In meinem Artikel von gestern habe ich über die Beobachtung eines Anti-Wasserstoff-Hyperkerns berichtet. In den Kommentaren hat jemand eine Seite verlinkt eines dieser Wissenschafts-Feinde, die auch immer noch den LHC-Schwarzes-Loch-Terror betreiben. Ich wusste zwar, dass es damals beim RHIC auch Probleme mit solchen Leuten gegeben hatte, aber nicht dass es da um Strangelets ging und was das eigentlich sein soll. Eigentlich finde ich es ja traurig, was für ein Leben frei von Neugier und Phantasie diese Leute doch führen müssen. Und wahrscheinlich brausen sie trotzdem in ihrem Straßenpanzer mit 80 durch die Innenstadt…
Seltsame Materie
Abgesehen von völlig überzogener Panikmache ist aber das hypothetische Teilchen Strangelet ein faszinierendes Objekt. Es wäre äußerst interessant, es zu finden und zu studieren. Man hat auch am RHIC danach gesucht, aber nichts gefunden.
Grundsätzlich muss man hier zunächst die Abgrenzung zu der gestern beschriebenen Materie ziehen: Hyperkerne sind fast wie normale Atomkerne zusammengesetzt, also aus Baryonen mit genau 3 Quarks. Nur ist in diesen Kernen eines der stabilen Nukleonen (Neutron, Proton) durch ein Lambda ersetzt worden, das nicht nur up und downs, sondern ein strange beinhaltet. Bei Strangelets reden wir aber von etwas anderem: Dort setzen wir keine seltsamen Kerne zusammen aus Baryonen mit Strange-Quarks, sondern wir gehen eine Ebene tiefer und setzen ganz neue Teilchen zusammen aus viel mehr als nur 3 Quarks. Und die Hypothese ist, dass sich stabile Zustände finden können, bei denen es bei einer Vielzahl Quarks möglich ist, durch Strange-Quarks energetisch günstigere Zustände zu finden als nur mit ups und downs.
Grundsätzlich gibt es aber sogar drei Bereiche dieser seltsamen Materie. Theoretisch könnten in einem Beschleuniger Systeme von 10-100 Quarks als Strangelet entdeckt werden. Allerdings beschränkt hier das Geschehen am Rand dieses Systems die Lebensdauer. Das Erstaunliche ist, dass mit zunehmender Quarkzahl die Systeme stabiler werden. Daher kann man sich theoretisch vorstellen, makroskopische Objekte aus seltsamer Materie zu haben, die nur eine Suppe aus Quarks und Elektronen sind.
Beschränken wir uns aber auf die “kleinen” Strangelets. In einer sehr hochenergetischen Kollision, wie sie in einem Beschleuniger oder viel öfters durch Kollisionen mit kosmischer Strahlung in unserer Atmosphäre oder z.B. auf dem Mond stattfindet, kann ein Quark-Gluon-Plasma entstehen, also eine Suppe aus Quarks und den Teilchen, die sie mit der Starken Kraft koppeln. Einen Quark-Materiezustand der sich daraus bilden könnte kann man als Energietopf darstellen, mit den erlaubten Energiezuständen, die ein Quark einnehmen kann. Das Pauli-Prinzip verbietet, dass zwei Teilchen im gleichen Zustand sitzen, daher muss man nach oben auffüllen.
Da man verschiedene Arten Quarks hat, kann man einen Topf für jede Art aufmachen. Das bedeutet aber auch, dass unter Berücksichtigung von Strange-Quarks eine breitere Anzahl niedrigerer Energiezustände zur Verfügung steht. 1984 wurde es u.a. von Edward Witten vorgeschlagen, dass Materie eigentlich günstiger in diesem Zustand ist als in unserer “normalen” up-down-Welt, aber es erstmal kräftig Energie benötigt um ausreichend viele Strange-Quarks zu erzeugen. Aber, es ist eine Hypothese. Wir verstehen nicht genug über Quark-Gluon-Interaktion um das ausreichend genau zu modellieren, aber da wir es auch nicht ausschließen können (und an solch einem System viel lernen könnten), lohnt es sich danach zu suchen. Mehr zu Seltsamer Materie findet sich hier bei J. Holden.
Müssen wir alle sterben?
Ja, aber nicht durch Strangelets. Erstmal sind die Strangelets, die eventuell am RHIC hätten erzeugt werden können, eh instabil. Was als Gefahr propagiert wird, ist dass sie einen Ice-Nine-Effekt haben könnten und durch Kontakt andere Materie “anstecken” und umwandeln könnten – denn mit zunehmender Anzahl an Quarks nimmt ja die Energie des Systems ab. Abgesehen davon, dass sie eh nicht lange genug leben, selbst wenn sagen wir ein riesiges stabiles Strangelet durch das All gesegelt kommen würde – dann wäre es immer noch positiv geladen und könnte so den ebenfalls positiv geladenen normalen Atomkernen gar nicht zusammenstoßen – die Coulombkraft hielte es davon ab. Interessant wäre das aber beim Kontakt mit einem Neutronenstern – da gäbe es keine Coulombabstoßung, und theoretisch könnte also so ein Strangelet einen Neutronenstern komplett umwandeln. Eine interessante Hypothese, aber bislang gibt es keine Indizien dafür, dass Neutronenstern “seltsam” sind (z.B. an der Oberfläche). Eher im Gegenteil.
Jetzt gibt es irgendwo in den ungenauen Modellen je nach Kopplungsstärke auch noch die Möglichkeit, negativ geladene Strangelets zu erzeugen. Diese wären dann potentiell auch für normale Materie gefährlich, sollten sie existieren. Aber wie formuliert Holden das: “The possibility of producing such objects would be of interest primarily to Hollywood, the military (presumably for use against an extra-terrestrial invasion), and opponents of Brookhaven.”
Die schlagenden Argumente sind natürlich, dass das eine ungenaue Vorhersage eines Modells ist, das einen möglichen Aspekt einer unbestätigten Hypothese darstellt. Also mehr Fiktion als Wissenschaft (was nicht heißt, das es nicht wertvoll ist das genau zu untersuchen, aber man soll dabei auf dem Teppich bleiben). Oh und natürlich dass wir hier sind – denn an jedem Tag finden z.B. im Mond mehr solcher Kollisionen statt die Strangelets erzeugen müssten, als in der gesamten Laufzeit des RHIC. Und der Mond ist offensichtlich noch da. Und auch in der Erdatmosphäre treten ständig Kollisionen mit kosmischen Protonen auf, bei viel (!) höheren Energien als sie je LHC erreicht werden können.
Leuten mit solch arg verschobener Risikowahrnehmung sollte man keine Beachtung schenken, aber da sie ja leider auch das Bundesverfassungsgericht an wichtigen Dingen behindern, muss man trotzdem ab und zu drauf hinweisen.
Für mich gleichen einige Sekunden des Staunens, welche erstaunlichen Materiezustände man sich in der Quarkwelt vorstellen kann, jedes hypothetische Risiko mehr als aus.
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