Man kann sich nicht auf ein Experiment festlegen, dass die Physik am stärksten beeinflusst hat. Aber müsste man doch eine kurze Liste erstellen, so muss auf jeden Fall das Experiment dabei sein, das Frau Wu 1956 durchführte, und nachweisen konnte dass in der Schwachen Wechselwirkung die Parität verletzt wird. Bei dieser kleinen, schwachen Kraft wird unser Bild von Symmetrie im Raum zerdeppert.
Chien-Shiung Wu stammte aus Shanghai und ging nach ihrem Bachelor in die USA um ihre Promotion anzugehen. Sie arbeitete mit Ernest Lawrence in Berkeley, dem Nobelpreisträger und Erfinder des Zyklotron. 1940 promovierte sie und arbeitete später am Manhattan-Projekt. Sie galt als führende Expertin für den Beta-Zerfall, und setzte dieses Wissen ein, um in einem bemerkenswert eleganten Experiment 1956 die Paritätsverletzung in der Schwachen Wechselwirkung nachzuweisen, die Lee und Yang theoretisch vorhergesagt hatten.
Es dürfte eine der größten Ungerechtigkeiten sein, dass Lee und Yang den Nobelpreis erhielten, aber die Experimentatorin Wu übergangen wurde.
Parität, Spin und Betazerfall
Symmetrien sind die Grundlage der Physik. Durch die Betrachtung, wie Wechselwirkungen sich unter grundlegenden Symmetrien (Zeitumkehr, Ladungsumkehr, Raumspiegelung) verhalten, lernen wir etwas über diese Kräfte und invarante Größen.
Die Schwache Wechselwirkung ist (Überraschung!), die schwächste der Kräfte die im Atom wirken; die Gravitation ist noch viel schwächer und daher im Atom nicht relevant. Die Schwache aber verursacht den Betazerfall, und wurde daher im Zusammenhang mit Radioaktivität erforscht. So bemerkenswert macht sie die Tatsache, dass sie die P-Symmetrie verletzt, den Vorgang der Raumspiegelung. Dabei wird quasi allen Raumkoordinaten das umgekehrte Vorzeichen verpasst – auch wenn es intuitiv völlig klar wäre, dass sich dadurch nichts an einem Prozess tut – in der Schwachen passiert es doch.
Um das zu beobachten, braucht man den Spin: diese intrinsische Eigenschaft eines Teilchen ändert sich nicht unter Raumspiegelung. Daraus stammt die Idee für das Wu-Experiment: Man richtet die Spins von Atomen aus, die einen Betazerfall machen, und schaut sich an wo das Betateilchen, das Elektron, dann hinfliegt.
Das Experiment
Frau Wu nahm dafür Cobalt-60 Kerne. Bei enorm tiefen Temperaturen kann man diese dazu bringen, sich in einem Magnetfeld auszurichten, sodass alle Atom-Spins in eine Richtung zeigen. Das Atom macht einen Zerfall zu Nickel, bei dem ein Elektron e (und ein Anti-Elektron-Neutrino) herauskommen, und der Spin des emittierten Elektrons muss aus Erhaltungsgründen auch in die gleiche Richtung zeigen wie der das Cobalt. Dennoch sollte das Elektron in eine der beiden Richtungen, also in Richtung des Spin oder entgegen dazu, ausgesendet werden.
Man stellt also auf beide Seiten einen Detektor (oder einfacher: Man nimmt einen Detektor und kehrt das Magnetfeld um) und zählt, wieviele Elektronen in jede der beiden Richtungen fliegen: Und nur ein Detektor sieht Elektronen, der in Gegenrichtung zum Spin. Die Raumspiegelung ist nicht erhalten.
Helizität
Die Richtung des Elektrons ist durch seinen Spin festgelegt – und diese Verbindung wird definiert durch das mitemittierte Neutrino. Dieses Teilchen kann nur über die Schwache Wechselwirkung interagieren, und besitzt die bemerkenswerte Eigenschaft, dass Spin und Flugrichtung gekoppelt sind. Das hier mitemittierte Antineutrino ist rechtshändig, das heißt dass Spin und Flugrichtung immer gleich zeigen.
Aus Erhaltungsgründen müssen sich die Spins aber zu 0 addieren, außerdem ist der Spin des Elektron festgelegt – und somit der des Antineutrino entgegengesetzt dazu. Daraus wissen wir dann aber auch in welcher Richtung des Antineutrino fliegen muss, in Richtung seines Spins, denn es ist immer rechtshändig. Wieder aus Erhaltungsgründen bleibt dem Elektron nichts weiter übrig, als in die andere Richtung zu fliegen.
Die Kopplung von Spin und Flugrichtung beim Neutrino verletzt die Parität maximal. Die Produktion gemeinsam mit dem Antineutrino begrenzt deswegen die eigentliche freie Flugrichtung des Elektrons.
Um nicht noch eine Ungerechtigkeit in einer Ungerechtigkeit zu begehen, sollte aber auch erwähnt werden, dass Frau Wu nur mit Hilfe des National Bureau of Standards durchführen konnte.
Den Nobelpreis für Physik für den experimentellen Nachweis, dass fundamentale, selbstverständliche Annahmen über die Symmetrie des Raumes nicht so gelten, hätte aber Chien-Shiung Wu verdient.
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