Ich freue mich außerordentlich, heute einen Gastbeitrag von Thomas Heichele präsentieren zu dürfen. Thomas wurde 1982 geboren und hat Philosophie studiert mit dem Schwerpunkt auf Wissenschaftsphilosophie und -geschichte. Heute ist er Philosophiedozent an der Universität Augsburg und der VHS Kempten, studiert aber noch Mathematik und promoviert in Philosophie. Als sei das nicht schon beeindruckend genug, hat er auch noch ein wissenschaftsphilosophisches Buch über Galilei geschrieben und bloggt bei den Philosophieblogs. Lest also nun seinen Beitrag zum Thema “Wissenschaft und Dogma”.
Jörg hatte mir neulich das – von mir gleich freudig angenommene – Angebot unterbreitet, hier auf seinem Blog einen Gastbeitrag zu schreiben. Das Ganze sollte sich am besten in Richtung der Frage bewegen, inwieweit Wissenschaft dogmatisch ist bzw. war. Der Hintergrund dafür liegt in etlichen Kommentaren (insbesondere bei Jörg, Florian und Ludmila) die der (Natur-) Wissenschaft eine dogmatische Grundposition unterstellen. Derartige Behauptungen sind v.a. aus der Esoterikszene bekannt.
Um dem Verhältnis Wissenschaft-Dogmatik philosophisch auf den Grund zu gehen, läge es auf der einen Seite sicherlich nahe, die Fragestellung aus primär wissenschaftstheoretischer Sicht anzugehen. Demgegenüber möchte ich einen wissenschaftshistorischen Ansatz vorziehen, der zwar hinsichtlich der Methodologie viele Fragen und Definitionen offenlassen muss, aber andererseits möglicherweise dem Wesen der Wissenschaft als etwas historisch Gewachsenem gerechter werden kann.
Nun ist es sinnvoll, zu Beginn die Begriffe „Wissenschaft” und „Dogmatik” (kontextgebunden) zu definieren bzw. deren Bedeutung erst einmal abzuklären. Zwar ist hier nicht der richtige Ort, um eine umfassende Erläuterung des Wissenschaftsbegriffs zu liefern, doch scheint gerade hinsichtlich des wissenschaftshistorischen Zugangs eine relativ einfache Definition auszureichen: „Wissenschaft” ist eine Weltorientierung, die auf einer speziellen Begründungspraxis basiert. Damit ist der Begründungsanspruch gemeint, mit rationalen Mitteln allgemeingültige wissenschaftliche Erkenntnis zu generieren, die im Wesentlichen auf der Rückführung beobachteter Phänomene auf allgemeine, zugrunde liegende Prinzipien beruht. Daraus ergeben sich unter anderem Erklärung/Beschreibung und Prognose – welche in einem rationalen Dialog einem jeden einsichtig sein sollen. Demgegenüber kann „Dogmatik” (nicht zu verwechseln mit der theologischen Fachdisziplin) als das Arbeiten mit unhinterfragten, postulierten Behauptungen verstanden werden, deren Ad-hoc-Annahmen der weiteren Begründung dienen.
Eine Begründungspraxis im dogmatischen Stil findet sich im Vorfeld der griechischen Vorsokratiker, also vor Beginn der Philosophie. Hierbei handelte es sich im Wesentlichen um eine mythologische Deutung der Welt, die in keiner Weise mit einem wissenschaftlichen Erklärungsanspruch vereinbar ist. Dies sollte sich aber mit dem Beginn des 6. Jahrhunderts vor Christus ändern: mit Thales von Milet lässt man üblicherweise die Philosophie beginnen – und hier beginnt (Proto-) Wissenschaft an sich. In diesem Zusammenhang muss man bedenken, dass über eine sehr lange Zeit hinweg keinerlei saubere Trennung zwischen Philosophie, Naturwissenschaft und auch Theologie möglich war. Der Anfang der Philosophie war gleichzeitig der Anfang von Naturwissenschaft, denn Philosophie begann mit der Suche nach und dem Aufstellen von allgemeinen Ordnungsprinzipien in der Natur, vornehmlich im Kosmos – der Anfang der Wissenschaft war Naturphilosophie, die die Welt rational erklären sollte. Bei den vorsokratischen Naturphilosophen lässt sich der Übergang „vom Mythos zum Logos” beobachten, den man an einem ganz einfachen Beispiel direkt bei Thales festmachen kann: Erdbeben wurden bei Thales nicht mehr beispielsweise mit einem „Rütteln” durch die Götter beschrieben, sondern durch die Wasserbewegungen, die auch die Erde, die wie ein Korken auf der Wasseroberfläche schwimmen sollte, in Bewegung zu versetzen schienen.
Nun ist vollkommen klar, dass dieser Rationalisierungsprozess mit unserer heutigen Wissenschaft (größtenteils) noch nicht allzu viel gemeinsam hat, doch die Richtung, in die es gehen sollte, war klar. Man sollte sich aber darüber hinaus nicht zu der Meinung verleiten lassen, das habe mit „unserer” Wissenschaft noch gar nichts zu tun. Hier wurde sowohl die Grundlage des wissenschaftlichen Programms gesetzt als auch an einigen Stellen schon eine immense Modernität in den Anschauungen und der Methode an den Tag gelegt. Als Paradebeispiel dafür können die
Atomisten Leukipp und Demokrit aus dem 5. bzw. frühen 4. Jahrhundert vor Christus herangezogen werden. Sie postulierten unveränderliche, ewige und allem zugrunde liegende Atome als Bausteine der Welt (Veränderungen wurden mit Neu- und Umgruppierungen der Atome erklärt) und vertraten die Ansicht, mit Ausnahme des vom Zufall geprägten Anfangs der Welt liefe alles nach streng mechanischen, deterministischen Prozessen ab. Anders als bei ihren Nachfolgern Platon oder Aristoteles gab es keinen Zweck und kein Ziel in der Welt. Dies galt auch für die Evolution, in der die Entstehung von Leben aus einem Urschlamm angenommen wurde. Die wissenschaftstheoretische Glanzleistung war das Freisein von jeglicher Art der Dogmatik. Es gab keine Finalität, die als Erklärung dienen sollte und vor diesem Hintergrund mussten keinerlei Erkenntnisse oder Ideen in ein vorgefertigtes Schema „gepresst” werden – es musste nichts in eine bestimmte Richtung lanciert oder interpretiert werden. Forschung war frei und normativ völlig ungebunden. Die Erklärung der Welt beruhte auf mechanistisch-physikalischen Erläuterungen und dort, wo diese nicht fruchtbar waren (der Anfang von allem), beließ man es bei einem „ich weiß es nicht” – wilde Spekulationen und Ad-hoc-Erklärungen wurden vermieden. Der Materialismus ging im Übrigen so weit, dass auch Denken und Wahrnehmung auf rein physikalische Prozesse zurückgeführt wurden – man denke hierbei an die gegenwärtige Debatte in den Neurowissenschaften. Dieses Maximum an Freiheit in der Forschung war die logische Folge einer konsequenten Entwicklung von (auszugsweise) Thales und den Milesiern Anaximander und Anaximenes über Empedokles und Anaxagoras bis hin zu den Atomisten (insbesondere Demokrit).
Nun stellt man sich leicht die Frage, warum diese Tradition nicht ungebrochen weiterging. Neben weltanschaulichen und rein philosophischen Bedenken sahen sich die Atomisten einem sehr offensichtlichen Einwand ausgesetzt – die Existenz der Atome (und all das, was bei ihnen daraus folgte, wie z.B. ein unendlicher Raum) war empirisch nicht belegt. Nun könnte man eine solche vermeintlich unbegründete Annahme als dogmatisch bezeichnen, doch war dies viel eher eine Arbeitshypothese, die einem Leitbild oder Ideal entsprach. In der heutigen Zeit – und das ist eben ein Zeichen wissenschaftlichen, technischen und rationalen Fortschritts – stehen den theoretischen Naturwissenschaftlern (vgl. Atomisten) die Kollegen aus der Praxis zur Seite. Dementsprechend – bereits vorwegnehmend – kann heutige Wissenschaft auf eine weitaus plausiblere Grundlage ihrer Theorien verweisen.
Zurück zum weiteren Verlauf: wenngleich man (noch) nicht von Dogmatik sprechen sollte, ging in der Folgezeit die Freiheit in der Wissenschaft wieder ein Stück verloren. Dies betraf vor allem die Methodologie und natürlich weniger den absoluten Fortschritt. Mit Platon und Aristoteles zog – neben all den enormen und wirkmächtigen positiven Leistungen – wieder die Teleologie in die Wissenschaft ein. Es wurden metaphysische (naturwissenschaftlich nicht greifbare) Zwecke und Ziele eingeführt, die auch in die gesamte Naturphilosophie Einzug hielten und Erklärungsmuster bestimmten. Dazu wurde in weiten Teilen eine weitere Denktradition aufgenommen und verfeinert, die in der eleatisch-pythagoreisch-eudoxischen Tradition ihren Anfang genommen hatte: das Streben nach (mathematisch-geometrischer) Vollkommenheit! Diese Vollkommenheit sollte sowohl in der Natur an sich vorzufinden sein als auch sich in der Beschreibung der Naturphänomene widerspiegeln. Diese eher mathematische Tradition lief in gewisser Weise zwar dem qualitativen Wissenschaftsideal des Aristotelismus entgegen (qualitative Erklärung statt quantitativer Beschreibung), doch gab es auch genügend Anknüpfungspunkte und gegenseitige Befruchtungen. Nun kann man objektiv betrachtet daraus für die Folgezeit insbesondere zweierlei quasi-dogmatische Einschränkungen für die Wissenschaft feststellen, wobei man auch stets die Zeitumstände und das jeweils vorherrschende Philosophieideal berücksichtigen muss (dabei sollte klar sein, dass im nun Folgenden der begrenzten Länge des Beitrags wegen teilweise enorme Vereinfachungen gemacht werden müssen):
Über weite Strecken der Spätantike und des Frühmittelalters war vor allem der (Neu-) Platonismus die treibende philosophische Kraft, die auch bald mit dem (Früh-) Christentum eine Synthese bildete. Wissenschaft im Allgemeinen sah sich nun großen Restriktionen ausgesetzt, wobei diese nicht vorwiegend aus konkret machtpolitischen (kirchlichen) Gründen erfolgte. Vielmehr war diese Einschränkung dem damals geltenden Ideal der Erkenntnisgewinnung geschuldet: aus der platonischen Tradition kommend und vom Christentum „dankbar” aufgenommen, wurde Erkenntnis nur über das reine Denken als zu erlangen angesehen. Egal ob Ideen, das Gute oder Gott – die Wahrheit lag jenseits des Materiellen und infolge dessen war z.B. Naturforschung in keiner Weise erkenntnisfördernd: der wahre Philosoph/Wissenschaftler beschäftigte sich folglich aus „freien” Stücken mit anderen Dingen als der Erforschung „unserer” Welt. Nun ist es in diesem Zusammenhang in Bezug auf die Einschränkungen der Wissenschaft sehr schwer, eine saubere Grenze zwischen Dogmatik und „falschem” bzw. „ungenügendem” Wissenschaftsideal zu ziehen.
Die zweite Einschränkung (die eigentlich aus zwei Elementen besteht) hängt mit dem Aristotelismus und erneut dem Christentum zusammen. Zuerst ist auf die aristotelische Zurückweisung der Mathematik, die nach ihm keine wahre Erkenntnis liefern konnte, aufmerksam zu machen – es ist unschwer nachzuvollziehen, dass gelinde gesagt ein solches Wissenschaftsideal den weiteren Fortschritt, wie er dann zu Beginn der Neuzeit festzustellen war, nicht gerade förderlich begleitete. Kann man hier noch problemlos von einem fortschritthindernden Wissenschaftsideal sprechen, ist der zweite Punkt (unter Einbeziehung des ersten) das Paradebeispiel einer überaus dogmatischen Grundhaltung von Wissenschaft: nachdem der Aristotelismus auf dem Umweg über die islamische Welt ab dem 11. Jahrhundert wieder in das lateinisch-christliche Abendland Einzug gehalten hatte und von Theologen/Philosophen wie Albertus Magnus und Thomas von Aquin mit dem Christentum zu einer großen Einheit verbunden wurde, gab es folglich keine Trennung mehr zwischen Theologie, Naturwissenschaft und Philosophie. Christliche und aristotelische Weltsicht waren eins und vor dem Hintergrund, dass der Aristotelismus sämtliche Wissenschaften zu dieser Zeit dominierte, war praktisch weder eine Kritik an der Naturwissenschaft noch an der Theologie möglich – jede naturwissenschaftliche Kritik am System bedeutete Kritik am Christentum und wurde einheitlich (!) von Theologen und der Wissenschaft zurückgewiesen. Gerade aus wissenschaftlicher Sicht bleibt festzuhalten, dass das aristotelische Weltbild insbesondere aus dem Grund so „verteidigungswürdig” erschien, da es ein physikalisches Gesamtbild zu generieren vermochte, das in sich enorm schlüssig war. Auf diese Weise war es nicht einfach möglich, einen kleinen Teil auszutauschen, da praktisch die geringste Änderung das gesamte Modell zum Einsturz bringen musste. Dazu kam dann mit dem Christentum die theologische Legitimation…
Diese Dogmatisierung der Wissenschaft war am Übergang zur Neuzeit unter anderem das Problem von Galilei, der sich anfänglich vor allem wissenschaftlichen Einwänden und weniger theologischen ausgesetzt sah – und die Überwindung des aristotelischen Weltbildes war sowohl persönlich sein größter Antrieb als auch die Grundvoraussetzung zur Entstehung der neuzeitlichen, modernen Naturwissenschaft. Dieses Ziel – die Überwindung des antik-mittelalterlichen aristotelischen Weltbildes in der Wissenschaft – wurde insbesondere dadurch erreicht, dass man sich erneut an einem anderen wissenschaftlichen Leitbild (kein Dogma) orientierte. Das war die (modifizierte) pythagoreisch-platonische Tradition, wonach die Welt nach mathematischen Gesichtspunkten aufgebaut ist und mit Hilfe der Mathematik zu erkennen ist. Dies galt für Kopernikus ebenso wie für Galilei, Kepler, Descartes, Leibniz oder Newton. Das Ganze war zwar für gewöhnlich durchaus in einer metaphysischen Hinsicht ontologisch aufgeladen (die Mathematik spiegelte die Gedanken Gottes wider und war somit ein „Weg” zu Gott), doch für die tägliche wissenschaftliche Praxis spielte dieser Aspekt keine hinderliche Rolle mehr – ja er war sogar förderlich. Vor allem in Verbindung mit der konsequenten Anwendung von Experiment und Messung in Zusammenspiel mit immer besseren technischen Instrumenten war so der Weg für die neuzeitliche Wissenschaft geebnet. Für eine dogmatische Ausrichtung war von nun an auf Grund der jetzt rasant wachsenden wissenschaftlichen Erkenntnis vorerst einfach keine Zeit – Wissenschaft war wieder (relativ) frei.
Doch die Erfolge der klassischen Physik sollten noch einmal die Versuchung aufkommen lassen, das eigene wissenschaftliche Gebäude ein letztes Mal zur Dogmatik werden zu lassen. Während Newton selbst sich lediglich „auf den Schultern von Giganten” sah und die eigene Arbeit nicht als unfehlbar betrachtete, waren die offensichtlichen Erfolge und die scheinbare Möglichkeit, nun bzw. in naher Zukunft alles berechnen und vorhersagen zu können für viele der Anlass, das wissenschaftliche Gebäude als unfehlbar und bald komplett vervollständigt zu betrachten. Das Ganze gipfelte in der Annahme des „Laplaceschen Dämons”, der unter der Zugrundelegung eines universell gültigen Determinismus für die (prinzipielle) Berechenbarkeit aller zukünftigen Ereignisse stand. Wenngleich diese Euphorie von den Naturwissenschaften (namentlich der Physik) ausging, lässt sich übrigens von den ersten Erfolgen der neuzeitlichen Physik an in den aufkommenden Sozialwissenschaften eine „Imitationswelle” beobachten (vgl. dazu beispielsweise auch Thomas Hobbes, Adam Smith oder John Stuart Mill). Wenngleich sich auf der einen Seite etliche Risse hinsichtlich des Glaubens an eine universelle Berechenbarkeit schon im 19. Jahrhundert mit „entmutigenden” Ergebnissen bei der Untersuchung des Mehrkörperproblems zeigten, hielt sich der Determinismus bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts über weite Felder hinweg im wissenschaftlichen Naturverständnis. In gewisser Weise kann man dieses Festhalten quasi-dogmatisch deuten. Die Ablehnung des quantenmechanischen Zufalls durch Einstein beispielsweise lässt sich deutlich in diese Linie verorten, die ihre philosophische Begründung (neben der wissenschaftlichen Pragmatik und dem offensichtlichen Erfolg) in Einsteins konkretem Fall in der Tradition von Spinoza und Leibniz hat: „nihil fit sine ratione” (das sagte auch schon Demokrit) und „natura non facit saltus” – „nichts passiert ohne Grund” und „die Natur macht keine Sprünge”.
Heute weiß man (für gewöhnlich) in den Wissenschaften um die eigene Fallibilität, man hat aus der Vergangenheit gelernt. Dementsprechend ist allein dies schon eine antidogmatische Grundhaltung. Ganz im Sinne beispielsweise der Atomisten oder auch Galileis gilt für die heutige Wissenschaft der Newton-Satz „hypotheses non fingo” – „ich erfinde keine Hypothesen”, womit gemeint ist, es werden keine unbegründeten Dinge als wahr hingestellt. Mit dem Postulat eines absoluten Raums und einer absoluten Zeit und deren Verortung in Gott als „sensorium dei” verstieß im Übrigen Newton in gewisser Weise selbst gegen diesen Anspruch…
Gegen Ende sei noch ein kleiner wissenschaftstheoretischer Exkurs (ich kann in dem Zusammenhang nur die „Einführung in die Wissenschaftstheorie” von Gerhard Schurz empfehlen, der folgende Argumentation entlehnt ist) erlaubt, der neben der historischen Lösung von Dogmen die theoretische Unabhängigkeit davon belegt – und damit zugleich z.B. aufzeigt, inwieweit die Astronomie der Astrologie als Wissenschaft überlegen ist:
Gerade für empirische Wissenschaften können einige erkenntnistheoretische Prämissen angeführt werden, die heute gelten. Dazu gehört ein minimaler Realismus, der von irgendwelchen realen Entitäten ausgeht, die unabhängig von den Erkenntnismitteln existieren. Über die Erkennbarkeit dieser Entitäten entscheidet die empirische Forschung und Wahrheit hängt von der strukturellen Übereinstimmung von wissenschaftlicher Satzbehauptung und Entsprechung in der „Realität” ab. Ebenso ist auf die bereits angesprochene epistemische Fallibilität zu verweisen, von der ausgehend jede wissenschaftliche Aussage als fallibel angesehen wird und die somit nie als „vollständig” sicher angesehen werden kann. Allerdings lässt sich der Verlässlichkeitsgrad der Hypothesen empirisch prüfen. Ein weiterer Punkt ist das Streben nach Objektivität. Das bedeutet, dass wissenschaftliche Wahrheit und die Verlässlichkeit der Hypothesen objektiv gelten sollen, also unabhängig von den Einstellungen und Wertungen des Erkenntnissubjekts. Die intersubjektive Objektivierbarkeit im Sinne überzeugender Begründungen gilt für jede kompetente und entsprechend informierte Person. Ebenso eine erkenntnistheoretische Prämisse ist der minimale Empirismus, der eine empirische Zugänglichkeit und Überprüfbarkeit der Gegenstandsbereiche wissenschaftlicher Disziplinen bedeutet, wobei gleichzeitig Empirie losgelöst von allem nicht ausreicht. Als letzte Prämisse kann noch die logische Klarheit angeführt werden, welche die Anwendung logischer Methoden fordert. Dazu gehört, dass die Konsequenzen von Hypothesen empirisch prüfbar sein sollen. Zu diesem Zweck müssen die Konsequenzen von Argumenten genau bekannt sein und folglich die Argumente kontrollierbar korrekt sein. Das wiederum bedeutet, dass die Behauptungssätze präzise Bedeutungen haben müssen und die Begriffe kontrollierbar präzise sein müssen.
Zu diesen erkenntnistheoretischen Prämissen kann man noch einige methodologische Merkmale anführen, an Hand derer eine Überprüfung des Wissenschaftscharakters entsprechender Disziplinen möglich ist. Dazu zählt eine hypothetische Generalisierung als Grundlage für Erklärungen bzw. Prognosen. Dies bedeutet, dass möglichst allgemeine hypothetische Satzbehauptungen zu Gesetzen und Theorien führen. Ein weiterer methodologischer Aspekt ist die empirische Ausschöpfung, womit das Suchen nach möglichst vielen aktualen Beobachtungssätzen – resultierend aus Beobachtungen, Experimenten und Messungen – gemeint ist. Abschließend sind die vermutlich bekanntesten und offensichtlichsten Aspekte wissenschaftlicher Methodologie zu nennen, die da wären: Erklärung und Prognose sowie empirische Überprüfung.
Schaut man sich das eben Gesagte an, landet man als Idealtypus der Wissenschaft mit Sicherheit eher in der Physik als in der Astrologie oder Homöopathie!
Obwohl ich davon überzeugt bin, dass der oben aufgezeigte Weg konzeptionell der beste uns zu Verfügung stehende ist, (wissenschaftliche) Erkenntnis zu generieren, bleibt doch eine – hier auch durchaus angeklungene – Skepsis bzgl. eines Absolutheitsanspruches. Unabhängig von der Unmöglichkeit, sich einer Sache mit letzter Sicherheit wissenschaftstheoretisch gewiss sein zu können, bleibt obendrein die Frage offen, inwieweit der Mensch überhaupt grundsätzlich sich „der” Wahrheit – sofern es sie überhaupt im absoluten platonischen Sinn gibt und nicht alles lediglich reine Konstruktion oder Konvention ist – relevant annähern kann. Über zig Jahrtausende hinweg war der „moderne” Homo sapiens an seine direkten Sinneswahrnehmungen bei der Erkenntnisgewinnung gebunden – sie stellten eine lange Zeit unüberwindbare Grenze dar. Mit Beginn der Neuzeit (namentlich mit Galilei) konnte nun diese Grenze überschritten werden: Erkenntnisgewinnung vollzieht sich seitdem in Kombination von geistiger (Mathematik) und technischer Abstraktion (Instrumente). Anschaulich (und ohne Analogien) „vorstellen” kann sich niemand eine 11-dimensionale Raum-Zeit oder die Wechselwirkungsprozesse kollidierender Teilchen in Beschleunigern. Unser Verstand ist aus evolutionären Gründen zwar im Stande, dem Menschen eine passable Orientierung in der Alltagswelt zu liefern, doch das Erlangen von „absoluter” Wahrheit ist uns neurophysiologisch nicht angelegt. Daraus resultieren die uns immer noch so stark einschränkenden Rahmenbedingungen wie Denken, Vorstellen, Sprache und Wahrnehmung. Alleine vor diesem Hintergrund scheint es – unabhängig von wissenschaftstheoretischen Einschränkungen – zweifelhaft, sich einer Sache selbst unter Verweis auf das Beste, was wir haben – Verstand und Rationalität – „gewiss” sein zu wollen…
Bilder: Leukipp, Aristoteles, Galilei, alle Bilder sind Public Domain und gefunden bei Wikimedia
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