Alan Turing gehört zweifelsohne zu den interessantesten Persönlichkeiten der Geschichte der Informatik. Er entwickelte das Konzept der Turing-Maschine, ein abstraktes Modell eines Computers, mit dem man testen kann, ob ein Problem überhaupt berechenbar (also von einem Computer lösbar) ist. Turing-Maschinen sind bis heute einer der Schwerpunkte der Theoretischen Informatik. Während des Zweiten Weltkriegs war Turing einer der herausragendsten Wissenschaftler im Bereich der Kryptoanalyse. Er half dabei, sowohl die Codes der Enigma als auch der Lorenz-Schlüsselmaschine zu brechen und damit die verschlüsselten deutschen Funksprüche zu entziffern. Zudem beschäftigte er sich schon früh mit der Problematik der künstlichen Intelligenz und formulierte den Turing-Test, um festzustellen, ob ein Computer ein dem Menschen gleichwertiges Denkvermögen hätte. Und als wäre das alles nicht schon cool genug, beschäftigte sich dieser Pionier der Informatik in seinen letzten beiden Lebensjahren doch tatsächlich auch noch mit mathematischer Biologie. Alan Turing — einer der ersten Bioinformatiker!
Biologische Ästhetik
Habt ihr euch auch schon einmal gefragt, wie diese tolle Fellmusterung bei Zebra, Tiger, Giraffe, Dalmatiner und Co eigentlich zustande kommt? Um das zu verstehen, müssen wir an den Anfang zurückspulen, bis zur Morphogenese der kleinen Tierbabies. Der Begriff Morphogenese kommt aus dem Griechischen, bedeutet „Entstehung der Form“ und beinhaltet alle Entwicklungsprozesse, die irgendwie an der Ausbildung der charakteristischen Form beziehungsweise Gestalt eines Organismus beteiligt sind, von der Organentwicklung bis hin zur Herausbildung bestimmter Strukturen oder Muster. Wie das Fell des Zebras später einmal aussehen wird, wird bereits im Zebraembryo festgelegt. Dabei stellt sich die Frage, ob die Streifen eines Zebras genetisch vorbestimmt sind? Haben Zebrazwillinge das gleiche Muster? Nein. Die Fellmuster sind von Zebra zu Zebra unterschiedlich, ähnlich zu den Fingerabdrücken beim Menschen. Die Morphogenese wird nicht nur durch das Erbgut bestimmt, sondern auch in unterschiedlichem Maße von Umweltfaktoren beeinflusst.
Wie erhält ein Haar seine Farbe?
Wie wird ein Haar denn überhaupt schwarz, weiß, oder auch blond oder braun? Ein Haar entsteht im Haarfollikel, gewissermaßen die Produktionsstätte und gleichzeitig der Anker eine Haares. Am unteren Ende des Follikels wird das Haar in der Haarwurzel gebildet. Rund um diesen Bildungsbereich lagern im Follikel zahlreiche Melanozyten. Melanozyten sind Zellen, die Melanine enthalten, die die Färbung der Haut, Haare, Federn und Augen bewirken. Diese Farbpigmente können dunkelbraun bis schwarz oder gelblich bis rötlich sein. Die Melanozyten geben die Melanine an das entstehende Haar ab und sorgen damit für dessen Färbung. Werden keine Farbpigmente an das Haar abgegeben, bleibt es weiß.
Melanozyten bestimmen auch die Farbe der Haut, wobei unterschiedliche Melanozyten für Haut- und Haarfarbe verantwortlich sind. Soll heißen: Die Haut des Zebras ist nicht gestreift, sondern schwarz. Bei manchen Großkatzen spiegelt die Haut das Muster des Fells wieder. Das liegt vermutlich jedoch daran, dass die farbigen Haarfollikel in der Haut sichtbar sind, ähnlich wie ein Bartschatten beim Mann.
Wie kommt das Zebra zu seinen Streifen?
Oder anders gesagt, wie kommt es zur unterschiedlichen Verteilung des Melanins? Mit dieser Frage beschäftigte sich Alan Turing Anfang der 1950er Jahre. Selbst kein Biologe, betrachtet er die Frage aus mathematischer Sicht und versucht nachzuvollziehen, wie sich ein Embryo Schritt für Schritt entwickelt. Er schlug einen Reaktions-Diffusions-Mechanismus vor, in dem zwei chemische Substanzen miteinander reagieren und diffundieren. Diffusion, das kennt ihr vielleicht noch aus der Schule, ist der ohne äußere Einwirkung eintretende Ausgleich von Konzentrationsunterschieden. Turing vereint mit seiner Theorie also nicht nur Biologie und Mathematik, sondern auch noch Chemie und Physik. Multidisziplinär sozusagen: eine biologische Fragestellung mit chemischen und physikalischen Konzepten erklärt und mathematisch bewiesen.
Für ein solches Reaktions-Diffusions Modell brauch wir zwei chemische Substanzen, die Turing als Morphogene bezeichnet: Die eine Substanz ist ein Aktivator, der ab einer bestimmten Konzentration die Produktion von Melanin anregt. Der Aktivator ist außerdem autokatalytisch, das heißt, er regt auch die eigene Produktion an. Und der Aktivator breitet sich nur langsam aus. Die andere Substanz ist ein Inhibitor, der die Produktion des Aktivators unterdrückt. Der Inhibitor breitet sich schnell und langreichweitig aus. Der Aktivator ist stärker fördernd, als der Inhibitor hemmend ist. Wie sich diese beiden Substanzen nun im Körper ausbreiten und miteinander interagieren, lässt sich mathematisch durch eine partielle Differentialgleichung darstellen (bestehend aus zwei Gleichungen: eine für den Aktivator und eine für den Inhibitor). Ein ganz wichtiger Bestandteil dieser Gleichung ist der Parameter für die Diffusion. Ohne Diffusion ist das System homogen, mit Diffusion formt es räumliche Muster, wie zum Beispiel Streifen: an den Stellen mit einer hoher Konzentration an Aktivatorsubstanz wird Melanin gebildet, das Fell wird schwarz.
Turing bewies, dass dieses einfache System eine Vielzahl von Mustern hervorbringen kann. Also nicht nur die Streifen des Zebras, sondern zum Beispiel auch die Flecken der Giraffe. Welches Muster konkret entsteht, hängt von vielen unterschiedlichen Faktoren ab. Zum Beispiel von der Größe und Geometrie des Fells, aber auch von der Dauer der Embryonalentwicklung und dem Zeitpunkt der Musterbildung. Bei der Giraffe zum Beispiel findet die Musterbildung recht früh statt; die Flecken wachsen entsprechend mit. Dalmatinerflecken hingegen sind eher klein, weil die Musterbildung eher später stattfindet. Das Modell erklärt sogar, wieso der Körper des Geparden fleckig, der Schwanz jedoch gestreift ist. Mehr noch, das Prinzip von Konzentrationsgradienten erklärt noch viele weitere natürliche Muster über die Fellfärbung hinaus: Von der Anordnung der Sonnenblumenkerne bishin zur links-rechts Symmetrie unseres Körpers. Turings Arbeit war damit ein Meilenstein der Entwicklungsbiologie
Wozu eigentlich Streifen?
Bleibt noch die Frage, wozu Zebrastreifen eigentlich gut sind (außer um die Straße zu überqueren ;)). Dazu gab es über die Jahre die verschiedensten Theorien, von Tarnung über Kühlung bis zur Insektenabwehr. Die Theorie vom kühlenden Effekt der Zebrastreifen ist bereits widerlegt. Sehr wahrscheinlich ist hingegen die Funktion bei der Insektenabwehr. Die Streifen der Zebras reflektieren das Licht so, dass die Insekten ihre Flugbahn nicht kontrolliert abbremsen können, gegen den Zebrakörper prallen und wieder weg fliegen.
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