Unsere Augen sind meistens auf die Teilchenphysik oder auf die Astronomie gerichtet. Die Welt des ganz Kleinen oder ganz Großen fasziniert uns besonders. Dadurch wird oft die Festkörperphysik vergessen; und auch dadurch verstärkt, dass das von den Konzepten wirklich auf den ersten Blick eine andere Welt ist. Aber irgendwo ist das doch schade, denn nirgendwo sind im Moment die Fortschritte größer, und man macht buchstäblich an den Rändern von Materialien physikalisch absolut neue Welten auf. Und meistens findet man dann heraus, dass theoretisch betrachtet unheimlich viel ähnlich ist zur Teilchenphysik oder zu Feldtheorien. Daher ist es unerlässlich, dass sich die Gebiete austauschen und befruchten.
Seit etwa 5 Jahren ist das siedend heiße Gebiet der Festkörperphysik und Materialphysik der topologische Isolator. Von der Anwendung her gedacht versprechen die Ränder dieser Materialien den Nachfolger der Elektronik und alle Zutaten für Quantencomputer. Physikalisch gesehen braucht man hier völlig neue mathematische Konzepte um zu verstehen, was vor sich geht.
Wieso Topologien?
Angefangen hat das Feld eigentlich mit der Erforschung des Quanten-Hall-Effektes. Ich hab auch erstmal geschluckt, aber für diese Erklärung sind solche Quantenphänomene wie Supraleitung jetzt “normal”. Diese kann man nämlich in der Regel durch die Brechung einer Symmetrie erklären. Eine Symmetriebrechung ist beispielsweise das Frieren von Wasser: Während flüssiges Wasser eigentlich in alle Richtungen (im Mittel) gleich aussieht, weist ein Eiskristall eine Gitterstruktur auf, die eben nicht in alle Richtungen gleich aussieht. Die Raumsymmetrie ist gebrochen. Der Übergang von fest nach flüssig und somit das Auftreten einer Symmetriebrechung nennt man einen Phasenübergang. Auf beiden Seiten von Phasenübergängen finden sich unterschiedliche Zustände der Materie, die physikalisch andere Eigenschaften haben.
Man kann also solche Phasenübergänge, wie z.B. auch den in die Supraleitung durch einen Ordnungsparameter beschreiben, der die Symmetriebrechung beschreibt.
Für die Beschreibung des Quanten-Hall-Effektes gelingt es aber nicht, eine Symmetriebrechung zu beschreiben. Hier ist ein anderes Konzept gefragt, und das ist das Konzept der topologischen Ordnung. Hier sucht man nach einer Invariante, die die Übergänge zwischen ähnlichen Systemen beschreibt. Eine Art dieser Systeme ist der klassische Nichtleiter, aber der Quanten-Hall-Effekt fällt in eine andere Klasse.
Bänder
Das Bild des Halbleiters ist das einer Bänderstruktur. Ein Band umfasst eine Vielzahl dicht beisammen liegender Elektronenzustände in einem Festkörper. Zwischen dem oberen voll besetzten Band und dem leeren Leitungsband ist im Isolator eine große Lücke. Man kann eine Beschreibung der Struktur finden für alle Nichtleiter. Man beschreibt dann eine Funktion von der Gitterstruktur auf den Energieoperator. Es gibt dann eine Möglichkeit, diese Zustände ineinander zu überführen – diese sind alle topologisch äquivalent. Ja, Topologie, das ist das was Thilo immer behandelt, daher will ich es auch fleißig verlinken. Die Zustände des Isolators sind alle überführbar durch Funktionen die topologisch klassifiziert werden vergleichbar mit Funktionen von 3D-Objekte zu ihrer Oberfläche aus einem Vektorraum mit Euler-Klasse 0, also Kugeln. Mehr noch, die Isolator-Beschreibung ist äquivalent zum Vakuum. Während diese Abbildungen durch das Gauss-Bonnet-Theorem beschrieben sind, greift bei den topologischen Beschreibungen von Festkörpern die Verallgemeinerung in Chern-Klassen.
Was gilt aber für den ganzzahligen Quanten-Hall-Effekt? Hier liegt die Situation anders. durch die Struktur der Zustände ergibt sich eine andere topologische Situation – eine andere Chern-Klasse vergleichbar zum Torus.
Randgebiete
Interessant wird es an den Randgebieten, denn hier muss ja irgendetwas passieren, weil der Übergang zwischen den Chern-Klassen stattfindet. So ergeben sich beispielsweise am Rand des Graphen unter Symmetriebrechung interessante Zustände. Man muss hier die Zeitumkehr-Symmetrie durch speziell an die Gitterstruktur angepasste Magnetfelder brechen. Dann kann man dort einen Quanten-Hall-Effekt erreichen.
Viel interessanter ist der topologische Isolator. 2005 erkannte man aus den Theorien, dass es eine Klasse von Festkörpern geben muss, die im Inneren Isolatoren waren, aber am Rand sehr interessante leitende Zustände haben mussten.
Diese Zustände sind so besonders, weil sich durch den Übergang zwischen den Chern-Klassen hier das Phänomen ergibt, dass man nicht nur eine zweidimensional begrenzte Leitungsfähigkeit hat, sondern dass diese auch noch chiral ist. Das heißt, dass es eine Einbahnstraße ist. Somit ist dieses Phänomen hochattraktiv für das aufstrebende Feld der Spintronik. Dieses Feld versucht, Elektronik zu ersetzen durch Bauteile, die den Spin der Elektronen ausnutzen statt nur die elektrische Ladung, um so schnellere, verlustarme Bauteile herzustellen. Das Phänomen am Rand der topologischen Isolatoren hat seine Ursache eben im Spin des Elektron – und seiner Kopplung an die Elektronenbahnen. Die chiralen Kanäle für die Leitung erlauben nur eine Spinrichtung der Elektronen – und sie sind auch noch sehr stabil. Beim Graphen wurde es interessant, wenn man die Zeitumkehr-Symmetrie durch Magnetfelder brach. Hier ist es anders – die Kanäle lassen sich nur stören, wenn man diese Symmetrie bricht. Im Normalfall sind sie daher sehr stabil.
Majorana-Fermionen und Quantencomputer
Aber es kommt noch besser. Neben der “klassischen” BCS-Theorie kann man kann auch eine topologische Beschreibung der Supraleitung vornehmen. Dies ist die Bogoliubov-de Gennes-Theorie, und sie birgt die Hoffnung, auch die bislang nicht richtig verstandenen Hochtemperatursupraleiter zu verstehen. Bringt man ferner einen solchen Supraleiter mit einem topologischen Isolator zusammen, ergibt sich – am Rand natürlich – die Möglichkeit zu hochinteressanten Quasiteilchen. Man nennt sie Bogoliubov-Quasiteilchen und sie haben die faszinierende Eigenschaft, Majorana-Fermionen zu sein – also ihr eigenes Antiteilchen. Das bietet zum einen die verlockende Aussicht, Majorana-Fermionen in freier Wildbahn zu studieren. Man nimmt es ja von Neutrinos an, aber die lassen sich so schlecht untersuchen.
Daneben bieten Bogoliubov-Quasiteilchen aber auch noch das All-Inclusive-Paket zum Quantencomputer. Sie sind nämlich Anyonen, die nicht-Abelsch sind. Das heißt, wenn man sie vertauscht, ändert sich nicht einfach das Vorzeichen (oder bleibt gleich), sondern es wird eine Phase in Form einer Exponentialfunktion dran multipliziert. Das geht nur in 2D – aber wir sind ja auf einer Randfläche. Ferner liegen diese Quasiteilchen nichtlokal als Quantenverschränkung über lange Strecken vor, und sind daher einmal nicht so leicht zu stören und auch als Grundbaustein des Quantencomputers, das Qubit, einsetzbar. Und ihre Vertauschungseigenschaft bringt gleich huckepack mit, dass sie sich wie eine Quantengatter-Operation verwenden lässt. Prinzipiell muss man also das System erzeugen, ein bißchen vertauschen – und fertig.
Warum ich das alles erzähle
Ich denke ihr seht – es gibt Gründe sich gut mit diesen Systemen zu befassen. Mehr gibt es in diesem Review-Paper zu lesen oder dieser Video-Vorlesung.
In einer aktuellen Veröffentlichung in den Physical Review Letters (arxiv) haben die Autoren jetzt theoretisch ein System untersucht, bei dem auf einem topologischen Isolator ein Hochtempreatursupraleiter neben einem Ferromagnet sitzt. Sie haben dabei bestätigt, dass die verschiedenen heißen neuen Phänomene auftreten können – und mehr.
Sie untersuchen dabei zwei verschiedene Supraleiter-Arten. Bei der ersten stellen sie fest, dass die Andreev-Reflektion unterdrückt ist. Diese beschreibt normalerweise, was an der Grenze zwischen einem Supraleiter und einem Ferromagnet passiert: nämlich die Reflektion der Ladungsträger an der Grenzfläche.
Interessanter ist aber die andere, ungewöhnlichere Art Supraleiter: Hier werden tatsächlich die Majorana-Fermionen vorhergesagt. Die Autoren schlagen außerdem eine Methode vor, wie diese Erwartungen experimentell geprüft werden können.
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