Wir müssen aus dem Buhei aus den gestohlenen Mails der East Anglia Climate Research Unit Lehren ziehen. Diese Lehren sind nicht dass sich irgendetwas an den wissenschaftlichen Erkenntnissen ändern wird. Diese Lehren sind nicht, dass Klimatologen auch nur Menschen sind. Diese Lehren sind nicht, dass Wissenschaftler sich nicht politisch äußern sollten. Die Lehren, die wir ziehen müssen sind keine neuen, aber jetzt springen sie uns ins Gesicht. Eigentlich ist in diesen Mails nichts drin, was der Wissenschaft schaden sollte. Aber ich wette dass sich in unzähligen Köpfen bei Laien ohne festen Standpunkt zur Klimaforschung eines festgraben wird: Klimaforscher sind Betrüger. Oder wenigstens: Es gibt welche, die betrügen. Und wie kann das sein? Wir als Wissenschaftler oder Skeptiker fragen uns: Aber wie kann das sein, die Evidenz ist doch so solide, das müssen die doch merken. Aber bei der H1N1-Impfung war es ebenso: alles war verunsichert auch im Angesicht klarer Erklärungen. Ich muss konstatieren: Der Großteil unserer Mitmenschen erkennt klare Evidenz auch dann nicht, wenn sie ihn in den Arsch beißt.
Klar kann man das jetzt diagnostizieren, und einfach die Tatsache, dass skeptisches Denken und Wissenschaft in der Schule praktisch nicht gelehrt werden, tragen daran ihre Schuld. Aber ich denke, es gibt auch einen verwandten Grund der wenigstens aus der Mailgeschichte hervorgeht: Es existiert kein Bild von Wissenschaftlern abseits von Klischees. Und wir – wir als Wissenschaftler, als Skeptiker, als Blogger, als interessierte Leser – können da einen Beitrag leisten, dass das besser wird. Denn auf den Abzieh-Wissenschaftler im weißen Kittel, der emotionslos die Weltherrschaft anstrebt, kann man leicht alle möglichen ebenso großen üblen Klischess projizieren. Wenn aber etwas mehr vom Wissenschaftler als Mensch in den Köpfen ist, fällt das schon schwerer.
Die große Herausforderung dabei ist, den Prozess der Wissensschaffung und die wissenschaftliche Methode zu vermitteln. Es gibt viele viele wunderbare Wissenschaftbücher für Jedermann, aber die meisten machen nichts anderes als Dinge erklären und historisch erzählen wer sie entdeckt hat. Aber der eigentliche Prozess, wie jemand drauf kam, wird fast nie aufgerollt – das liegt vor allem daran dass es so undankbar schwierig ist, denn der Entstehensprozess von Wissen ist vor allem langweilig und langwierig. Da liegt unsere Herausforderung, wir müssen Wege finden, Geschichten zu erzählen die die Arbeit des Wissenschaftlers vermitteln. Das ist grundsätzlich der Weg, etwas zu vermitteln: Man packt es in ein Narrativ. Das bedeutet nicht, Geschichten zu erfinden, aber am besten gelingt die Vermittlung von Inhalten wenn man erzählerisch einem klaren Weg folgt, den man gerne (gedanklich) mitgehen kann.
Ein wunderbares Beispiel dafür war das Labortagebuch von Marcus Anhäuser. Ich jedenfalls habe viele Details aufgesogen und festgestellt, dass es da eine kritische Lücke gibt in meinem Verständnis. Ich kann mir schon nicht vorstellen, wie ein theoretischer Physik mit Stift und Papier neue Formeln herauspresst. Ich würde aber gerne wissen, wie er das macht. Sitzt er acht Stunden am Tag vor dem Blatt? Rechnet er einfach rum? Diskutiert er viel? Trödelt er rum und spielt Solitaire bis ihm ein Geistesblitz kommt? Wir brauchen Erzähler dafür. Marcus konnte das sechs Wochen machen, weil er dafür ein Stipendium bekommen hat. Das kann nämlich keine Aufgabe für einen normal arbeitenden Wissenschaftsjournalisten sein, es kostet entweder viel Zeit für Recherche oder muss von den Wissenschaftlern selbst kommen. Richtig gelingen kann das aber eigentlich nur, wenn die, die für Wissenschaft bezahlen das stärker unterstützen. 2 Millionen für ein EU-Projekt? Warum nicht auch verpflichtend eine halbe Stelle, um das richtig schön zu erzählen, was dann dabei passiert.
Wir hier als Blogger können auch versuchen, das besser zu tun. Es ist aber auch schwierig, über die eigene Arbeit zu erzählen – ich könnte da nicht mal einmal im Monat einen spannenden Artikel zusammenbekommen. Deswegen kann ich wieder nur nochmal fragen: Wo seid ihr alle, warum bloggt ihr nicht? Hier an den “Graswurzeln” ist genau der Ort, um den entscheidenden neuen Schritt der Wissenschaftskommunikation zu gehen! Traut euch, macht ein Blog auf und erzählt etwas!
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