Martin Bojowald ist ein junger theoretischer Physiker, hat in Deutschland studiert und gearbeitet (u.a. in Aachen promoviert) und ist nun an der PennState. Er arbeitet auf dem Gebiet der Quantengravitation, also der größten Aufgabe der Physik unserer Zeit – wie man Allgemeine Relativitätstheorie und Quantenwelt vereinigen kann. In seinem ersten Buch “Zurück vor den Urknall” verarbeitet er Erkenntnisse aus seinem Arbeitsgebiet, der Loop Quantum Gravity (die auf deutsch den etwas unförmig klingenden Namen Schleifen-Quantengravitation hat) und behauptet: Es gab keine Urknall-Singularität.
Das Buch ist also quasi eine Antwort auf meine naive Frage, ob es Schwarze Löcher gibt, bzw. Singularitäten. Das Problem kommt aus dem Versuch der Vereinigung der Quantentheorie, die auf kleinen Skalen die Phänomene und Wechselwirkungen beschreibt, aber bislang nicht die gravitative Wechselwirkung umfasst, die auf großen Skalen durch Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie beschrieben wird. Denkt man sich nahe an den Urknall, so würde die Energiedichte des Universums in der ART gegen unendlich gehen. Genauso wäre ein Schwarzes Loch eine Unendlichkeitsstelle in den Lösungen der Gleichungen der ART.
Bojowald beginnt seinen Weg zur Quantengravitation mit Beschreibungen der Theorien zur Gravitation und der Quantentheorien. Hier merkt man deutlich, wie fest im Griff er diese bereits schwierigen theoretischen Welten hat, und die sparsame aber dennoch umfassende Beschreibung dieser Theorien zeigt, welch tief fundamentales Verständnis er dafür haben muss.
Dann stellt er die Ideen der Quantengravitation vor. Die bekannteste dazu ist die String-Theorie, darauf geht er aber nur sehr kurz ein, denn sein Gebiet ist die Schleifen-Quantengravitation. Auch wenn die beiden Theorien zuerst sehr gleich klingen – Strings auf der einen, Schleifen auf der anderen Seite, so unterscheiden sich die Theorien stark. String-Theorie geht von schwingenden Elementar-Strings auf der Raumzeit aus, die aber dazu das Vorhandensein zusätzlicher Raumdimensionen fordert. Die Schleifen-Quantengravitation diskretisiert direkt die Raumzeit – eine Schleife ist also ein Quant Raumzeit. Leider ist die Beschreibung im Buch sehr kurz, und man kann kaum verstehen, welche Eigenschaften diese Schleifen haben, wie man damit arbeitet und was Anregungen einer Schleife bedeuten. Klar – das ist mathematisch knochenbrechend kompliziert, aber dennoch hätte ich mir gerade dazu etwas mehr erhofft.
Im folgenden beschäftigt sich Bojowald mit dem Urknall, um daran seine Kern-Erkenntnis zu vermitteln: Dass aus der Schleifen-Quantengravitation Lösungen folgen können, sodass die quantisierte Zeit quasi nicht in einer Singularität landen kann. Das ergibt sich aus quantenphysikalischen Leiteroperatoren, ähnlich wie bereits bei quantenmechanischen Problemen (z.B. Wasserstoffatom). Die verblüffende Konsequenz: Die Zeit würde durch den Urknall durchlaufen, es würde also bereits vorher ein Universum existiert haben, das sich zusammenzieht. Die Zeit springt nur in Quanten vorwärts, und so wird die Singularität des Urknalls vermieden, es wird jedoch eine neue Gegenkraft (bzw. eine abstoßende Wirkung der Gravitation) erforderlich die für eine neue Ausdehnung des Universums sorgt.
Ebenso löst sich das Problem der Schwarzen Löcher auf. Zunächst wusste ich bisher nicht: Ein Schwarzes Loch ist lediglich eine Singularität in der Zeit, ein Punkt in der Zeit, nicht im Raum. Wiederum liefert der Ansatz der Quantisierung von Raum und Zeit eine Auflösung des Singularitäten-Problems. Eines fernen Zeitpunktes wird die kosmische Hintergrundstrahlung weit abgekühlt sein. Dann wird sich die Hawking-Strahlung bemerkbar machen und Schwarze Löcher beginnen zu verdampfen. Die Singularität in der Zeit wird durch die quantisierten Sprünge vermiden, und der Inhalt des Schwarzen Loches in einer gewaltigen Explosion freigegeben, wenn die Gravitation wieder abstoßend wird.
In weiteren Kapiteln wird es zunehmend philosophischer, aber Bojowald kann u.a. auch noch zeigen, dass die Idee der Zeitumkehr nach einer vermeindlichen Umkehr der Expansion des Universum wahrscheinlich nicht stimmt.
Es wird auch nicht verschwiegen, dass die Schleifen-Quantengravitation noch nicht vollständig aufgestellt ist, dass es viele kompexe mathematische Probleme gibt, auch dass es konzeptionelle neue Probleme gibt, z.B. wie die Information eines möglichen vorigen Universums es durch das Quantenchaos nahe am Urknall schafft.
Da stecken einige wahrhaft spannende Ideen drin, und ich freue mich darüber gelesen zu haben. Leider muss ich aber auch sagen, dass ich mir das auf Kosten eines mangelnden Lesevergnügens erkaufen musste. Das Buch ist schon trocken zu lesen, gut es kann auch sein dass ich viele Teile, die ich ja bereits kenne, schnell vorbeihaben wollte und mehr über die neuen Sachen zu lernen. Aber leider waren diese mir oft zu wage. Ich weiß, dass es sehr schwierig sein muss die komplexe Mathematik in Worte zu fassen, aber es gibt viele Sachen die ich anders erwartet hatte. Gerade in einem Buch zur Quanten-Gravitation hätte ich mir doch wenigstens ein Kapitel gewünscht, was diese Schleifen sind und was man damit unternimmt, und nicht nur wenige Absätze. Auch erinnere ich mich, dass bereits in Brian Greenes Elegantem Universum ähnliche Ideen aus der Stringtheorie erwähnt wurden, nämlich dass sich ein zusammenziehendes Universum bei Reduktion auf Stringgröße umstülpen und wieder ausdehnen könnte. Das wird nur in einem halben Satz angedeutet, da hätte ich mir vielleicht etwas mehr zu gewünscht.
Das drittletzte Kapitel zeigt Ideen und Theorien der Vorsokratiker und zieht Vergleiche zu neuen Ideen der Kosmologie. Das finde ich etwas willkürlich und konstruiert, ich habe (auch durch die Zitate an Kapitelanfängen und in den letzten Kapiteln) mehr den Eindruck, dass Bojowald sein Buch sehr philosophisch anlegen wollte. Steinigt mich, aber das finde ich doch etwas ermüdend. Ich letzten Kapitel “Weltformel?” lehnt er sich auch nicht aus dem Fenster, aber teilt ein paar kleine Seitenhiebe auf String-Theorie (ohne genauso Probleme der Schleifen-Quantengravitation zu verschweigen) und das Wissenschafts-Establishment aus. Das ist aber gut – denn er will darauf hinweisen, dass unbedingt eine breite, vielfältige Landschaft an Theorien notwendig ist und gefördert werden muss, um bessere Erkenntnisse zu gewinnen.
So, jetzt werde ich gleich mal das Review von Stefan Taube lesen, das habe ich bisher vermieden um mich nicht beeinflussen zu lassen 😉
Martin Bojowald: Zurück vor den Urknall – Die ganze Geschichte des Universums (2009)
343 Seiten, Fischer-Verlag, Frankfurt
ISBN 978-3-10-003910-1
gebunden € 19,95
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