Es geht um den wichtigsten Gegenstand auf dem Schreibtisch: der Kaffeebecher!
Aber wie viel Wissenschaft steckt in unserem Lebensspender? Heute bei Coffee-Mug-Science: der “Hot Chocolate Effect” und sein Entdecker.
Kaum ein anderer Gegenstand am Arbeitsplatz ist so wichtig und so individuell wie unser persönlicher Kaffeebecher!
Mit all seinen Bildern, Sprüchen und Weisheiten. Neben den vielen Motiven und Ausführungen haben es mir vor allem die Becher mit wissenschaftlichen Aussagen angetan. Aber wie viel Wissenschaft steckt wirklich in diesen Botschaften?
Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, mache ich mich auf die Suche nach besonderen Kaffeebechern und Effekten und ergründe ihre wissenschaftliche Tiefe.
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Heute: Hot Chocolate Effect
Es geht um ein Phänomen, das nichts mit Aussagen auf dem Becher, sondern direkt mit dem Becher zu tun hat: Der Hot Chocolate Effect.
Alles begann mit einer Tasse Kaffee – und zwar in meinem Lieblingsbecher, den ich gerne liebevoll als das physikalische Existenzminimum bezeichne 😉 :
Neben Schrödinger, Newton und Maxwell haben es u.a. auch Dirac, Euler und Balmer mit ihren wichtigsten bzw. bekanntesten Formeln auf die Keramik geschafft, aber auch viele Klassiker wie Kreisumfang, Entropie oder Fourier Transformation sind vertreten (und noch einige andere Formeln) – der Becher ist etwas größer als andere ist, was an langen Messtagen durchaus von Vorteil war.
Es sind also alle Formeln drauf, die man für das tägliche Überleben braucht und er gibt mir zwischendurch auch Inspirationen für neue Beiträge 🙂
Vor längerer Zeit – mittlerweile sind es Jahre – saß ich also in der Kaffeeküche unseres Instituts und unterhielt mich mit einigen Kollegen, während ich auf den richtigen Druck in meiner Vakuumkammer wartete.
.Da klopft doch etwas
An dem Tag war der Kaffee noch stärker als sonst und musste mit Milch gestreckt werden. Während wir also um den Tisch saßen und auf geistige Eingebungen warteten, klopfte ich mit meinem Löffel auf den Becherboden.
Dabei fiel mir auf, dass sich der Klang mit der Zeit änderte (er wurde höher).
Die Kommentare der meisten Kollegen waren:
– “Du triffst beim Klopfen immer andere Stellen und deswegen klingt das anders”,
– “Das ist bestimmt, weil sich der Becher erwärmt”,
– “Kann nicht sein, ich hör nichts”
– “Hm…”
Wir haben es dann nochmal mit anderen Heißgetränken und vorgewärmten Bechern ausprobiert. Und es klappte wieder. Aber da wir nicht wussten, wonach wir suchen sollten, blieben weitere Recherchen lange erfolglos.
Ich beschreibe noch einmal die Beobachtung
– Man benötigt ein klingendes Gefäß: z.B. ein Keramikbecher oder ein Glas
– Das wird nun mit einer heißen Flüssigkeit gefüllt: z.B. Kaffee oder Wasser
– Nun wird mit einem Löffel auf den Boden geklopft, dabei ist egal,
ob von oben oder von unten geklopft wird.
– Innerhalb einiger Sekunden wird die Tonhöhe des Klanges höher.
Irgendwann stolperte ich über einige Artikel von Frank S. Crawford,
dessen Geburtstag passenderweise im Oktober war.
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Frank Crawford, der Mann mit dem Sinn fürs Alltägliche
Crawford (* 25.10.1923, † 28.07.2003) war einer dieser Physiker, der, wenn er unser jetziges Internet zur Verfügung gehabt hätte, höchstwahrscheinlich einen sehr lesenswerten Blog betrieben hätte. Viele seiner Publikationen befassten sich mit der Physik alltäglicher Phänomene und ihm wurde nachgesagt, dass er seine Begeisterung für die Physik mit jedem, der in seine Nähe kam, teilte.
Aber auch hoch komplexe Themen gehörten zu seinem Repertoire. So hat er beim Nobelpreisträger Luis Walter Alvarez promoviert und in seinem Team maßgeblich bei der Weiterentwicklung der Blasenkammer mitgearbeitet, die wichtig für den Fortschritt im Bereich der Elementarteilchen war. Später befasste er sich mit astronomischen Fragen, arbeitete an der adaptiven Optik (diese braucht man, um die Effekte der flimmernden Atmosphäre bei terrestrischen Teleskopen auszugleichen) und widmete sich der Supernova-Suche. Weitere Infos über den Musiker, Professor und Erfinder sind in seinem Nachruf der California University Berkley zu finden [3].
Besonders zwei seiner Artikel zu alltäglichen Phänomenen führen mich wieder zurück zum eigentlichen Thema. 1982 erschien “The hot choclate effect” [1] und 1990 die verallgemeinerte Version: “Hot water, fresh beer, and salt” [2].
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Die Lösung: Heißes Wasser, frisches Bier und Salz
Im Grunde ist es dann auch ganz einfach: Wird ein Gefäß mit einer Flüssigkeit gefüllt, kann allgemein davon ausgegangen werden, dass Luft als winzige Bläschen mit eingebracht wird. Im Kaffee ist das schwierig zu beobachten, aber jeder kennt milchig getrübtes Leitungswasser, das nach kurzer Zeit wieder klar wird (die Trübung wird durch die kleinen Luftbläschen hervorgerufen).
Wird das Gefäß nun angeschlagen, wird ein Klang erzeugt, der durch den Inhalt beeinflusst wird. Es ist recht offensichtlich, dass z.B. ein voller Becher anders klingt als ein leerer. Schall breitet sich in Wasser anders aus als in Luft. Genauso breitet sich Schall in Wasser auch anders aus als in einem Gemisch von Wasser und Luft – oder in unserem Fall in einem Gemisch aus Kaffee und Luft, wobei die Effekte die gleichen bleiben.
Somit muss sich der Klang ändern, wenn nach dem Einfüllen die Luftbläschen mit der Zeit entweichen.
Warum wird der Ton aber höher?
Geht man aber etwas mehr ins Detail, wird die Sache wesentlich komplexer (hier verlassen wir nun den Rahmen der üblichen Kaffeepause).
Crawford zeigt in seinem Paper [1], dass eine kleine Änderung des Luftgehaltes einen erheblichen Einfluss auf den Klang hat. Entscheidend für den Klang ist die Schallgeschwindigkeit, die angibt wie schnell sich Schallwellen oder Vibrationen durch ein bestimmtes Material hindurch ausbreiten können. In dichteren Materialien wie Wasser kann sich Schall schneller ausbreiten als z.B. in Luft; bei Wasser kommt noch hinzu, dass es inkompressibel ist, was der Schallausbreitung zusätzlich noch zugute kommt. Für die Bestimmung der Schallgeschwindigkeit bei einem Gemisch kann man jedoch nicht einfach den Mittelwert der Einzelkomponenten nehmen, da sich ihre Eigenschaften nicht linear überlagern, vor allem die Kompressibilität ändert sich schlagartig. Crawfords Berechnungen als Funktion von Dichte und Kompressibilität zeigen, dass die Schallgeschwindigkeit von Wasser von 1500 m/s auf 120 m/s abfällt, wenn nur 1% Luft enthalten ist, und dieser Wert liegt damit sogar unterhalb von dem reiner Luft (343 m/s bei Standardbedingungen).
Während die Luftbläschen langsam aufsteigen, erhöht sich die Schallgeschwindigkeit, was als höher werdender Ton wahrgenommen werden kann, wenn man den Becher anschlägt.
Aber natürlich sind wir nicht nur auf Kaffee, Wasser oder ‘heiß’ beschränkt. In seinem Paper [2] benutzt Crawford etwas Salz, damit Bier stärker perlt, um so den Klang zu ändern. Strickt man den Gedanken weiter, so kann man im Prinzip auch hören, ob sein Bier schal geworden ist.
In diesem Sinne noch eine schöne Kaffeepause!
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Der Effekt lässt sich sehr einfach selber nachmachen
und eignet sich somit wunderbar als Heimexperiment
oder als Vorführung in der Kaffeepause 😉
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Quelle:
Leider gehören die beiden Veröffentlichungen wieder zu denen, die nicht öffentlich zugänglich sind:
[1] Crawford, F. (1982), The hot chocolate effect, Am. J. Phys. 50, 398 DOI: 10.1119/1.13080
[2] Crawford, F. (1990). Hot water, fresh beer, and salt, American Journal of Physics, 58 (11) DOI: 10.1119/1.16268
[3] Nachruf und Foto zu Frank S. Crawford auf Berkeley.edu
[4] Comic von “Piled Higher and Deeper” by Jorge Cham vom 04.02.2004 “Things to do while waiting …”
Den Becher habe ich hier gefunden:
(Ich habe bereits weitere Kandidaten entdeckt,
die sicherlich auch bald hier auftauchen werden 🙂 )
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