Woraus besteht Erbgut und wie sieht unser Erbgut aus? Zwei große Fragen in der Geschichte der Genetik, die bereits ihre Antworten gefunden haben. Erbgut besteht aus DNA, einer Doppelhelix aus vier verschiedenen Bausteinen (Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin). In welcher Reihenfolge diese Bausteine in unserem Erbgut zusammengesetzt sind haben wir gelernt zu lesen. Dieses Lesen nennt man Sequenzierung. Und auch im Verstehen des “Textes” machen wir enorme Fortschritte. Und finden gelegentlich Fehler im Text. Fehler, die zu Krankheiten führen.
Wenn bestimmt Körperteile krank sind, und eine Heilung nicht mehr zu erwarten, dann sind Chirurgen oft dazu in der Lage, das Leben des Menschen zu retten, in dem sie das Körperteil entfernen. Wie schön wäre es, wenn wir auch aus unserem Erbgut die Krankheitsursachen herausschneiden könnten. Aber DNA ist winzig, das Skalpell eines Chirurgen nicht klein genug. Noch dazu müssten wir in jeder betroffenen Zelle rumschnippeln. Ein erwachsener Mensch besteht etwa aus 100 Billionen Zellen. Schwierig. Aber seit 2012 gibt es Hoffnung. Das war das Geburtsjahr der Genchirurgie. Doch die Geschichte beginnt mit einem Kampf zwischen zwei anderen Lebensformen: Bakterien vs. Viren.
Die Täterdatei
Auch Bakterien wollen sich gegen Angreifer verteidigen. So wie sich unser Immunsystem gegen Bakterien wehrt, wehren sich Bakterien zum Beispiel gegen Viren. Unser Immunsystem ist dazu in der Lage, sich bestimmte Gegner zu merken, um sie beim nächsten Angriff schneller zu bekämpfen. Antikörper sind sozusagen das militärische Gedächtnis unseres Körpers. Einen ähnlichen Mechanismus hat man auch bei Bakterien entdeckt. Nur sind die Bakterien noch einen Tick schlauer. Sie nutzen als Gedächtnis ihr Erbgut. Der entscheidende Vorteil: Sie vererben die Täterdatei an die nächste Generation weiter.
Die Täterdatei trägt den Namen CRISPR, kurz für Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats. Übersetzen kann man das ungefähr als “gruppierte, regelmäßige, kurze, palindromische Wiederholungen mit Zwischenräumen”. Dabei handelt es sich um einen Abschnitt auf der DNA der Bakterien. So kompliziert der Name auch klingt, er beschreibt den Aufbau dieser Täterdatei ziemlich genau. Die Wiederholungen bilden das Grundgerüst. Es handelt sich dabei um kurze palindromische Sequenzen. In den Zwischenräumen werden die Täter gespeichert: wurde ein Bakterium einmal von einem Virus befallen, speichert es ein Stück von dessen DNA in diese Zwischenräume.
Das Skalpell
Wird das Bakterium (oder einer seiner Nachkommen), wieder von diesem Virus angegriffen, kann es nun ruckzuck reagieren. Die ausführende Gewalt (also die Exekutive), nennt sich Cas9. Cas9 ist ein Enzym, das DNA zerschneiden kann — ein DNA-Skalpell, könnte man sagen. Cas9 kann mit Hilfe der Information aus der Täterdatei das Virus identifizieren. Es bindet genau an die DNA-Sequenz, die in der Täterdatei gespeichert war und zerschneidet das Virus an dieser Stelle.
Das Tor in eine neue Welt
Bakterien haben also ein tolles Immunsystem. Schön und gut. Und was nützt uns das? Es gibt ein biologisches Skalpell, mit dem man DNA schneiden kann. Und diesem Skalpell kann man noch dazu eine genau Ortsangabe mitgeben, an welcher Stelle es die DNA zerschneiden soll. Können wir uns dieses Skalpell zu Nutze machen, öffnet sich ein Tor in eine ganz neue Welt der Medizin: die Genchirurgie. Und den Schlüssel für dieses Tor hat sie gefunden: Emmanuelle Charpentier. 2012 stellte sie zusammen mit ihrer Kollegin Jennifer Doudna ein neues biochtechnologisches Verfahren, basierend auf CRISPR/Cas9, vor. Sie konstruierten ein künstliches Cas9-Skalpell, dem man (genau wie im bakteriellen Immunsystem), die Ortsangabe zum Zerschneiden mitgeben kann. Und damit schufen sie die Möglichkeit, Präzisionsoperationen in unserem Erbgut durchzuführen. Die beiden Wissenschaftlerinnen wurden dafür mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und landeten 2015 auf der Liste der “100 einflussreichsten Persönlichkeiten” des Time Magazines.
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