DNA als Langzeitspeicher für unsere Daten scheint nicht unrealistisch. Kann man mit DNA auch rechnen? Biologische Prozesse sind nix anderes als Informationsverarbeitung — DNA ist die Information und verarbeitet wird sie zu all den chemischen Prozessen in unserem Körper, von der Verdauung bis zum Marathon-Lauf. Können wir die Informationsverarbeitung der DNA auf Probleme aus der Informatik übertragen?
Die Prozessoren in unseren Rechnern werden alle paar Jahre halb so groß, halb so teuer und doppelt so schnell. Beobachtet hat das 1965 schon einer der Gründer der Firma Intel: Gordon Moore sagte voraus, dass sich die Anzahl der Transistoren auf einem Mikroprozessor knapp alle zwei Jahre verdoppelt. Aber diese Verdopplung hat ihre Grenzen. Und diese Grenzen liegen in der Physik. Die heutigen Leiterbahnen aus Silizium sind nur noch ein paar Atome breit. Derzeit fertigt Intel Prozessoren mit 14 Nanometer breiten Leiterbahnen. Bei 2 bis 3 Nanometern ist endgültig Schluss. Kleinere Halbleiter würden nicht mehr genügend bewegliche elektrische Ladungen besitzen um zu funktionieren. Davon abgesehen würden sich die Herstellungskosten für solche winzigen Halbleiter nicht mehr rechnen.
Sind wir damit an die Grenzen der Rechentechnik gestoßen? Sicher nicht. Wir müssen die Silizium-Straße verlassen und nach neuen Wegen suchen. Das können neue Materialien sein, oder aber völlig neue Konzepte. Richard Feynman — einer der großen Physiker des 20. Jahrhunderts — hatte schon 1959 die Idee, Rechenprozesse auf der Ebene von Molekülen und Teilchen durchzuführen. Und heute wird genau auf diesen Ebenen der Rechentechnik geforscht: die Rede ist von DNA-Computern und Quantencomputern (von letzteren habe ich keine Ahnung, da müsst ihr euch an die Physiker wenden).
Der erste DNA-Computer
Die Idee einen Computer auf Grundlage von DNA-Molekülen zu bauen stammt von Leonard Adleman. Adleman ist (nebenbei bemerkt) auch einer der drei Erfinder des RSA-Kryptosystems. 1994 veröffentlichte er in Science eine Lösung für das Hamiltonpfad-Problem durch einen DNA-Computer. An diesem Beispiel kann man recht deutlich sehen, wie Problemstellungen auf DNA Ebene modelliert werden können. Das Hamiltonpfad-Problem ist auch als Problem des Handlungsreisenden bekannt. Das Problem ist ein Klassiker der theoretischen Informatik. Bildlich gesprochen betrachten wir ein Netzwerk von Städten und suchen nach einer Route, die jede Stadt genau einmal besucht. Informatisch gesprochen betrachten wir einen Graphen und wollen jeden Knoten genau einmal besuchen. Genau genommen modellierte Adleman den DNA-Computer für ein gerichtetes Netzwerk (Einbahnstraßen) aus sieben Städten, inklusive einer Startstadt und einer Zielstadt. Er nannte ihn TT-100 — ein Reagenzglas (TestTube) mit 100 Mikrolitern DNA-Lösung.
Für jede Stadt und für jede Straße gibt es einen DNA-Strang. Jeder Strang ist zwanzig Nukleotide lang. Die Reihenfolge der Nukleotide in einem Stadt-Strang wird zufällig generiert. Ein Straßen-Strang setzt sich aus jeweils der Hälfte der beiden Stadt-Stränge zusammen. DNA liegt normalerweise als Doppelstrang vor. Die Nukleotide A und T und die Nukleotide C und G können Bindungen ausbilden. Der zweite Strang muss also das Gegenstück zum ersten Strang bilden. Diese Eigenschaft können wir nun ausnutzen, um eine Route zwischen den Städten zu erzeugen. In unser Reagenzglas schütten wir nicht die eigentlichen Stadt-Stränge, sondern deren Gegenstücke. Dann geben wir die Straßen-Stränge dazu. Natürlich geben wir nicht für jeden Strang genau ein Molekül in die Mischung, sondern extrem viele. Die Moleküle werden im Reagenzglas gemischt. Es bilden sich verschiedene Ketten, jede Kette ist eine mögliche Route im Netzwerk und somit eine mögliche Antwort. Wie finden wir heraus, welche Route die richtige ist, also durch alle sieben Städte genau einmal verläuft?
Zuerst entfernen wir alle Ketten, die nicht in der richtigen Stadt beginnen oder enden. Dann werden die Ketten nach Länge sortiert und nur die 140 Nukleotid-langen (= sieben Städte) werden behalten. Dann wird überprüft, ob jeder Stadt-Strang in der Kette vorkommt. Für jeden der drei Überprüfungsschritte gibt es gängige Verfahren im Labor; trotzdem ist das Auslesen der Lösung langwierig, kompliziert und erfordert viel Handarbeit — verglichen mit der Ausgabe der uns bekannten Rechentechnik.
Von Linearität zur Parallelität
Nicht nur das Auslesen der Lösung ist schwierig, auch die biochemischen Reaktionen gehen (verglichen mit unseren heutigen Rechnern) nur sehr langsam vonstatten: die Reaktionszeit der DNA wird in Sekunden, Stunden oder sogar Tagen gemessen. Welchen Vorteil bringt dann das Rechnen mit DNA-Molekülen? Winzigkeit. Und mit der Winzigkeit kommt ein zweiter Vorteil: Parallelisierung. In einem Tropfen Wasser können Trillionen von DNA-Stränge enthalten sein. Auf den uns bekannten Rechnern werden Rechenoperationen nacheinander ausgeführt. DNA-Computer hingegen können alle Lösungsmöglichkeiten gleichzeitig erzeugen und auf nicht-deterministische Weise arbeiten.
Aber trotz der enormen Parallelisierung, stoßen DNA-Computer bei den richtig schwierigen Problemen der Informatik auch an ihre Grenzen. Bei diesen Problemen wächst die Anzahl der möglichen Lösungen exponentiell mit der Größe des Problems. Zu diesen Problemen gehört auch das von Adleman untersuchte Problem. Man braucht schon für mittelgroße Städtenetzwerke Badewannen statt Reagenzgläser. Würde man einen solchen DNA-Computer für ein Netzwerk aus zweihundert Städten bauen wollen, bräuchte man bereits eine Menge an DNA, die die Masse der Erde übersteigt.
Wozu DNA Computer?
Das Experiment von Adleman war eher eine Machbarkeitsstudie, um zu zeigen, dass Rechnen mit DNA möglich ist. Und das Tor in ein breites Forschungsfeld. Ein Forschungsbereich ist zum Beispiel die Umsetzung von Logikgattern durch DNA. Logikgatter dienen dazu, Eingangssignale durch logische Operatoren zu Ausgangssignalen umzuwandeln. Im Rechner basieren diese Logikgatter auf der Binärkodierung. DNA-basierte Logikschaltungen verwandeln DNA-Fragmente durch chemische Operationen in Ausgangssignale. Das logische UND kann zum Beispiel durch die Verbindung zweier Fragmente nachgebildet werden.
Bisher stoßen wir bei DNA-Computern noch auf viele Probleme und eine saubere experimentelle Durchführung ist schwierig und zeitaufwändig. Stellt sich die Frage: Wozu DNA Computer? Adleman selbst hält es für unwahrscheinlich, dass DNA-Computer direkte Konkurrenten für elektronische Rechner werden. Bisher hat man noch kein Weg aus dem Reagenzglas zum Desktop-PC gefunden. Aber das ist vielleicht auch gar nicht das Ziel. Es werden immer wieder neue Möglichkeiten und Anwendungsbereiche rund ums DNA-Computing entdeckt — vom DNA-Speicher bishin zur Nanotechnologie. DNA-Computer könnten zum Beispiel in der Medizin ihren Nutzen finden, sind sie doch klein genug, um in Zellen zu arbeiten. Auch eine Verbindung aus traditionellen Silizium-Prozessoren und DNA-Co-Prozessoren für bestimmte Aufgaben wäre denkbar.
Wer wirklich auf den aktuellsten Stand der Dinge in diesem Forschungsbereich kommen will, kann Anfang September nach München zur “22nd International Conference on DNA Computing and Molecular Programming” fahren. Dann möchte ich aber bitte eine Berichterstattung!
Publikationen:
Molecular computation of solutions to combinatorial problems.
Adleman LM.
Science, 266(5187):1021-4, 1994.
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