Ich gehe davon aus, dass jeder von euch mindestens einen der Viren-Zombieklassiker, zum Beispiel “28 Days Later” oder “I Am Legend”, gesehen hat. Und egal wie Hollywood-like die Umsetzung dieser Filme sein mag, das Szenario ist nicht unrealistisch. Weniger der Teil mit den Zombies, eher der Teil mit dem Virus, das die Menschheit ausrottet. Zu den bedrohlichsten Viren der Welt zählen vor allem die Viren, bei denen kurzfristig ein größerer Ausbruch erfolgen könnte und die sich derzeit kaum erfolgreich behandeln lassen. Dazu gehören bereits bekannte Viren, wie Ebola-, SARS- und Zika-Viren; die nächste schwere Epidemie könnte jedoch auch von einem derzeit unbekannten Virus verursacht werden.

Abhilfe kann da wohl, wenn überhaupt, nur die Forschung schaffen. Dazu gehört nicht nur die intensive Forschung an bekannten und bisher unbekannten Viren und potentiellen Medikamenten und Impfungen gegen diese, sondern auch ein Forschungszweig, der sich explizit mit der Ausbreitung von Infektionskrankheiten beschäftigt, die sogenannte Epidemiologie.

Das Zeitalter der Epidemien

Nun leben wir in einem Zeitalter, in dem die medizinische Forschung weit vorangeschritten ist und sich unsere Lebenserwartung um einige Jahre verlängert hat. Und doch wird die Menschheit immer wieder von Epidemien heimgesucht. Erst sind es nur einzelne sporadische Fälle; doch rasch wird daraus ein lokaler Ausbruch und greift man nicht sofort ein, breitet sich die Infektion rasant aus. Von einer Epidemie spricht man, wenn eine Krankheit lokal (und zeitlich) begrenzt vermehrt auftritt. Viele Ausbrüche enden auf natürliche Weise oder können schnell kontrolliert werden. Breitet sich die Krankheit aber gar über Länder oder Kontinente hinweg aus, spricht man von einer Pandemie. Die Ursachen für die steigende Zahl an Epidemien sind vielfältig und reichen vom Bevölkerungswachstum, über unsere Vorliebe für Reisen in ferne Länder, unsere Ernährungsgewohnheiten, bis hin zum Klimawandel. Diese Faktoren verstärken vor allem den Kontakt zwischen Menschen und sogenannten Reservoirwirten, häufig Säugetieren oder Insekten, die Infektionskrankheiten auf den Menschen übertragen. Angesichts der heutigen Mobilität der menschlichen Bevölkerung könnte sich ein Virus innerhalb von Tagen oder Wochen auf entfernte und stark bevölkerte Regionen ausbreiten.

Epidemien und Pandemien gab es in den letzten beiden Jahrzehnten viele (zum Teil von bis dato völlig unbekannten Viren): zum Beispiel die SARS-Pandemie 2002/2003 mit etwa tausend Todesopfern, die Schweinegrippe-Pandemie 2009/2010 mit über 18000 Toten, die Ebola-Epidemie 2014–2016 in Westafrika mit über 11000 Todesopfern, oder erschreckenderweise neuerdings auch immer wieder Masern-Epidemien.

“Next Level”-Epidemiologie

Lange Zeit stützte man sich in der Epidemiologie hauptsächlich auf die Analyse von Falldaten, die im Verlauf eines Ausbruchs gesammelt wurden. Aus diesen Daten hat man die wichtigsten epidemischen Parameter (zum Beispiel die Übertragungsrate) geschätzt. Im 21. Jahrhundert wird auch diese Wissenschaft auf die “Big Data”-Ebene gehoben. Die wichtigsten Fragen werden heute durch die Sequenzierung viraler Genome und die bioinformatische Analyse dieser Sequenzdaten untersucht, um sie mit molekularer Präzision zu beantworten:

  • Welches Virus verursacht den Ausbruch? Ist das Virus neu oder ein wiederauftretendes bekanntes Virus?
  • Wie wird das Virus übertragen?
  • An welchem Ort hat der Ausbruch begonnen? Von welchem Wirt stammt das Virus?
  • Welche ökologischen Faktoren unterstützen seine Entstehung?
  • Wie viele Übertragungen von Tier auf Mensch hat es gegeben und zu welchem Zeitpunkt?
  • Wann begann der Ausbruch? Gab es vor dem ersten gemeldeten Fall einen Zeitraum der unentdeckten Übertragung?
  • Hängt der Ausbruch mit einem früheren Ausbruch zusammen?
  • Wie entwickelt sich das Virus weiter? Gibt es Hinweise auf eine lokale Anpassung der Viren?

Sequenzierdaten sind deswegen so interessant, weil sich Viren (insbesondere RNA-Viren) schnell vermehren und ihre Genome sich rasant verändern können, sodass am Ende eines Ausbruchs nicht mehr die gleiche Genomsequenz vorliegt, wie zu Beginn. Diese Veränderungen lassen sich mittels Sequenzierdaten nachvollziehen und die Ausbreitung der Viren dadurch besser verstehen. Heutige Sequenziertechniken sind dazu in der Lage, virale Genome in Echtzeit (und zu relativ geringen Kosten) zu erfassen.

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Kommentare (9)

  1. #1 peterK
    Zürich
    26. Juni 2019

    Die meisten Pandemie-Szenarien gehen ja von, einem harmlosen und sehr gut übertragbarr Virus aus, wo der Schaden am Wesen durch die Mutation verschlimmert wird. Wäre es nicht auch denkbar, dass ein Virus mit hoher Sterblichkeit, wie zB. bei Tollwut, in der Verbreitungswegen mutiert, sodass dieser, ggf durch Tröpcheninfektion übertragen wird?

    • #2 Franziska Hufsky
      27. Juni 2019

      Beides ist denkbar. Ich würde aber nicht sagen, dass die Pandemie-Szenarien von einem harmlosen Virus ausgehen. Ebola, Marburg, SARS und Co halte ich für reale Bedrohungen.

  2. #3 libertador
    27. Juni 2019

    Im Artikel werden schön verschiedene Arten von nützlichen Informationen dargestellt. Auf mich wirkt das aber so, als ob ein Großteil dieser Ergebnisse erst mit großer Zeitverzögerung gewonnen werden können. Dazu habe ich ein paar Fragen.
    – Wären diese Information im Falle eines Ausbruchs schnell genug vorhanden?
    – Gibt es Maßnahmen, die man bereits ohne weitere Forschungsergebnisse anwenden kann?

    • #4 Franziska Hufsky
      27. Juni 2019

      Tatsächlich wurden diese Informationen bisher eher verzögert gewonnen, mittlerweile aber immer mehr in Echtzeit. Sequenzierer gibt es mittlerweile im Taschenformat und diese können das Virengenom am Stück “lesen”. Natürlich ist das alles noch nicht komplett ausgereift, aber in dem Bereich geht die Forschung extrem schnell voran. Ich glaube der Knackpunkt liegt wirklich eher in der Übermittlung der Proben und danach der Informationen.

  3. #5 Dr. Webbaer
    27. Juni 2019

    Wie immer sehr schoen strukturiert vorgetragen, ein solider Aufhaenger, der zum Lesen einlaedt, Dr. W hat allerdings nur Zombie-Filme geguckt, in dem das Beissen der zuverlaessige Uebertragungsweg ist, und im Abgang dieses : ‘Oder anders gesagt: Wem nützt schon die Nature/Science-Publikation, wenn wir letztlich alle dem Apokalypse-Virus zum Opfer fallen?’

    Ansonsten bedeutete HIV die letzte grosse Pandemie und ganz genau, moeglichst umfangreiche Erfassung, auch sog. Metadaten, gibt die beste Chance um der Problematik Herr zu werden.

    MFG
    Dr. Webbaer

    • #6 Franziska Hufsky
      27. Juni 2019

      Ansonsten bedeutete HIV die letzte grosse Pandemie

      Wie genau meinst du das? HIV lässt sich mittlerweile ja durchaus behandeln bzw im Griff halten.
      Da halte ich Ebola etc für die größere Bedrohung.

  4. #7 Dr. Webbaer
    27. Juni 2019

    War nur als Ergaenzung gedacht, Infektionen muessen ja nicht toedlich enden, bleiben aber dennoch wichtig.
    KA, Dr. W ist ja nicht umfassend informiert, Ebola ist eher eine Sache, die auf den Verzehr von sog. Bush-Meat zurueckzufuehren ist?
    Sie schreiben sehr strukturiert, sehr schoen, viel mehr wollte Dr. W kommentarisch gar nicht loswerden.

    MFG
    Wb

  5. #8 Axel
    Köln
    27. Juni 2019

    Vielen Dank für den interessanten Artikel!
    Beim lesen erinnerte ich mich, dass ich mal den Roman “The Andromeda Strain” von Michael Crichton vor gefühlten hundert Jahren gelesen habe.
    In dem sagt einer der Protagonisten -sinngemäß- dass es bei der Mutationsrate von Viren, eigentlich ein Wunder ist, dass nicht ständig neue Pandemien ausbrechen.
    Wenn das denn stimmt
    (ist schließlich nur ein Roman, wenn auch ein gut recherchierter 🙂 Im Gegensatz zu anderen Romanen vom gleichen Autor “Welt in Angst”=Leugnung des Klimawandels. Aber das nur so am Rande ;))
    scheint unser Immunsystem mit den natürlich auftretenden Viren in den meisten Fällen ganz gut klar zu kommen. Auch wenn der Influenza-Virus jedes Jahr immer noch für ca. 30.000 Todesfälle in Deutschland verantwortlich ist.
    Was mir mehr Sorgen macht, sind die zu erwartenden “künstlichen” Viren. Gerade im Zusammenhang mit Crispr/Cas9 sind IMHO noch interessante Dinge zu erwarten. Im Guten wie im Schlechten. Auch wenn ich noch immer nicht mit einer Zombieapokalyse rechne 😉

    Vielen Dank noch mal und schöne Grüße 🙂

    Axel

  6. #9 Hobbes
    28. Juni 2019

    Guter Artikel.
    Auch den Aufruf an open science Konzepten kann ich, speziell für alles mit Informatik und Big Data, nur unterstützen.

    Ich habe noch eine Frage zu der vielleicht jemand näheres weiß.
    Wie sieht es eigentlich mit der genetischen Vielfalt bei Menschen aus? Einerseits hat die (im Tierreich wohl einzigartig) starke Durchmischung ja zu unglaublicher genetischer Vielfalt geführt, andererseits aber auch extreme Abweichungen für separierte Gruppen verindert. Sind wir epidemologisch eher anfälliger für einen Virus mit 100% mortalitätsrate oder werden es immer nur maximal 99,99…% sein? Wir hatten ja ewig keine “Bottlenecks” mehr in unserer Evolution. Was im Tierreich ja meistens der Grund für krankheitsbedingtes Massensterben ist.
    Und wie wichtig ist genetische Vielfalt eigentlich gegen diese “Supererreger”. Bestimmte Systeme sind ja bei allen Menschen so gleich, dass ein Angriff auf diese ja nie großartig anders abläuft. (Das HI Virus zum Beispiel)