Bor ist ein interessantes Element. Es wurde 1808 von Gay-Lussac und Thenard zum ersten Mal hergestellt, aber jetzt, mehr als 200 Jahre später, kennt man immer noch nicht sein Phasendiagramm, also den Zustand abhängig von Temperatur und Druck. In der Festkörperphysik, wie der Name schon sagt, untersucht man dabei vor allem die Kristallstruktur.
Bor als dreiwertiges Element ist ein Halbmetall. Dies könnte typisch für ein Metall sein, wären die drei Elektronen nicht stark lokalisiert, was für einen Nichtleiter steht. Bor ist also zwischen den Stühlen, und reagiert sehr stark auf kleine Unreinheiten (also Mischungen mit anderen Elementen) oder Druck- oder Temperaturänderungen.
In der Tat ist es bislang nicht gelungen, einen reinen Bor-Kristall bei Zimmertemperatur zu beobachten. Es sind zwar viele Gitterstrukturen bekannt, diese sind aber fast alle Verbundgitter mit anderen Elementen. Die zuerst entdeckte Version von 1808 z.B. dürfte nur 60-70 % Bor enthalten haben, eine Reinheit von 99% konnte erst 1909 erzielt werden.
Eine neue Veröffentlichung in Nature [1] ebnet jetzt den Weg zum vollständigen Phasendiagramm. In einer multinationalen Kollaboration konnten Forscher bei hohem Druck und hoher Temperatur einen sehr reinen Borkristall beobachten und untersuchen. Sie stellten fest, dass sich eine neue Phase bei sehr hohem Druck bildete, die eine außergewöhnlich hohe Härte aufweist. Sie waren experimentell zunächst nicht in der Lage, die Gitterstruktur zu vermessen. Ich möchte jetzt gar nicht viel Festkörperphysik verbreiten, daher nur die spannenden Punkte der Studie:
- Um die Gitterstruktur zu bestimmen, wurde ein genetischer Algorithmus eingesetzt. Das ist eine besondere Klasse von Optimierungsalgorithmen die auf dem Prinzip der Evolution basieren und eine Population von Modellen durch Mutation und Kreuzung zu fitteren Modellen hin entwickeln. In diesem Fall war ein Modell fitter, das insgesamt ein geringeres thermodynamisches Potential aufweisen konnte.
- Die Gitterstruktur, die dann letztlich gefunden wurde, hatte eine Überraschung parat – Bor geht eine Ionenbindung mit sich selbst ein. Das ist eigenartig – denn eigentlich bedeutet Ionenbindung, dass ein Atom gerne ein Elektron hergibt und dieses von einem weiteren Atom aufgenommen wird, sodass letztlich beide eine günstigere energetische Einstellung erreichen. Ein ganzer Haufen Atome kann sich durch diese Bindung zu einem Kristall zusammensetzen – z.B. das Kochsalz NaCl. Und tatsächlich kann man dieses einfache Gitter beim Bor wiederfinden – allerdings sind es nicht einzelne Natrium und Chlor-Atome, sondern zwei unterschiedliche Borstrukturen, eine mit 12, eine mit nur 2 Bor-Atomen. Die quasi-Ionenbindung kommt dann zustande, wenn der 2-Cluster seine Elektronen an die 12-Cluster leiht.
Quellen und weitere Informationen:
[1] Nature-Artikel
[2] ScienceDaily
[3] ETH life
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