Während der CrAssphage zum Zeitpunkt seiner Entdeckung im Jahr 2014 keine bekannten Verwandten hatte, wurden im Jahr 2017 eine ganze Reihe verwandter Viren entdeckt und eine neue Familie von CrAss-ähnlichen Phagen beschrieben.
Alle gleich oder doch jeder einzigartig?
Wenn der CrAssphage in einem so großen Teil der Bevölkerung vorkommt, stellt sich natürlich die Frage, ob es eine Art Kernvirom im Darm gibt, das allen Menschen gemein ist. Die Frage ist bisher ungeklärt, aber Fakt ist, dass noch weitere Viren im Darm vieler Menschen zu finden sind, darunter weitere Vertreter der CrAss-ähnlichen Phagen. Bei der vergleichenden Untersuchung des Darmviroms von Erwachsenen hat man jedoch auch entdeckt, dass dessen Zusammensetzung bei jedem Individuum einzigartig ist. Man kennt bereits mehrere Faktoren, die unsere Viromzusammentzung im Darm beeinflussen: Verwandtschaft, Ernährung, Geburtsmodus und natürlich auch Krankheiten. Der Geburtsmodus (das heißt natürlich versus Kaiserschnitt) scheint die Virenzusammensetzung im Darm sogar stärker zu beeinflussen als die Bakterienzusammensetzung.
An die Frage, wie sich das Darmvirom zusammensetzt, schließt sich direkt die Frage über dessen Einfluss auf die Gesundheit eines Menschen an. Die Rolle des Darmviroms bei Krankheiten ist bei weitem noch nicht hinreichend untersucht. Man kennt jedoch schon Zusammenhänge mit einigen Krankheiten, unter anderem chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Typ-I-Diabetes und Darmkrebs. Auch Mangelernährung lässt sich am Darmvirom erkennen, es bleibt jedoch noch unklar, ob die veränderte Zusammensetzung Ursache oder Folge der Krankheit ist.
Vom Babydarm zum Erwachsenendarm: Stabilität über die Zeit
Ob der Darm von Neugeborenen völlig steril ist oder nicht, ist immer noch umstritten. Unmittelbar nach der Geburt ist er einer enormen Anzahl von Mikroorganismus ausgesetzt und wird von diesen besiedelt. In den folgenden Wochen und Monaten bildet sich eine stabile Gemeinschaft dieser Organismen. Das Virom verändert sich in den ersten Lebenswochen drastisch: mehr als die Hälfte der Viren aus Stuhlproben in der ersten Lebenswoche, sind in der zweiten schon nicht mehr nachweisbar. Bakteriophagen dominieren die frühe Besiedlung des Darms nach der Geburt und stammen eher aus der Umwelt als von der Mutter oder der Nahrung. Interessanterweise wird die größte Menge und Vielfalt an Phagen in den ersten Lebensmonaten beobachtet und nimmt im Laufe der Zeit signifikant ab. Die bakterielle Komponente des Darmmikrobioms entwickelt sich genau anders herum.
Auch eukaryotische Viren wurden in Stuhlproben von Säuglingen nachgewiesen, auch ohne, dass diese Säuglinge ein Krankheitsbild zeigten. Ihr Reichtum nimmt wiederum mit zunehmendem Alter zu, vermutlich, weil wir diese Viren aus der Umwelt aufnehmen.
Im Gegensatz zu den drastischen Veränderungen im Virom des Säuglingsdarms scheint das gesunde Darmvirom eines Erwachsenen über die Zeit ziemlich stabil zu sein. Trotzdem mutieren die Viren natürlich auch in unserem Darm. So kann es schon vorkommen, dass sie sich innerhalb von zwei Jahren so sehr verändern, dass sie sich zu einer neuen Art entwickeln. Das könnt auch ein Grund für die zwischenmenschlichen Unterschiede im Darmvirom sein.
Bakterien vs Phagen
Wie kommen die Bakterien und die Bakteriophagen in unserem Darm nun eigentlich miteinander klar und wie beeinflussen sie sich gegenseitig? Die mikroskopische Untersuchung von Stuhlproben ergab, dass etwa 108 bis 109 Viren und 109 Bakterienzellen pro Gramm Stuhl zu finden sind. Also etwa ein Verhältnis von 1:1 oder 0,1:1. Die verhältnismäßige Anzahl an Viren ist viel geringer als beispielsweise in Meeresproben. Auch findet sich im Darm kein klassischer “Räuber-Beute” Zyklus: viele Bakterien > viele Phagen, die die Bakterien infizieren > dadurch Reduzierung der Bakterien > weniger Phagen (“Räuber-Beute” ist in diesem Zusammenhang nicht ganz richtig, aber ihr wisst, was ich meine). Nur im Säuglingsdarm trifft man anfangs einmal auf diesen Zyklus (wie oben schon angesprochen). Die Bakteriophagen in unserem Darm sind also nicht besonders aggressiv, sondern führen einen eher “gemäßigten Lebensstil” (wenn ich das so sagen darf, für etwas, was man nicht mal als Lebewesen betrachtet). Daher sind Phagen im Darm mehr als nur “Raubtiere”. In einigen Fällen helfen sie sogar ihrem bakteriellen Wirt, sich in dem Ökosystem, in dem sie sich befinden (also in diesem Fall im Darm), einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Das bedeutet aber auch, dass die Wechselwirkungen zwischen Bakterien und Bakteriophagen im Darm für die bisher bekannten Modelle, die die Dynamik von Phagen und Bakterien in anderen ökologischen Umgebungen beschreiben, zu komplex sind. Hier sind neue Modelle erforderlich, insbesondere um diese Dynamik im Hinblick auf Krankheiten zu untersuchen.
Warum sollte man ein mehrdimensionales Ökosystem untersuchen, indem man sich nur auf eine Dimension konzentriert?
Bleibt zu sagen, dass wir noch fast nichts wissen über unser Darmvirom. Was wir brauchen, sind größere Längsstudien, die sich sowohl auf die bakterielle als auch auf die virale Komponente des Darmmikrobioms konzentrieren. Und wir brauchen bessere viren-bioinformatische Analysen. Die meisten Virussequenzen in Metagenomstudien bleiben noch immer unidentifiziert (“Dunkle Marterie”). Dementsprechend sind auch die Auswertungen nicht vollständig und es kommt immer wieder zu Widersprüchen in den Forschungsergebnissen. Wichtig für die Zukunft ist, dass wir nicht nur weiter die Bakterien im Darm untersuchen, sondern vor allem auch die Rolle der Phagen im Blick behalten: Wie verändern Bakteriophagen die Zusammensetzung und Funktion der bakteriellen Komponente des Darms und welchen Einfluss haben sie dadurch auf unsere Gesundheit?
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