Ein bißchen unhandlich ist der Titel ja schon, aber eigentlich, eigentlich müsste man statt immer nur Peter Higgs noch 5 andere nennen, die fast gleichzeitig in drei Papern den Higgs-Mechanismus, pardon, den Brout-Englert-Guralnik-Hagen-Higgs-Kibble-Mechanismus gefunden haben.

Aber alle sechs haben den J. J. Sakurai Prize 2010 der Amerikanischen Physikalischen Gesellschaft (APS) erhalten. 2010? Ja, denn der wird erst nächsten April verliehen. Der Sakurai-Prize ist einer der höchsten Preise in der theoretischen Teilchenphysik, und die sechs Genannten werden ausgezeichnet
“For elucidation of the properties of spontaneous symmetry breaking in four-dimensional relativistic gauge theory and of the mechanism for the consistent generation of vector boson masses”

Es passiert sehr oft in der Physik, dass eine Entdeckung oder theoretische Erkenntnis fast gleichzeitig von mehreren Gruppen gewonnen wird. Das ist auch irgendwo logisch, denn oft sind die Vorarbeiten da, es gibt gewissen Austausch durch Konferenzen und dann kennt man sich und weiß um die Konkurrenz. Wie genau es 1964 ablief, weiß ich nicht, aber in diesem Jahr sind gleich drei Papers in den Physical Review Letters erschienen.
Zuerst:
F. Englert and R. Brout (1964). “Broken Symmetry and the Mass of Gauge Vector Mesons”. Physical Review Letters 13: 321-323
Dann das berühmteste:
Peter W. Higgs (1964). “Broken Symmetries and the Masses of Gauge Bosons”. Physical Review Letters 13: 508-509
das auf ein früheres Physics Letters-Paper aufbaut.

und nur kurz danach:
G. S. Guralnik, C. R. Hagen, and T. W. B. Kibble (1964). “Global Conservation Laws and Massless Particles”. Physical Review Letters 13: 585-587

Warum ist jetzt eines deutlich bekannter geworden als die anderen beiden? Dazu gibt es sogar einen Wikipedia-Artikel.
Die Details sind leider ziemlich technisch, aber zusammengefasst haben Brout-Eenglert gezeigt, dass die Einführung von gebrochenen Symmetrien in die Quantenfeldtheorie eine Möglichkeit bietet, Teilchen mit Masse zu erreichen. Auch Higgs konnte dies zeigen, aber bei beiden Papern fehlte noch eine Hälfte: Denn jetzt hatte man Teilchen mit Masse, aber noch ein Boson zu viel: Das Nambu-Goldstone-Boson. Wie man dies vermeidet, zeigten dann Guralnik, Hagen und Kibble.

Und warum wurde jetzt Higgs der Berühmte der sechs? Und was ist mit den Vorarbeitern, Nambu, Ginzburg, Landau, Anderson? Der Name “Higgs-Mechanismus” wurde 1971 von Gerardus t’Hooft geprägt.
In einem CERN-Artikel steht auch nur

There are many stories as to how the BEH mechanism and its associated particle came to be named after Higgs. The one Higgs told me involves a meeting that he had with fellow theorist Ben Lee at a conference in 1967, at which they discussed Higgs’s work. Then along came renormalization, making field theory fashionable, and another conference. “The conference at which my name was attached to pretty well everything connected with spontaneous symmetry breaking in particle physics was in ’72,” explained Higgs. It was a conference at which Lee delivered the summary talk.

Also, so richtig kommt man nicht dahinter warum jetzt fast nur noch Higgs draufsteht…ich vermute, dass er Einzelautor war, und es daher am bequemsten für einen griffigen Namen war. Aber die anderen fünf sollten wir nicht vergessen!

Einig sind sich Englert, Brout und Higgs, was das Schlimmste wäre, was am LHC passieren könnte: Dass man nur das Higgs-Boson findet und sonst nichts. Dann wäre das Standardmodell komplett – aber keine Einsichten zu neuer Physik gewonnen.

Kommentare (5)

  1. #1 schlappohr
    10/12/2009

    Ich hatte das schon mal als Forschungsfrage gepostet, aber leider hat niemand geantwortet: Gibt es überhaupt irgendwelche anderen Theorien außer dem Higgs-Mechanismus, die die Teilchenmasse erklären könnten? Denn der absolute Wort Case wäre ja, wenn man am LHC *kein* Higgsboson finden würde. Wo würde man dann weitersuchen?

  2. #2 Jörg
    10/12/2009

    @schlappohr: Ja, die Frage haben wir diskutiert aber das ist uns alle etwas hoch, sehr theoretisch. Ich kann ehrlich gesagt nichtmal den Higgs-Mechanismus richtig erklären.
    Aber ja, es gibt alternative Vorschläge, alle jenseits des Standard-Modells, z.B. mit Extradimensionen.
    Am bekanntesten ist glaube ich Technicolor
    https://en.wikipedia.org/wiki/Technicolor_%28physics%29

    Hier gibt es eine Übersicht:

    https://en.wikipedia.org/wiki/Higgsless_model

  3. #3 schlappohr
    10/13/2009

    @ Jörg: Danke für die Links… das klingt richtig abgefahren, für einen Nicht-Physiker zumindest. (Bei Technicolor hatte ich bisher immer etwas mit Farbfilm im Kopf). Das gibt mir ja Hoffnung, dass ihr auch nicht alles versteht 🙂
    Nach der Lektüre von Lisa Randall’s Buch habe ich zumindest eine Ahnung davon, wie der Higgs-Mechanismus funktioniert. Sie hat es ziemlich griffig beschrieben (die Geschichte von dem prominenten Partygast), aber ich kann mir vorstellen, dass der theoretische Background knochenhart ist.

  4. #4 Jörg
    10/13/2009

    Ja, die Geschichte mit dem Partygast stammt aus einem Wettbewerb, in dem es darum ging den Higgs-Mechanismus auf einer Seite zu erklären, für die britischen Abgeordneten die entscheiden mussten ob weiter Geld für den LHC fließen soll damals. Da fällt mir, da wollte ich schon immer mal nach Platz 2 und 3 suchen.

    Und glaub mir, das klingt alles auch für den Experimental-Bodenwasser-Physiker sehr abgefahren.

  5. #5 Mary
    11/20/2009

    Congrats to all three teams. All three papers were recognized as milestone papers by Phys Rev Letters 50th anniversary.
    https://prl.aps.org/50years/milestones#1964

    All just won the Sakurai prize:
    https://www.aps.org/units/dpf/awards/sakurai.cfm

    Steven Weinberg, who is well versed in this history, credits all three teams as recently as a speech he delivered last month. This speech occurred at the Council for the Advancement of Science Writing’s annual symposium.
    https://blogs.physicstoday.org/newspicks/2009/10/higgs-discovery-likely-at-lhc.html