Auf der gestrigen Podiumsdiskussion zum Blog Beauty Full Science debattierten im Deutschen Museum in München Fachleute und Publikum eine Frage, die keinen Menschen unberührt und jeden zum Experten werden lässt: „Was ist schön?” Die Antworten überraschten und inspirierten.

Über Geschmack, so sagt ein Allgemeinplatz, ließe sich bekanntlich hervorragend streiten. Weil Wissenschaftler aber mindestens darüber diskutieren können, an welchen Kriterien Schönheit und Attraktivität definiert werden kann, startete Scienceblogs.de mit Unterstützung von L’Oréal Deutschland im Juni 2010 den Gastblog „Beauty Full Science”. Dort wurden neben der Schönheit des Faustkeils, den Frisuren im alten Rom, bizarren Schönheitsidealen oder Ergebnissen der psychologischen Attraktivitätsforschung so grundlegende Fragen diskutiert wie: Wie verändern sich die Vorstellungen von dem, was als schön gilt? Gibt es Konstanten, die unser ästhetisches Urteil bestimmen? Und wie erklärt die moderne Wissenschaft, weshalb es so menschlich ist, nach Schönheit zu streben? Diese Diskussion bekam am vergangenen Donnerstag reale Gesichter: Unter der Moderation von Dr. Christine Eichel, Kulturressortleitung beim FOCUS, gingen im Zentrum für Neue Technologien im Deutschen Museum in München Evolutionsbiologe und Attraktivitätsforscher Prof. Dr. Karl Grammer (Universität Wien), Soziologe Prof. Dr. Otto Penz (Wirtschaftsuniversität Wien) sowie Publizist und Arzt Dr. Ulrich Renz vor rund 100 geladenen Gästen und Journalisten aus ihrer fachlichen Sicht der alles summierenden Frage nach: Was ist schön?

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Prof. Wolfgang Heckl, der Generaldirektor des Deutschen Museums, zitiert in seiner Begrüßung Werner Heisenberg: „Wenn eine natürliche Gleichung nicht schön ist, bildet sie nicht die Wirklichkeit ab”. Die Natur, sie habe also gesetzmäßig eine Tendenz zum Schönen. Aber was das ist? „Jedes Exponat hat eine Schönheit. Für den Ingenieur ist ein ölverschmierter Motor schön”, sagt Heckl. Um ein verbindliches Mindestmaß an Objektivität kann und soll es hier also gehen.

Jérome Bruhat, Geschäftsführer L’Oréal-Gruppe Deutschland, erklärt das Anliegen seines Unternehmens damit, dass Menschen schließlich in jeder Gesellschaft nach Schönheit strebten, sie würde nur anders empfunden. „Wir müssen Gedanken darüber unterstützen und teilen”, sagt er mit dem Hinweis auf das Buch zum Thema, „100.000 Years Of Beauty”, und dessen Umfang „von der Venus von Willendorf bis Heidi Klum”, zusammengetragen von 300 Experten aus 35 Ländern. So wenig, wie sich die drei geladenen Experten auf die Eingangsfrage von Christine Eichel, was denn für sie ein Beispiel überwältigender Schönheit wäre, zu einer eindeutigen Antwort hinreißen ließen, so sehr nahmen die folgenden 60 Minuten an professionellem Schwung und Standpunkten auf.

Natürlich, sagt Renz, seien wir eine Schlankheitswahn-Gesellschaft, „aber das spielte bei allen Gesellschaften eine Rolle. Wir sind da ganz normal.” Die von ihm und Penz im Folgenden immer wieder aufgegriffenen kulturellen und soziologischen Aspekte spielten für Attraktivitätsforscher Grammer nur eine untergeordnete Rolle. „Ich bin eigentlich Zoologe”, erklärte der 60-Jährige seinen grundsätzlich kühlen Standpunkt. „Nach 100 Millisekunden kann man Personen einschätzen, das weiß man schon aus der japanischen Skorpionsfliegenforschung: Die attraktiveren Männchen oder Weibchen sind symmetrischer.” Man unterscheide weiterhin nur zwischen Bilateralsymmetrie oder flukturierender Asymmetrie, „das gilt für alle Organismen”.

Der Durchschnitt ist attraktiver als seine Einzelteile

Über diese Säulen der Schönheit hinaus ist Schönheit, das weiß jeder Laie schon aus eigener Erfahrung, vor allen Dingen ein soziales Konstrukt. „Keiner spricht mehr über Da Vincis Goldenen Schnitt”, sagt Penz. Unser Begriff von Schönheit werde vor allem durch unsere kulturellen Sehgewohnheiten bestimmt. „Kein Wunder”, entgegnet der Soziologe also dem Biologen, „dass Symmetrie als schön empfunden wird.” Einigkeit herrscht darüber, dass natürliche Attraktivität beruflich und privat von Vorteil sei, auch wenn es keinerlei Belege dafür gebe, dass als hässlicher geltende Menschen unglücklichere Beziehungen hätten. Die Frage, wie er denn nun Attraktivität definiere, beantwortet Buchautor Renz („Schönheit – Eine Wissenschaft für sich”) so überraschend wie anschaulich: Am attraktivsten sei noch immer die Durchschnittlichkeit. Als Beleg für dieses Grundgesetz der Attraktivitätsforschung führt er die von Lisa DeBruine, Benedict Jones und Eric Little begründete Seite faceresearch.org ins Feld. Wahllos übereinander gemorphte Gesichter erscheinen dort attraktiver als jedes der Einzelgesichter. Das gleiche Prinzip passiere in unserem Kopf, aus allen gesehenen Gesichtern würde ein Prototyp extrahiert. Kulturübergreifend hieße das, dass es kein fixes Schönheitsideal geben könne (Ein Dschungelkind wie Mowgli zum Beispiel hätte ein Affengesicht als Prototyp im Kopf); wir, die wir alle ähnliche Gesichter um uns herum haben, deshalb aber einen ähnlichen Geschmack hätten. Über den man also nur bedingt streiten kann.

i-198750d3d215f56a63a2b6910af5c161-Beauty_Full_Science_Diskussion_Deutsches_Museum_Dr_Christine_Eichel_Focus.jpgWo aber kommen diese Gesichter her? Grammer, der über die Genauigkeit von Littles Faceresearch-Methode so seine Bedenken äußert, grundsätzlich aber zustimmt, weiß: „Die Gesichtsform wird in der 2. bis 6. Schwangerschaftswoche bestimmt.” Und auf dieses Gesicht komme es zwar neben anderen körperlichen Vorzügen und Nachteilen an, aber es ginge eben auch im persönliche Haltung und Selbstbewusstsein, wie Penz ausführt. Ob jemand sympathisch oder unsympathisch ist, sei nicht messbar, feststehe aber, dass Schönheit wie Geld, Zeit oder Bildung eine Handlungsressource sei. Und diese Schönheit – damit lenkt Christine Eichel das Gespräch auf den Aspekt unserer eigenen unmittelbaren Gegenwart zurück – ist heute durch Chirurgie und Photoshop schließlich manipulierbarer denn je.

Es darf zwar als streitbar festgehalten werden, dass, so Penz, die gegenwärtigen Idealbilder von ungebildeten Millieus nachgeahmt würden, während die Gebildeten sich abgrenzten. Was als normal gilt, ist aber attraktiver geworden. Wir finden uns deshalb tendenziell weniger schön als zu anderen Zeiten, während das Erscheinungsbild immer wichtiger wird. Grammer weiß zu belegen, dass hübsche Kinder schon im Kindergarten weniger Strafen bekommen, hübsche Menschen also in der Regel besser davon kommen als hässliche. „Mit einer Ausnahme vor Gericht: Bei Heiratsschwindlern zieht das nicht!”

Schönheit liegt im Auge des Betrachters

Der Karrierefaktor Schönheit macht auch vor Männern nicht Halt. Der Stereotyp, dass Männer, die sich um ihren Körper kümmern, als homosexuell gelten, existiere zwar noch, sei aber längst überholt (Penz). Außerdem gehe es um Machtanspruch. Frauen gelten seit jeher als das schöne Geschlecht, und bereits deshalb müssen Männer aufholen, „weil sie auch im Wirtschaftsleben mehr in die Defensive kommen”, wie Ulrich Renz glaubt. Bevor die Diskussion aber zu soziologisch wird, bricht Karl Grammer eine letzte Lanze für die biologische Komponente. „Schönheit ist Parasitenresistenz”, sagt er, „jeder hat mehr Parasiten als Körperzellen, 5-7 Kilogramm Masse, mehr als das Gehirn.” Je weniger Parasiten, desto stabiler das Immunsystem, desto gesünder und ausstrahlender der Mensch.

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Ein globales Ideal, nach dem Eichel die Runde fragt, gebe es noch nicht, „es breitet sich aber eines aus”, sagt Penz. „Viele Asiaten wollen rundere, westliche Augen, viele Schwarze wollen weiße Haut.” Und selbst, wenn die Behauptung stimmen würde, dass sich attraktive Menschen öfter fortpflanzten, würde die Menschheit nicht schöner werden. „Fertilität hat nichts mit Schönheit zu tun”, sagt Penz, und Grammer stellt versöhnlich fest: „Ohne Biologie keine Kultur, ohne Kultur keine Biologie.”

Das Schlusswort der einstündigen kurzweiligen Diskussion, die auch „Welt der Wunder”-Geschäftsführer Frank Winnenbrock verfolgte, gebührte aber dem Generaldirektor des Deutschen Museums, Prof. Wolfgang Heckl. Der resümiert fast romantisch: „Schönheit und Wahrheit liegen immer noch im Auge des Betrachters. Wir müssen also weitermachen. Wie attraktiv für Museen und Forschung!”

Bis Ende Januar 2011 wird auf „Beauty Full Science” zum Thema Schönheit und Wissenschaft weitergebloggt und -diskutiert. Diskutieren Sie mit!

Kommentare (4)

  1. #1 Steiner
    Januar 15, 2011

    Ich finde schon, dass man die Frage “Was ist schön?” selbst mal hinterfragen kann und zwar in wissenschaftlicher, nicht persönlicher Hinsicht. Die Konsequenzen aus der Forschung, scheint man konsequent zu ignorieren und manchmal scheint man auch ungewillt zusein äußere Umstände mitzubewerten. Ich erinnere mich da nur an die Frauentränen machen Schwänze schlaff-Untersuchung oder auch das “intelligenz macht nicht sexy”. Mir gefällt es jedenfalls nicht, wo diese Forschung häufig endet und ich denke es wäre nicht verkehrt zu Fragen, ob man überhaupt in diesem Feld arbeiten sollte, anstatt es vielleicht einfach dem Individuum selbst zu überlassen.

  2. #2 MisterX
    Januar 15, 2011

    Welchen Sinn hat dieser Blog??

  3. #3 Nele
    Januar 16, 2011

    *Gähn*
    Hat das eigentlich einen Grund, dass der “Schönheitsblog” seit Tagen zum “Top-Thema” hochgejubelt wird? Mit seiner regelmäßig ein- bis nullstelligen Anzahl an Kommentaren?

  4. #4 PaulLinus
    Januar 16, 2011

    @Nele

    Ja. Außerdem hatte man schon vor Äonen (im Spektrum) festgestellt, daß Menschen, die phänomenologisch aus der Rolle fallen (drei Augen, zwei Nasen, häßliche grüne Fühler auf der Stirn), eher nicht dem Schönheitsideal entsprechen. Soweit ich mich erinnere, war der Sponsor damals nicht L’Oréal, insofern durchaus neu.