In “Trick or Treatment” (zu deutsch: “Gesund ohne Pillen“) stellen die Autoren alternative Heilmethoden auf den Prüfstand der Wissenschaft. Und ich muss sagen – das machen sie ganz hervorragend und toll lesbar.
Simon Singh ist ein etablierter Autor populärwissenschaftlicher Bücher, während Prof. Edzard Ernst selbst lange Homöopathie und andere Methoden praktiziert hat, bevor er die erste Professur für Komplementärmedizin bekam und seitdem diese Methoden den erbamrungslosen Methoden der Medizin unterzieht. Der weiß also wirklich, wovon er berichtet.
Das Buch macht sich zur Aufgabe, die wissenschaftliche Methode als Errungenschaft zu belegen, der wir die moderne Medizin zu verdanken haben. Weiterhin erlaubt sie, es anhand der höchsten Qualitätsstufe von Studien, den doppelt verblindeten Studien mit Kontrollgruppe, Heilmethoden frei von menschlicher Befangenheit zu beurteilen.
Das Buch umfasst sechs Kapitel, in den mittleren vier werden die Methoden der Akupunktur, Homöopathie, Chiropraktik und Naturheilkunde untersucht. Zunächst wird aber im ersten Kapitel die wissenschaftliche Methode historisch motiviert, und anhand einiger Beispiele beeindruckend belegt. So wird klar: Vor 200 Jahren war z.B. Aderlass das vermeintliche Allheilmittel. Leicht wird deutlich: Damals war nichts tun tatsächlich die bessere Alternative.
Los geht es dann in Kapitel 2 mit Akupunktur, eine gute Wahl. Zwar ist natürlich das ganze System um Meridiane und Energiefluss völlig unplausibel, aber man könnte sich ja dennoch denken, dass die Nadeln eine Wirkung haben. Singh und Ernst geben dem Leser das benötigte Handwerkszeug auf dem Weg mit, und schieben immer wieder Sektionen ein die das nächste Steinchen zu den wirkungsvollsten klinischen Tests bilden. So wird in diesen Kapiteln die Studie mit Kontrollgruppe motiviert und zur Bewertung die Review-Artikel herangenommen, die hunderte Studien zu einem Thema zusammenfassen. Leider ist bei der Akupunktur die WHO ein Hauptschuldiger, gab sie doch 1979 und 2003 Berichte heraus, die Akupunktur hoch gelobt haben. Singh und Ernst können aber die schwache Qualität dieser WHO-Berichte zeigen und dann die Cochrane Collaboration-Berichte als besseres Exemplar aufführen. Hier wird gezeigt: Für die meisten Therapien hat Akupunktur keinen nachweisbaren Effekt, für manche einen schwachen.
Singh und Ernst haben einen tollen Schreibstil: Sie lassen nämlich ganz oft den Leser nahe herankommen (Wie? Die WHO hat 2003 gesagt Akupunktur ist super?) um dann umso effektiver dagegen halten zu können, aber völlig nüchtern nur auf Basis der wissenschaftlichen Methode. Sie müssen sich so nie herausnehmen, abseits der Fakten zu werten. Und wenn eine Studie eben herausfindet, dass ein geringer Effekt besteht oder noch nicht auflösbar ist, dann führen sie das genauso auf, auch wenn es eigentlich unplausibel ist. Diese intellektuelle Ehrlichkeit macht dieses Buch so stark.
Bei Akupunktur sind natürlich bisher erst einfach verblindete Studien möglich, aber es ist auffällig, dass der Effekt umso geringer wird, je besser die Studien werden. Das deutet daraufhin, dass der Placebo-Effekt überweigt – und dieser wird durch kontrollierte Studien gegen Placebos fortwährend reduziert. Daher wird das Kapitel auch damit beendet, dass auf die häufigsten, aber leicht zu entkräftenden Einwände der Akupunktur-Befürworter eingegangen wird.
Und so ist der Boden geebnet für die Homöopathie. Im Gegensatz zur Akupunktur lassen sich hier wirklich doppelt verblindete Tests durchführen, da man leicht gegen Placebo testen kann.
Homöopathie wurde ja bereits eingehend auf den ScienceBlogs erläutert, daher verschwende ich gar nicht mehr viele Sätze und sage einfach: Es ist ein auf Aberglaube beruhendes System das physikalisch unmögliche Heilmechanismen beschreibt. Allerdings haben sich auch in den 200 Jahren seines Bestehens viele verschiedene Schulen gebildet, die alle auf unterschiedliche Art arbeiten. So kann man also praktisch zu jedem Leiden beliebig viele Therapien erhalten, von denen keine jedoch auf irgendeinem plausiblen Mechanismus beruht.
Aber das sind Vorurteile, und auch wenn sie herzlich begründet sind, so ist doch die wissenschaftliche Methode der Weg, vorurteilsfrei zu urteilen, ob Homöopathie mehr ist als nur ein Placebo. Ein aufregendes Paper dazu hat es sogar bis in Nature geschafft, 1988 von Benveniste. Aber Nature hat dem bereits kritische Bemerkungen zur Seite gestellt, und schließlich konnte eine genauere Untersuchung u.a. durch James Randi zeigen: Benveniste hatte die Untersuchungen einer Mitarbeiterin überlassen, die – sei es durch unbewusste oder durch bewusste Handlung – die Ergebnisse manipuliert hat.
Insgesamt hat es unzählige Studien zur Homöopathie gegeben, und der Weg diese zu beurteilen ist das systematische Review. Leider haben viele davon eine sehr geringe Qualität, sodass beispielsweise ein Review durch Linde 19771997, das zu viele Studien berücksichtigte, positive Ergebnisse vermuten ließ. Linde selbst hat das später durch bessere Analysen aber widerlegt und sagte 1999: Bessere Studien sehen kleiner Wirkung. Leider war dadurch immer noch nicht belegt, dass die Wirkung nicht signifikant vom Placebo unterscheidbar ist. Diesen Nachweis konnte eine Studie mit zuvor nicht erreichtem Qualitätsanspruch von Shang bringen.
Ich gebe das natürlich alles verkürzt wieder, Singh und Ernst beschäftigen sich eingehend mit der Geschichte und Anwendung der Methoden, gehen auf mögliche Gegenstimmen ein und beleuchten so jedes Gebiet umfassend und gewissenhaft.
Das nächste Kapitel bespricht Chiropraktik, wiederum eine Kunst die sagt, dass Manipulationen der Wirbelsäule den Energiefluss erlauben können, der bei Störung alle Krankheiten verursacht. Allerdings gibt es auch hier die “guten” Chiropratiker, die diesem Aaberglauben abgeschworen haben und nur bei Rücken und Nackenbeschwerden ttig werden. Tatsächlich zeigen Reviews, dass die Methode dafür auch wirksam ist, allerdings auch nicht besser als “normale” Methoden z.B. durch Medikamente. Dem entgegen steht aber eine große Gefahr: Wenn der Nacken derart manipuliert wird, gibt es ein Risiko der Beschädigung der Hauptschlagader, das kann bis zu Schlaganfall und Tod führen. Außerdem – auch für den Rücken, wo weniger Gefahr besteht sind Behandlungen durch Medikamente etwa gleichwertig aber viel billiger. Der Ruf mancher Chiropraktiker, man könne jede Krankheit heilen, entbehrt natürlich jeder Grundlage.
Schließlich folgt noch das Kapitel zu Naturheilkunde – und das ist nicht so einfach, denn hier gibt es tatsächlich Medikamente die gut wirken (Johanniskraut) und andere, die nicht wirken. Man darf aber nicht vergessen – Nebenwirkungen können bei allen auftreten und viele Medikamente, die heute selbstverständlich sind, sind nur synthetisierte Formen natürlicher Heilstoffe (z.B. Aspirin).
Abschließend gehen die Autoren auf die Frage ein: Ja aber schadet es denn? Und sie zeigen, dass alle diese Methoden Gefahren haben, die man gegen die Wirksamkeit abwirken muss. Und sie befassen sich mit der Frage, ob man nicht Placebos trotzdem ausnutzen sollte. Neben vielen Aspekten, die wir hier auch schon besprochen haben, ist ein Gedanke zentral: Wenn ein Arzt sich mit dem Patienten befasst, wirkt auch bereits ein Placeboeffekt. Man bekommt also quasi gratis zum Medikament eh schon das placebo – warum dann also noch “alternative” Methoden dazu. Nach wie vor finde ich aber den wichtigsten Punkt: Es ist einfach unehrlich, Leute zu behandeln und nicht aufzuklären, was da wie wirkt.
Schließlich nennen Singh und Ernst noch 10 Schuldige, die für die Verbreitung unwirksamer Heilmethoden Mitverantwortung tragen, darunter Universitäten, Regierungen, die unkritische WHO, aber auch Ärzte und Wissenschaftler, die nicht aufstehen und den Mund aufmachen, wo unwirksame Methoden propagiert werden.
Im Anhang werden noch für viele weitere Methoden zusammenfassend der angebliche Mechanismus erläutert und die wissenschaftliche Bewertung gegeben.
“Trick or Treatment” ist ein rundum gelungenes Buch, das einen historisch und argumentativ umfassend auf den Stand bringt, den die Wissenschaft erreicht hat. Außerdem ist es schlüssig aufgebaut und gut und leicht zu lesen, außerdem gibt es dem Leser Entscheidungshilfen mit auf den Weg. Unbeschränkter Lesebefehl!
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