Trotz allen Fortschritts ist es uns aber noch immer unmöglich (und es wird wohl auch noch lange so bleiben), die nächste Virus-Epidemie vorherzusagen. Umso wichtiger ist es deshalb, im Falle eines Falles wissenschaftlich fundiert und effizient zu reagieren. Die folgenden Schritte helfen, Epidemien besser zu verstehen und schneller zu bekämpfen:
Den Ausbruch erkennen: Womit haben wir es eigentlich zu tun?
Die meisten Ausbrüche von Infektionskrankheiten beginnen damit, dass Ärzte ungewöhnliche Krankheitsmuster bemerken. Zu Beginn eines Ausbruchs ist es die wichtigste Aufgabe, den Erreger (nicht zwangsläufig ein Virus) zu identifizieren. In der Vergangenheit musste man dafür zum Beispiel zielgerichtet nach bestimmten Proteinen suchen, oder gar mit nichtmolekularen Techniken wie Mikroskopie arbeiten. Dank der Metagenomik benötigen wir nun gar kein Vorwissen über den Erreger und können ihn stattdessen direkt in einem Schritt mittels Sequenzierung identifizieren. Der große Vorteil: damit lassen sich auch neuartige oder unerwartete Viren erkennen. Zudem können sofort einige grundlegende Fragen zum Virus selbst beantwortet werden, zum Beispiel ob wir bereits wirksame Medikamente und/oder Impfstoffe zur Verfügung haben. Basierend auf den Sequenzdaten ist es unter anderem möglich, die evolutionäre Verwandtschaft zu anderen (bekannten) Viren zu untersuchen, die Verbindungen zu früheren Ausbrüchen aufzudecken oder potentielle Wirte zu erkennen.
Den Ursprung aufzeigen: Wie hat alles begonnen?
Unmittelbar nach dem Ausbruch ist die Datenlage oft undeutlich, aber eigentlich ist genau dieser Zeitraum besonders wichtig, um effizient zu reagieren. Eines der Hauptanliegen besteht darin, die Veränderungsrate des Virus und die Ausbreitungsrate in der menschlichen Bevölkerung zu verstehen. Hier hilft die Sequenzierung, indem man sofort die genetische Vielfalt der zirkulierenden Viren untersuchen kann; quasi eine Momentaufnahme der Virusgenomsequenzen der ersten Krankheitsfälle. Je vielfältiger das Virus schon am Anfang eines Ausbruchs ist, desto schneller verändert es sich und desto gefährlicher ist es in der Regel. Die Daten geben auch wichtige Einblicke in die Frage, ob das Virus eher wiederholt von Tier auf Mensch übertragen wurde oder von Mensch zu Mensch weitergegeben wurde.
Die Übertragungsmuster aufklären: Wer infiziert wen?
Die Virusgenomsequenzierung bietet ein enormes Potenzial für die Bestimmung von Übertragungsketten. Die Verfolgung von Übertragungsketten liefert wichtige Informationen, mit denen die Verbreitung von Viren unterbrochen und das Ausmaß eines Ausbruchs verringert werden kann. Traditionell hat man hierfür die Erkrankten nach ihren Kontakten befragt. Das Unterfangen ist nicht nur schwierig, weil es sehr aufwendig ist; es beruht vor allem auch auf der Bereitwilligkeit der Erkrankten, sich befragen zu lassen, deren Ehrlichkeit und Gedächtnis. Die Analyse der Virusgenome liefert wesentlich detailliertere Informationen über die Verzweigungsmuster der Übertragung.
Den Ausbruch kartieren: Wie breitet sich das Virus aus?
Evolutionäre Schlussfolgerungen aus Virusgenomen werden verwendet, um die Ausbreitung des Virus zu analysieren und abzuschätzen, wie sich eine Epidemie über Zeit und Raum entwickeln wird. Dabei werden die räumlichen Muster der Virusausbreitung aufgedeckt und die räumliche Vorgeschichte rekonstruiert. Wichtig ist es vor allem auch, Faktoren zu erkennen, die die Ausbreitung des Virus beeinflussen, insbesondere in Hinblick auf unser globales Reiseverhalten.
Das große Bild erfassen: Wie hängen verschiedene Ausbrüche zusammen?
Die Analyse von Virussequenzdaten über verschiedene Ausbrüche hinweg gewährt Einblicke in die Evolutionsmuster zwischen Epidemien. Die grundlegendste Frage ist wohl, ob das Virus in der Lage war, zwischen den Ausbrüchen in der menschlichen Population zu überleben, oder der erneute Ausbruch wieder durch eine Übertragung vom Tier ausgelöst wurde. Die Ebola-Epidemien, die seit den 1970er Jahren relativ häufig aufgetreten sind, begannen zum Beispiel alle durch Übertragung von Tieren (vermutlich Fledermäusen).
“Big Data” und “Open Science”
Damit ein Virenausbruch so gründlich und effizient untersucht werden kann, wie eben beschrieben, sind die Forscher vor allem auf den rechtzeitigen Zugang zu klinischen Proben und Daten angewiesen. Dafür ist es notwendig, dass Kliniken, Gesundheitsbehörden, lokale Einsatzkräfte und Wissenschaftler Hand in Hand arbeiten. Dabei sind die reinen Virensequenzen nur ein Bruchteil der benötigten Information. Um eine klinische Probe sinnvoll analysieren und in den Kontext einordnen zu können, braucht es einen Mindestsatz von Metadaten, insbesondere das Datum und den Ort der Probenentnahme und/oder des ersten Auftretens der Symptome. Für die Untersuchung der räumlich-zeitlichen Geschichte und die Ausbreitung eines Ausbruchs helfen Daten über die Reise- und Kontakthistorie der Erkrankten, die vermutete Infektionsquelle, die zeitliche und räumliche Verteilung der Erkrankungen, die zugrundeliegenden ökologischen Bedingungen und Umweltfaktoren. Auch Informationen wie Alter, Geschlecht und wirtschaftlicher Status können dazu beitragen, Risikofaktoren der Infektion aufzudecken.
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