkung von Schönheit fragen. Denn die Effekte von Schönheit im sozialen Leben sind in hunderten Studien nachgewiesen und zu beziffern. Wie ich in meinem letzten Artikel schon skizziert habe, assoziieren wir mit schönen Menschen unweigerlich weitere positive Eigenschaften: Großzügigkeit, Vertrauenswürdigkeit, Kompetenz und vieles mehr. Und genau diese Tatsache ist das (soziale) Kapital mit dem schöne Menschen „wirtschaften” können.
Wie hoch ist wohl das “soziale Kapital” dieses Gesichts?
Mehr (wirtschaftlichen) Erfolg durch Schönheit
Um es an einem Beispiel festzumachen: Wer überdurchschnittlich schön ist, der wird automatisch auch als überdurchschnittlich vertrauenswürdig eingestuft. Und das hat Folgen.
1998 ließ der der Psychologe Matt Mulford seine Studenten von der London School of Economics eine spezielle Form des Gefangenendilemmas spielen.1 Hier geht es in der Grundvariante (verkürzt gesagt) darum, dass die Spieler sich entscheiden müssen, ob sie mit anderen Mitspielern kooperieren oder nicht. Keiner der Beteiligten kennt zum Entscheidungszeitpunkt die Wahl der anderen Teilnehmer. Im Falle von Kooperation werden höhere Gewinne ausgeschüttet. Bei Nicht-Kooperation gehen die Beteiligten entweder mit geringeren Erträgen aus der Spielrunde oder gehen (wenn sie verraten wurden) ganz leer aus.
Gefangenen-Dilemma: Je attraktiver die Spieler, desto erfolgreicher waren sie.
Mulford interessierte sich freilich für die Frage, ob das Aussehen der Mitspieler deren Spielerfolg beeinflusst. Und das Ergebnis war eindeutig: Je attraktiver die Spieler, desto erfolgreicher waren sie. Und das lag nicht an ihren vielleicht raffinierteren Strategien. Das lag einzig und allein am Verhalten der anderen (durchschnittlich attraktiven) Mitspieler. Diese kooperierten einfach häufiger mit den schönen Menschen, wodurch diese im Endeffekt profitierten.
Die Gleichung: Schönheit = Vertrauenswürdigkeit
Schönheit macht offenbar vertrauenswürdig. Und das funktioniert nicht nur bei solchen Spielchen. Auch beim Arztbesuch „wirkt” Schönheit. Wie bereits 1979 in einer Studie gezeigt wurde,2 werden Ärzte (egal ob männlich oder weiblich) um so vertrauenswürdiger und auch kompetenter eingeschätzt, je ansprechender ihr Äußeres. Wie war das noch gleich mit George Clooney und Emergency Room?
Aber zurück zum Thema: Das Beispiel illustriert sehr schön, dass der Faktor Schönheit im sozialen Miteinander weitreichende Effekte hervorruft. Wer schön ist, profitiert davon – wie die Spieler beim Gefangenendilemma. Insofern liegt es nahe, die physische Attraktivität als wesentliches Element des jedem Menschen zur Verfügung stehenden „sozialen Kapitals” anzusehen.
Bourdieu: Schönheit als zentraler Bestandteil „sozialen Kapitals”
Wer beim Wort „Kapital” nur an Marx denkt, dem werden die begriffflichen Unterscheidungen des französischen Soziologen Pierre Bourdieu zunächst etwas fremd erscheinen. Es lohnt sich allerdings kurz dessen Konzept nachzuvollziehen. Bourdieu unterscheidet zunächst zwischen wirtschaftlichem, kulturellem und sozialem Kapital. Mit ökonomischem Kapital – das ist naheliegend – sind die Ressourcen und das Vermögen gemeint, die eingesetzt werden können, um wirtschaftlichen Gewinn zu erzielen. Unter kulturellem Kapital subsumiert Bourdieu die Fähigkeiten, die die einzelne Person durch Sozialisation und v.a. durch schulische Bildung erworben hat. Es geht also um Wissen und auch einen bestimmten Habitus.
Soziales Kapital sind (nach Bourdieu) die Ressourcen, die aus der Verbindung zwischen Menschen resultieren. Anerkennung, Respekt, Kooperation…
Das soziale Kapital – und hier wird es für uns spannend – sind frei nach Bourdieu die tatsächlichen und potentiellen Ressourcen, die sich aus der Verbindung zwischen Menschen ergeben. Es geht also um gegenseitige Anerkennung, Respekt, Loyalitäten und Kooperation.
Und zur Konzeption Bourdieus gehört, dass die unterschiedlichen Kapitalsorten ineinander transferiert werden können. Also wenn etwa die Schul- oder Universitätsausbildung (kulturelles Kapital) mir eine berufliche Karriere und die Anhäufung von handfestem wirtschaften Kapital ermöglicht. Das selbe gilt aber auch für das soziale Kapital. Auch dieses kann in kulturelles oder ökonomisches Kapital überführt werden.
Zu abstrakt?
Die Belege finden sich einige Absätze weiter oben. Denn, so meine These: Schönheit ist eine Aggregationsform sozialen Kapitals. Ganz einfach ausgedrückt: wer schön ist, der verfügt über soziales Kapital. Und dieses kann ja – so Bourdieu – in wirtschaftliches Kapital transformiert werden. Die Studie mit dem Gefangenendilemmas beweist es. Die schönen Spieler punkteten mit ihrem sozialen Kapital. Denn sie erschienen vertrauenswürdiger. Und das schlug sich schließlich im Spielergebnis – also dem wirtschaftlichen Gewinn – nieder.
So funktioniert das also mit der Schönheit. Sie erhöht unser Guthaben auf dem Konto des sozialen Kapitals…
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Studien:
- 1 Mulford, M., Orbell, J., Shatto, C., & Stockard, J. (1998): Physical attractiveness, opportunity, and success in everyday exchange. In: American Journal of Sociology, 103(6), 1565-1592
- 2 Young, J. W. (1979). The effects of perceived physician competence on patients’ symptom disclosure to male and female physicians. In: Journal of Behavioral Medicine, 3, 279-290
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