Neutrinos detektieren ist eine Heidenarbeit und braucht riesige, genaue Detektoren die die winzigen, seltenen Spuren der Neutrinos aus einem Riesenhaufen Hintergrund heraussuchen. Im Dezember hatte ich schonmal davon berichtet, wie ein Neutrino-Experiment unter Wasser keine Neutrinos, sondern Wale aufgespürt hat. Ein neuer Vorschlag, über den heute das arXivblog berichtet, könnte das Riesen-Neutrinoexperiment am Südpol verwenden, um die Temperatur der Atmosphäre zu messen – und vor allem in der interessanten Höhe, in der die Ozonschicht liegt.
Im antarktischen Winter, von Mai bis August, kühlt die Luft über der Antarktis sehr stark ab, da es ja schließlich dort immer Nacht ist. In der Stratosphäre kommt es dadurch zur Ausbildung einer starken Kreisströmung um die Antarktis, die verhindert dass Luft aus niedrigeren Breiten zuströmt. In der abgeschlossenen Luft kommt es zu einer Wolkenbildung aus Eiskristallen und Stickoxiden. Die Stickoxide fangen normalerweise das FCKW ab. Durch ihre Bindung in Wolken begünstigt das bei Einsetzen der Sonneneinstrahlung das stratosphärische Ozon innerhalb Wochen abgebaut wird – das bekannte Ozonloch.
Deswegen wären gute Temperaturmessungen der Atmosphäre über der Antarktis so wichtig. Dazu führt man normalerweise Radiosondenaufstiege durch – aber wer soll die im antarktischen Winter großflächig machen? Daher könnte eine Bestimmung aus kosmischer Strahlung eine Lösung sein.
Myonen aus kosmischer Strahlung
Myonen sind kurzlebige Teilchen, die nur 80 µs leben. Da sie sich äußerst schnell bewegen, wirkt hier aus Sicht des Myons die relativistische Zeitdehnung, sodass es aus unserer Sicht von der Erde aus länger lebt, etwas 200 µs. Das ist entscheidend – sonst könnte es gar nicht bis zum Erdboden kommen während seiner Lebensdauer. Myonen entstehen aus dem Zerfall von Mesonen, die wiederum entstehen wenn ein Teilchen der kosmischen Strahlung – meist ein Proton – auf ein Molekül der Atmosphäre trifft. Diese Mesonen können natürlich auch wieder auf ein Gasmolekül treffen – oder wenn nicht, zerfallen sie und ein Myon entsteht. So kann man sich klar machen, dass je weiter so ein Meson im Schnitt fliegen kann, umso eher wird es zerfallen. Es entstehen also mehr Myonen, wenn in der Atmosphäre die Entfernung zwischen Molekülen größer ist – sprich wenn der Druck geringer ist. Und wann ist der Druck geringer? Wenn die Temperatur höher ist. Also: im antarktischen Winter müsste man weniger Myonen messen, da die Stratosphäre kälter wird. Außerdem geschieht die Erzeugung der Myonen gerade in der Stratosphäre, wo sich die Ozonschicht befindet. Passt also.
Abfall der Neutrino-Suche
Und noch etwas passt: Dass es ein großes Experiment gibt, das Myonen detektiert. Aber eigentlich wirft es den Großteil davon weg. Um Neutrinos zu finden, braucht man ein großes Detektorvolumen. Am Südpol verwendet man dazu einfach was man dort eh hat – einen Kubikkilometer Eis, in den man Detektoren eingelassen hat. Ab und zu – selten – erzeugt ein Neutrino im Eis ein Myon. Dieses Myon ist schnell und erzeugt Cerenkov-Licht, das die Detektoren sehen.
Aber auf jedes Myon das von einem Neutrino ausgeht, kommen Millionen von Myonen, die eben aus der kosmischen Strahlung stammen. Normalerweise filter man diese eben mit verschiedenen, ausgeklügelten Methoden heraus.
So gibt es z.B. eine Reihe von Oberflächendetektoren, die in den Himmel schauen. Bei einem Ereignis mit kosmischer Strahlung, bei dem Myonen entstehen, wird normalerweise auch elektromagnetische Strahlung ausgesandt – also Lichtblitze oder Radiowellen. Wenn man diese misst, kann man davon ausgehen kein Neutrino gemessen zu haben und filtert eventuell gemessene Myonenereignisse als Hintergrund heraus.
Die Untersuchung von Serap Tilav und seinen Kollegen aus der IceCube-Kollaboration (arXiv) hat nun eine sehr gute Korrelation zwischen Temperaturmessungen aus Satellitendaten und Radiosondenaufstiegen mit der Myonenzahl im Hintergrund bei IceCube festgestellt.
So könnte der “Abfall” der Neutrinomessungen jetzt doch noch Karriere in der Klimaforschung machen!
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