Dies ist eine Besprechung des Buches Breaking the Spell: Religion as a Natural Phenomenon/Den Bann brechen: Religion als natürliches Phänomen von Daniel Dennett. Die Einleitung und Übersicht dazu findet ihr hier.
Im zweiten Kapitel muss die Wissenschaft ein paar kritische Fragen über sich ergehen lassen. Zunächst: Darf Wissenschaft denn überhaupt Religion untersuchen?
Stephen Jay Gould ist bekannt dafür, den Begriff NOMA (“non-overlapping magisteria”) eingeführt zu haben. Darin deklarierte Gould Religion und Wissenschaft als sich mit disjunkten Themengebieten befassend. Das war ein netter Versuch, und der Templeton-Preis ist ja auch gut dotiert, aber da ist wenig Fleisch an diesem Thesenskelett. Denn die Religiösen sind damit nicht einverstanden, weil sie Gottes Wort als faktische Wahrheit auffassen und die Säkularen, weil sie nicht bereit sind dass Religion die Autorität zu Moral und Ethik ist. Dennett will aber einen anderen Weg gehen und sagt, dass Wissenschaft sehr wohl untersuchen kann, was Religion macht – ohne selbst zu unternehmen, mit was Religion sich befasst.
Dennett sagt, dass es zwar eine Vielzahl an Jahrhunderte alten Studien über die Geschichte der Religion und ihre Phänomene gebe, dass aber Religion als natürliches Phänomen noch kaum und kaum neutral untersucht sei, denn die Gefahr, dass eine Hypothese über Religion widerlegt wird dürfte auf gewaltigen Widerstand der Gläubigen führen. Dadurch haben Studien zu Religion geringes Prestige. Aber jetzt gibt es langsam ein Zusammenwirken der verschiedenen Fachrichtungen und die Möglichkeit, Religion zu untersuchen. Aber sollte die Wissenschaft das auch?
Um das zu untersuchen, präsentiert Dennett fünf sehr unterschiedliche Szenarien für die Zukunft, von der starken über die verbotene oder bedeutungslose Religionsausübung bis hin zum Weltuntergang. Dann argumentiert er, dass die Untersuchung dieser Hypothesen für jeden Gewinn bringen würde, egal welche Hypothese er gerne verwirklicht sehen würde. Er wendet quasi “Diax’s Rake” darauf an: Glaube nichts, nur weil du willst dass es wahr sei. Stattdessen habe sich das wissenschaftliche Studium von Phänomenen als nützlich zur Steuerung erwiesen, auch wenn die öffentliche Wahrnehmung im Nachhinein verzerrt ist (siehe Ozonloch, Grippeimpfungen). Also sollte auch der Gläubige einen Gewinn daraus ziehen können.
Zu den Risiken einer Untersuchung sagt er u.a.:
I, for one, fear that if we don’t subject religion to such scrutiny now, and work out together whatever revisions and reforms are called for, we will pass on a legacy of ever more toxic forms of religion to our descendants. I can’t prove that, and those who are dead sure that this will not happen are encouraged to say what supports their conviction, aside from loyalty to their tradition, which goes without saying and doesn’t count for anything here.
Dennett argumentiert für ein wenig Sympathie mit den Gläubigen. Er weist darauf hin, wie furchtbar es wäre wenn jemand vorschlage, dass Musik schlecht für uns sei – er versucht eben stark, das Buch für jeden zugänglich zu halten (und hat auch im Vorwort ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es auf amerikanische Leser und Verhältnisse zugeschnitten sei). Das ist sein Vorschlag: Lasst uns Menschen ernst nehmen, die denken das Religion wichtig ist. Und der einzige Weg, sie ernst zu nehmen ist, die Phänomene wissenschaftlich zu untersuchen.
Und was ist, wenn die Untersuchung die Vorteile der Religion zerstört?
(…)the case for curbing our curiosity here has two parts: it must show both (I) that religion provides net benefits to humankind, and (2) that these benefits would be unlikely to survive such an inestigation.
Im ersten Punkt könne man, wie vor Gericht, annehmen dass dies richtig sei bis das Gegenteil bewiesen würde. Zum zweiten Punkt befasst er sich mit früheren Brüchen von Tabus: Dem Sezieren von Leichen, der Untersuchung der Sexualität. Er kommt zum eindeutigen Schluss: Wissen ist Macht, egal ob zum Guten oder zum Schlechten. Stillschweigendes Heraushalten wie NOMA scheint wenig zu bringen. Stattdessen ruft Dennett dazu auf, die eigene Meinung auf den Prüfstand zu stellen, statt die Religion vor Kritik und Nachfragen zuzumauern:
I wholeheartedly agree (…) that there is a moral crisis, and that nothing is more important than working together on finding paths out of our current dilemmas, but I think I have a better way. Prove it, they will say. Let me try, I respond. That’s what this book is about, and I ask them to try to read it with an open mind.
Nun hat Dennett also alles unternommen, um so viele Leser wie möglich mitzunehmen. Ich als Atheist sitze schon da und denke, jaja ok jetzt leg mal los; aber hoffentlich erreicht er wirklich auch gläubige Leser damit, die sich überzeugen lassen ein wenig Licht auf ihre Dogmen zu werfen.
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