Dies ist eine Besprechung des Buches Breaking the Spell: Religion as a Natural Phenomenon/Den Bann brechen: Religion als natürliches Phänomen von Daniel Dennett. Die Einleitung und Übersicht dazu findet ihr hier.

Was als intentionale Einstellung und frühe Sprache begann, entwickelte sich bald rege weiter. Unsere Vorfahren wurden sozialer und sprachlich gewandter. Und immer mehr wurde die intentionale Einstellung überstrapaziert: Tiere und auch Gegenständen wurde eine ‘Seele’ eingehaucht (Wer hat noch nie mit seinem Computer geschimpft?). Unsere Vorfahren nahmen das aber durchaus ernst und fassten Flüsse oder Wolken als Dinge mit Einstellung und Absicht auf. Und dann melden sich die Tricks, die das Bewusstsein auf Lager hat um auf intentionale Einstellungen anderer Dinge und Wesen zu reagieren. Aber das Wetter kann man nun mal nicht beeinflussen, und so laufen die Handlungen die unsere Vorfahren unternahmen um es zu beeinflussen ins Leere.
Ein sehr bekanntes Experiment dazu war die ‘Skinner-Box’. Der Psychologe B. Skinner hatte einen Versuch mit Tauben durchgeführt: Diese saßen in einer Kiste und bekamen Leckerlis, aber zufällig, und nicht wenn sie etwas bestimmtes taten. Die Folge: Nach einiger Zeit führten manche Tauben elaborierte Tänze auf oder machten bestimmte Kopfdrehungen. Sie versuchten, die Bedingungen nachzuahmen, die zum letzten Futter führten! Wie sehr muss es einem frühen Menschen imponiert haben, wenn er einen Regentanz aufgeführt hat, und es tatsächlich regnete. Die Regengötter waren besänftigt!
Hinzu kommt, dass unser Gedächtnis so funktioniert, dass es besonders bemerkenswerte Ereignisse lieber durch den Filter lässt und auch wirklich speichert. Dennett nennt diese Kombination – ein Gedächtnis das bevorzugt bemerkenswerte Kombinationen speichert und ein eifriges System zur Detektion von Agenten – eine ‘fiction-generating contraption’. Diese Maschine baue ‘Proto-Memen’ – kleine Ideen die verstärkt werden können und die Möglichkeit haben, vom Individuum durch die Kultur zu wandern und zum Mem zu werden.
Wir verstehen also, wie Aberglauben entstehen kann. Aber es fehlt noch etwas zur Religion, etwas ganz entscheidendes! Glauben!

The price our species has paid for the security of living in large groups of interacting communicators with different agendas is having to keep track of these complex agendas and shifting relationships.

Aus dieser Notwendigkeit des Umgangs mit Komplexität in einer Welt, in der niemand alles wissen kann, konnte die Idee entstehen, dass jemand alles wissen könnte. Noch bevor Gott der Agent mit allem Wissen wurde, wurden die Ahnen zu den Agenten, die alle strategische Information haben. Dabei ist ‘strategische Information’ (nach Pascal Boyer) alles, was man zu sozialen Situationen (von anderen) wissen könnte. Und weiter noch: da ein Kind viel Information von seinen Eltern lernen muss, ist das Gehirn so angelegt, dass es das Wissen einer elterlichen Autoritätsfunktion bedenkenlos aufnimmt – eine prima Einrichtung für die Meme, die Ahnen als allwissende Agenten erwecken.
Jetzt gibt es also Ahnen oder Götter die alles wissen – nur was bringt das uns? Wie kommen wir an das Wissen? Wenn ein Mensch unsichere Entscheidungen trifft, dann hat er gerne trotzdem einen Grund dafür. Und so sind unzählige Systeme der Prophezeiung entstanden, vom Studium des Vogelflugs bis hin zur Astrologie. Das ganze ist ein ‘free-floating rationale’ – die Verantwortung für eine Entscheidung abtreten tut gut, auch den Nutzen kann man genießen ohne zu verstehen wie es funktioniert.
(Um mal das kurz in Klammern anzumerken – das ist ja auch eine äußerst treffende Beschreibung dafür, warum Leute an Astrologie und Homöopathie glauben. Ist ist sozusagen einerseits die Skinner-Box als auch ein ‘free-floating rationale’, das zum “Wer heilt hat recht” führt. Wenn wir uns an die Herkunft der ‘free-floating rationales’ erinnern: Wir mögen Zucker, und warum ist uns egal, wir sind bereits glücklich wenn wir Zucker essen. Es ist eine Adaption, weil unser Körper Zucker braucht. So sind die Menschen auch glücklich, wenn Homöopathie vornehmlich hilft – auch wenn es nur Zufall ist wie bei der Taube, die Futter bekommt wenn sie gerade den Kopf dreht.)

Wir können also festhalten, das das kulturell übertragene Mem der Prophezeiung existiert und Menschen sicherer macht, weil sie Verantwortung für Entscheidungen abtreten können, und deswegen einen Vorteil bietet der dem Mem die Weiterverbreitung sichert.
Dennett kommt dann auch selbst auf den Placebo-Effekt, wenn er untersucht warum “Schamanen” die Verabreichung dieser Meme wie Prophezeiung, Homöopathika etc. mit so vielen Ritualen begleiten. Es ist beispielsweise bei der Schwangerschaft leicht verständlich. Hier ist das Ereignis klar vor Augen, und man kann verstehen, dass eine Ko-Evolution zwischen dem kulturellem Faktor der Behandlung und einer genetischen entwickelten Empfänglichkeit dafür stattgefunden haben kann. Dennett geht sogar so weit vorzuschlagen, dass es ein “Gott-Zentrum” im Hirn gibt, und schlägt dafür die Empfänglichkeit für Hypnotisierung vor (was ich etwas seltsam und leider nicht ganz erklärt finde). Es scheint aber Kandidaten für Gene, die die emotionale Antwort auf “hypnotische Impulse” steuern. Dies bringt uns hin zu Volksreligionen, also noch unorganisierten Formen der Religion, noch ohne Theologen oder Hierarchien.
Es gäbe also einen Grund, warum die abergläubischen Ideen existieren (die Maschine die Erinnerungen selektiv erzeugt und ein nervösen Agenten-Detektion), es gibt einen Mechanismus der Glauben erzeugt (das ‘free-floating rationale’ zur Entscheidungshilfe, als Antwort auf die Komplexität sozialer Interaktion) und es gibt die Möglichkeit, dass Selektionsdruck ausgeübt wurde, der zu evolutionären Prozessen der Empfänglichkeit für kulturell übertragene Rituale geführt hat.

Jetzt fehlt aber noch ein wichtiger Schritt – die erfolgreiche Replikation der Rituale und der Meme über Generationen:

Getting registered in a brain – getting heard and noticed above the competition – is less than half the battle. Getting rehearsed and rehearsed, either in the privacy of a single brain or in unison public repetition, is a life-or-death matter for an orally transmitted meme.

Zu der Frage, wie denn solch umständliche Rituale, wie sie Religion begleiten, sich so lange ohne Schrift erfolgreich kopieren konnten, findet Dennett eine überraschende Antwort: Gar nicht.

So, whereas we can be quite sure that people in oral traditions have had religions of one sort or another for thousands of years, we shouldn’t ignore the possibility that the religion we see (and record) today may consist of elements that have been invented or reinvented quite recently.

Die guten Tricks, die Memen erfolgreiche Verbreitung sichert, sind die Rituale und die Massenteilnahme daran. Das ist so, wie in einem Chor: Wenn einer falsch singt, wird er es schnell merken und sich an die anderen Sänger anhängen können. Ein weitere Voraussetzung ist die Aufteilung in ein “Alphabet” aus Elementen, die man sich merken kann – rituelle Bewegungen oder Textstücke. Zuletzt sind auch unverständliche Elemente wichtig – schlicht weil diese mit mehr Aufmerksamkeit weitergegeben werden müssen, und so weniger mutieren können.


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Kommentare (2)

  1. #1 adenosine
    04/12/2010

    Wieso sollte es denn Menschen glücklich machen, die Verantwortung für eine Entscheidung abutreten?

  2. #2 Ronny
    04/13/2010

    @adenosine
    Frag das mal einen Menschen mit geringem Selbstvertrauen 😉

    Oder: möchtest du eine Entscheidung treffen die viel Geld oder vielleicht sogar Leben kosten könnte ? Oder ist es nicht einfacher wenns schiefgeht zu sagen:
    ER WARS !!!

    Oder wenn ein lieber Freund eine schwere Operation hat, du ihn ermutigt hast und er dran stirbt. Ist es da nicht befreiender zu sagen: Es war Gottes Wille ?