In der Vergangenheit wurden die Nominierungen zum Deutschen Zukunftspreis in Berlin bekannt gegeben. In diesem Jahr fand die Vorstellung der Teams zum ersten Mal in München statt. Im Deutschen Museum haben diese am Mittwoch (12.09.2012) Mittag der Presse kurz und knackig ihre Innovation erklärt.
Am Abend durften sie jeweils in einem 15 Minuten Vortrag die oft komplizierte Technik der allgemeinen Öffentlichkeit verständlich machen. Denn die beste Erfindung ist nichts wert, wenn sie von der Öffentlichkeit nicht akzeptiert wird. Alle Erfindungen sind nicht brand neu, aber sind zukunftsfähig, da sie Arbeitsplätze und Wohlstand schaffen und nicht „nur“ clevere Erfindungen sind. Genau das ist die Idee des Zukunftspreises. Hier habe ich einmal versucht die Innovationen zusammen zu fassen:
Team I
Binaurale Hörgeräte – räumliches Hören für alle
oder auch
Die Brille für die Ohren kann jetzt auch 3D
Wer schlecht sieht und keine Kontaktlinsen oder gar eine Lasik-Operation verträgt lässt sich vom Augenarzt und Optiker eine Brille anpassen. Auf die Idee zu einem Monokel zu greifen kommt heute wohl keiner mehr. Auch zwei Monokel machen nur Sinn, wenn sie verbunden und die Gläser auf das jeweilige Auge so angepasst sind, dass räumliches Sehen wieder ermöglicht ist; aber dann sind wir ja ohnehin schon wieder bei der Brille.
Das Team um Prof. Dr. rer. nat. Dr. med. Birger Kollmeier, Prof. Dr. rer. nat. Volker Hohmann (beide Carl von Ossietzky Universität Oldenburg) und Dr.-Ing. Torsten Niederdränk (Siemens AG) haben genau diese Logik auf Hörgeräte angewandt und so räumliches Hören für Hörgeräteträger ermöglicht. Der eigentliche Mehrwert für Menschen mit Schwierigkeiten beim hören liegt aber ganz klar in der Inklusion in das soziale Leben.
Jeder Sechste leidet in Deutschland unter vermindertem Hörvermögen; bei Menschen über 60 Jahren ist dies sogar jeder Zweite. Und lauter ist nicht gleich besser, genauso wie heller nicht gleich besser ist, wenn man schlecht sieht. Der Nachhall in Räumen oder mehrere durcheinanderredende Menschen und laute Hintergrundgeräusche bleiben trotz Hörhilfe ein großes Problem, da sie ein diffuses Hörbild zeichnen, wie eine Milchglasscheibe für die Augen. Das räumliche Hören mit zwei Ohren funktioniert dadurch, dass die Richtung und das Aussondern von Hall durch die Kombination von zwei Ohren erfolgt. Das Trennen von Nutz- und Störschall findet im Gehirn statt.
Die Innovation des Teams um Herrn Prof. Kollmeier besteht darin, dass die zwei einzelnen Hörgeräte sich nicht mehr nur auf jeweils ein Ohr konzentrieren, sondern zusammen gekoppelt als „binaurales“ Hörgerät agieren. Das Hören findet also durch einen Vergleich von rechts und links statt. Daher tauschen das linke und das rechte Hörgerät Daten per Funk untereinander aus. Mit gezielten Algorithmen entsprechend des Hörfehlers kann die Hörunterstützung ganz individuell angepasst werden. Die relevanten von irrelevanten Geräusche zu unterschieden und so nur die gewünschten durch zu lassen kann eigentlich nur dadurch übertroffen werden die dummen von den klugen Worten zu unterscheiden; aber dafür sind leider noch keine Hörgeräte in Arbeit.
Die Technik ist seit 2004 auf dem Markt und wird bereits in fast 80% aller Hörgeräte eingesetzt.
Team II
Radaraugen im All – revolutionäre Technik für Erde und Umwelt
oder auch
Die Vermessung der Erde mit einem Tandem
Genau wie bei den Hörgeräten ist auch bei Satelliten das Zusammenspiel von zwei Geräten der eigentliche Knackpunkt. Im Jahr 1904 wurde zum ersten Mal ein „Telemobiloskop“ von Christian Hülsmeyer zum Patent angemeldet. Heute heißen solche Geräte Radar. Mit Radar nach dem Fledermausprinzip (Echo erfolgt auf Sendeimpuls) kann man die Oberfläche der Erde abtasten und das unabhängig von Wetter, Wolken oder Licht. Allerdings ist dies, wie die Betrachtung der Erde mit nur einem Auge, lediglich eindimensional. Ein dreidimensionales Bild durch Radarabtastung können Prof. Dr.-Ing. habil. Alberto Moreira, Dr.-Ing. Gerhard Krieger und Dr.-Ing. Manfred Zink vom Deutschen Luft und Raumfahrtzentrum (DLR) seit dem Jahr 2010 mit dem Satellitenpaar TanDEM-X erzeugen. Die Schwierigkeit lag in dem Formationsflug der beiden Satelliten sowie der Datensynchronisation im All. Letztere geschieht im Billionstelsekunden Bereich um die Genauigkeit der Daten auf wenige Zentimeter genau erzeugen zu können. Würden die beiden Satelliten neben einander fliegen, so würden sie irgendwann kollidieren. Um das zu vermeiden müsste oft gegengesteuert werden, was aber Treibstoff verbraucht der maximal ein Jahr halten würde. Übereinander ist auch nicht möglich, da sich der Abstand aufgrund der unterschiedlichen Längen der Umlaufbahnen sehr schnell sehr stark vergrößern würde. Die Lösung ist der Formationsflug in einer Doppel-Helix um den Erdball. Der Abstand zwischen den Satelliten bleibt somit konstant und stabil. Meisterleistungen für die das Team um Prof. Moreira für den Deutschen Zukunftspreis nominiert ist.
Mit den so erzeugten Daten kann man den Verkehr auf den Straßen besser lenken, ideale Standorte für Offshore-Windparks erkunden, den Klimawandel anhand von Veränderungen der Gletschern oder Meeresströmungen beobachten und noch viel mehr. Die Genauigkeit liegt im Zentimeterbereich, so dass sogar die Boden-Absenkung durch Grundwasserverlust beobachtet werden kann. Derzeit dauert es etwa ein Jahr, um den Erdball einmal komplett zu erfassen. Das Nachfolgeprojekt TanDEM-L schafft dies innerhalb einer Woche zwei mal (!), so dass auf Veränderungen deutlich schneller und besser reagiert werden kann. Eine Verbesserung um Faktor 100! In etwa fünf Jahren soll es soweit sein.
Team III
„Integrity Guard“ – Sicherheit für die vernetzte Welt
oder auch
Der persönliche Türsteher im Pass
Es fällt vielen Menschen immer noch schwer sich an einen Chip im Reisepass oder auch an seine Bankdaten auf einer Plastikkarte gespeichert zu gewöhnen. Vom Bezahlen mit dem Mobiltelefon mit der Hilfe von Near Field Communication (NFC) ganz zu schweigen. Von Hackerangriffen und sonstigen Attacken auf unsere Sicherheit im digitalen Leben hört man leider viel zu oft. Um so schöner, dass es auch gute Neuigkeiten von der anderen Seite gibt; von der Seite, die uns diese bequemen Alltagshilfen sicher machen.
Dr. Stefan Rüping, Marcus Janke und Andreas Wenzel von der Infineon AG haben den derzeit sichersten Standard für die Verschlüsselung sensibler Daten entwickelt und diesen im Zentrum der Mikrochips verortet.
Der Status Quo beinhaltete zwei elementare Einschränkungen bei der sicheren Chip-Architektur: 1) Unverschlüsselte Daten im Herzen des Sicherheitschips und 2) eine einzige Recheneinheit beim Daten verarbeitenden Prozessor. Die Innovation beim „Integrity Guard“ besteht in der Verwendung von zwei Rechenwerken, die sich gegenseitig kontrollieren und so verschlüsselte Daten im Prozessorkern ermöglichen.
Man muss prinzipiell unterscheiden zwischen der Art und Weise, wie man Daten speichert und wie man diese verwendet. Genau wie man unterscheiden muss, wie schwierig es ist ein Auto aufzubrechen und was man damit macht. Stellt man sich den Chip mit den sensiblen Daten als Auto vor, so ist es durch Integrity Guard quasi unmöglich das Auto aufzubrechen. Wenn der Fahrer und Besitzer des Wagens sich allerdings dazu entschließt die Gestalten mit ausgestreckten Daumen am Wegesrand mitzunehmen, kann auch die beste Wegfahrsperre nicht mehr helfen.
Der elektronische deutsche Personalausweis verwendet diese Technologie bereits. Insgesamt wurden schon über 80 Millionen solcher Chips verkauft – ein klarer Vertrauensbeweis und eine gute Nachricht im Dschungel der Nachrichten über Hacker-Angriffe. Aufklärung mit dem sicheren Umgang mit seinen Daten kann das nicht ersetzen. Hier müssen aber wohl andere ansetzen.
Team IV
Brillante Videos überall – effiziente Codierung mit internationalen Standards
oder auch
Wie Hollywood zu mir nach Hause kommt
Als Mary Poppins in ihrem neuen Zuhause einzieht zaubert sie unendlich viele Dinge aus ihrer Tasche hervor, auch wenn diese viel größer sind, als die Tasche selber. Die Kinder bekommen große Augen bei diesem “Zaubertrick” und der Zuschauer vor dem Fernseher schmunzelt vergnügt bei dieser Idee.
Auch wenn diese Szene aus dem Film Klassiker wohl nicht die Inspiration für Prof. Dr.-Ing. Thomas Wiegand, Dr.-Ing. Detlev Marpe und Dr.-Ing. Heiko Schwarz war, so kommt ihre Innovation dieser Idee vom effizienten verpacken großer Daten sehr nahe.
Das mp3 Format hat im Musik Bereich das gemacht, was die Wissenschaftler vom Fraunhofer-Institut für Nachrichtentechnik, dem Heinrich-Hertz-Institut, Berlin und der Technischen Universität Berlin für bewegtbild Formate gelungen ist. Sie haben einen weltweiten Industriestandard gesetzt um Filme so effizient zu komprimieren, dass man sie quasi überall hin übertragen kann. Bewegte Bilder stellen etwa die Hälfte des Internet-Traffics dar. Man kann also sagen, dass jedes zweite Byte im Internet mit diesem Standard übertragen wird, für den das Team um Prof. Wiegand für den Deutschen Zukunftspreis nominiert ist. Der Standard hat den Namen H.264/AVC.
Für Film- und Fernsehproduktionen, Telemedizin, Videokonferenzen, E-Learning etc. werden Bilder über Satelliten, Mobilfunk, Internet, Kabel und Speichermedien auf Displys, Computer, TV-Geräte, Smartphones und Tablet-Computer übertragen. Um das Originalsignal zu übertragen bräuchte man ungefähr 600 MBit. Es stehen aber meisten nur etwa 10 MBit zur Verfügung – eine Kompression auf 1,7% ist notwendig. Auf den Geräten soll man aber dennoch HD Material sehen können. Um dies zu erreichen passiert folgendes: Die Sequenz von Bildern aus denen ein Videosignal besteht wird analysiert und durch den Abgleich der Bilder auf Ähnlichkeiten werden Vorhersagen für die kommenden Bilder getroffen. Dies passiert nicht für das Bild als ganzes sonder für gerasterte Blöcke des Bildes. Diese Blöcke können in der Größe variieren, um bessere Vorhersagen treffen zu können. Darüber hinaus werden noch weitere Codierungsmethoden angewandt, um eine so hohe Komprimierung zu erreichen. Natürlich gibt es hierbei Nachteile wie bei dem mp3 Format. Prof. Wiegand hatte seiner Großmutter einmal erklärt was er so arbeitet. Ihre Antwort war: „Und Du machst die ganze Arbeit und am Ende sieht es schlechter aus als vorher?“ Für den Betrachter sind die Qualitätsverluste praktisch nicht bemerkbar und die übertragene Qualität ist wirtschaftlich interessant genug, um deutlich zukunftsfähig zu sein. Zum Beispiel verwendet jeder Blu-ray Player diesen Standard. Europas größtes Blu-ray Presswerk steht in Deutschland und Deutschland ist auch weltweit führend in der Herstellung von Blu-ray-Disc-Produktionsanlagen. Das sind mehr als 1000 Arbeitsplätze. Weitere 1000 Arbeitsplätze gibt die Deutsche Telekom für ihr T-Home Entertain Segment an, welches auch komplett mit diesem Standard arbeitet.
Drei der vier Arbeiten basieren auf der Auswertung von Interferenzen was die kolossale Bedeutung dieses Phänomens verdeutlicht. Die Projekte decken auch vier wichtige Herausforderungen unserer Zeit ab: Alternde Gesellschaft, Klimawandel, digitale Sicherheit und effiziente Kommunikation. Egal, wer am 28. November mit dem Deutschen Zukunftspreis geehrt wird. Es tut sehr gut zu wissen, dass es nach wie vor so schlaue und neugierige Köpfe gibt, die mit Inspiration und Transpiration an der Tradition der Konstruktion von Dingen mit Mehrwert weiterarbeitet.
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