Das Neutrino, von dem jetzt schon oft die Rede war, wurde 1930 von Wolfgang Pauli vorgeschlagen, der Großes auf dem Gebiet der theoretischen Teilchenphysik erreicht hat. Er hat das Neutrino theoretisch vorhergesagt, 25 Jahre bevor es tatsächlich beobachtet werden konnte. Wie war das möglich?
Beim Betazerfall zerfällt ein Neutron im Kern in ein Proton und Elektron. Das Proton verbleibt im Kern und nimmt nur wenig Rückstoßenergie auf. Das Elektron sollte also, wenn kein weiteres Teilchen entsteht, immer mit der gesamten Energie abhauen. Nun sieht aber das Energiespektrum, das für Elektronen aus Betazerfällen messbar ist, so aus:
Es gibt also eine kontinuierliche Verteilung der Elektronenergie, nicht nur einen diskreten Wert. Wie konnte das sein? Die Energie muss doch erhalten bleiben!
Nach vielen Erklärungsversuchen hatte Pauli schließlich die rettende Idee: Es muss ein weiteres Teilchen beteiligt sein. Er nannte es zunächst Neutron, aber 1932 entdeckte Chadwick das, was wir heute als Neutron kennen, nämlich das elektrische ungeladene Kernbauteil. Enrico Fermi entwickelte eine vollständige Theorie des Betazerfalls und schlug auch den Namen Nautrino für das weitere beiteiligte Teilchen vor.
Auf dieser Seite findet man eine Abbildung des Briefes, mit dem Pauli des Neutrino vorschlug. Da es etwas schwierig zu lesen ist, hab ich es einmal abgetippt:
Offener Brief an die Gruppe der Radioaktiven bei der Gauvereins-Tagung in Tübingen
[…Anschrift…]
Liebe Radioaktive Damen und Herren,
Wie der Überbringer dieser Zeilen, den ich huldvollst anzuhören bitte, Ihnen des näheren auseinandersetzen wird, bin ich angesichts der “falschen” Statistik der N- und Li-6 Kerne, sowie des kontinuierlichen beta-Spektrums auf einen verzweifelten Ausweg verfallen um den “Wechselsatz” (1) der Statistik und den Energiesatz zu retten. Nämlich die Möglichkeit, es könnten elektrisch neutrale Teilchen, die ich Neutronen nennen will, in den Kernen existieren, welche den Spin 1/2 haben und das Ausschliessungsprinzip befolgen und sich von Lichtquanten außerdem noch dadurch unterscheiden, dass sie nicht mit Lichtgeschwindigkeit laufen. Die Masse der Neutronen könnte von der gleichen Grössenordnung wie die Elektronenmasse sein und jedenfalls nicht grösser als 0,01 Protonenmassen. Das kontinuierliche beta-Spektrum wäre dann verständlich unter der Annahme, dass beim beta-Zerfall mit dem Elektron jeweils noch ein Neutron emittiert wird, derart, dass die Summe der Energien von Neutron und Elektron konstant ist.
Bei solch einer aufwändigen Formulierung kann man nur froh sein, dass englisch die Wissenschaftssprache geworden ist…
Bildquelle:
G. J. Neary, Proc. Phys. Soc. (London), A175, 71 (1940).
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