Was wäre passiert, wenn Kurt Vonnegut ein Buch über das Universum verfasst hätte? Dann wäre es vielleicht fast wie dieses Buch, das u.a. erzählt, warum 95% aller sichtbaren Masse aus einem Kompromiss stammen zwischen der Heisenbergschen Unschärferelation und dem Energiehunger einer Kraft, die mit der Entfernung zunimmt.
Frank Wilczek ist einer der profiliertesten und “coolsten” Physiker unserer Zeit. Seinen Namen kann man auch als starker Raucher getrost in einem Satz mit u.a. Feynman, Dirac und Einstein unterbringen. Er hat bereits mit 21 als Doktorand seine Nobelpreis-Arbeit zur asymptotischen Freiheit mit David Gross abgeliefert und ist seitdem fleißig weiter tätig und hinter den entscheidenden Geheimnissen des Universums her. Er benennt neue hypothetische Teilchen als Axion oder Anyon, und arbeitet auch in der Festkörperphysik. Er bezeichnet auch das Universum als “vielschichtigen, vielfarbigen Supraleiter”. Schließlich ist der Higgs-Mechanismus eng mit der Symmetriebrechung in Supraleitern verwandt, der dort die Magnetfelder verdrängt. Und wie man diesen Effekt durch Photonen mit Ruhemasse erklären kann, so ist auch der Higgs-Mechanismus der, der der Überträgern der Schwachen Wechselwirkung eine Masse verleiht und sie auf kleinste Skalen treibt. So kann man verstehen, dass Wilczek jetzt an den Phänomenen arbeitet die die Gitter der Festkörper auslösen um mehr zu erfahren über das “Grid”, wie er es tauft, das das Universum und seine Felder trägt.
“The Lightness of Being: Mass, Ether, and the Unification of Forces” spannt einen Bogen von den Grundlagen der modernen Physik über die Teilchenphysik, verweilt vor allem bei der modernen Quantenchromodynamik, die Wilczek mitgeprägt hat und zeigt dann in die vermutliche Zukunft der Vereinigung der Elementarkräfte. Der Name des Buches spielt auf Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins von Milan Kundera an, und wo dieser in der Poetik nach der Welt sucht, sucht Wilczek in der Schönheit der Natur. Und vielleicht ist auch die Anordnung auf dem Titel kein Zufall, wie ich es auch in meinem Titel geschrieben habe. Wie leicht Wilczek hier die komplizierten Erkenntnisse mit unbedingtem Willen zum flockigen Bild darstellt, zeugt von einer unheimlichen, tiefgehender Intuition für die Physik. Ich hatte es im ersten Satz angedeutet, ich habe mich immer an die pragmatische heitere losgelöste Ernsthaftigkeit von Vonnegut-Romanen erinnert.
Die Darstellung der Komponenten des Universums befasst sich vor allem mit den Feldern. Die Beschreibung der elektromagnetischen Wechselwirkung liefert die klassische Feldtheorie, die Quantenelektrodynamik. Diese ist aber nur die kleine Schwester einer weitaus komplizierteren Theorie, der Quantenchromodynamik, die sich mit der Starken Kraft befasst, die Protonen und Neutronen aus Quarks bastelt. Diese Kraft ist ziemlich wunderlich: Während elektromagnetische Kraft und Gravitation fein, wie man es intuitiv erwartet, mit dem Abstand kleiner werden, nimmt die Starke Kraft zu! Die Teilchen, die diese Kraft übertragen, heißen Gluonen. Sie haben aber im Gegensatz zu Photonen die Fähigkeit, auch an anderen Gluonen anzukoppeln. Die Starke Kraft wirkt also so, dass man Quarks nicht einzeln beobachten kann, da sie “lieber” neue Teilchen formen (Quark confinement), aber auf kleinsten Skalen fast frei sind. Letzteres, die asymptotische Freiheit, hat Wilczek mitentwickelt und ist dafür 2004 mit dem Nobelpreis belohnt worden.
Wilczek beschreibt, wie sich daraus die Masse der Protonen und anderer Hadronen (Teilchen aus Quarks) ergibt. Auf der einen Seite haben wir eine Kraft, die mit der Entfernung zunimmt. Das bedeutet, dass sich ein freies Quark sofort mit einer Wolke aus Gluonen und weiteren Quarks umgeben kann. Aber das braucht Energie, also ist ein Zustand wünschenswert, bei dem die Energie minimiert wird. Das geht, wenn sich ein Quark mit einer umgedrehten Starken Ladung (die Farbladung heißt) in der Nähe befindet, sodass in einiger Entfernung die Ladung des Teilchens aufgehoben wird. Oder man bildet aus drei Quarks mit allen drei möglichen Farbladungen einen neutralen Kern.
Energetisch am günstigsten wäre es, alle Quarks an der gleichen Stelle zu positionieren – aber das verbietet die Unschärferelation. Und so entsteht in einem Gleichgewicht aus den beiden Seiten das Quark-Gluonknäuel das nach außen als Proton erscheint. Und jetzt weiß ich auch, was unsere Supercomputer zu oft belegt – man versucht diesen Vorgang nachzurechnen und schafft es in der Gitter-QCD schon ganz gut, aus den Gleichungen der Starken Wechselwirkung das Knäuel so zu simulieren, dass die korrekte Protonenmasse herauskommt – eine unwahrscheinlich große Leistung, und zugleich eine überzeugende Bestätigung der Theorie.
Wilczek weist dann weiter den Weg, der mit dem LHC hoffentlich weit beschritten werden kann – hin zur Vereinigung der drei Kräfte bei hohen Energien, dem Higgs-Boson, Dunkler Materie und der Vereinigung mit der Gravitation. Aber wisst ihr was, das erzähle ich euch jetzt nicht mehr. Das Buch ist nämlich einfach so toll, das solltet ihr selbst lesen. Ich kann es jedem, der mal ein Buch über Physik jenseits von Relativitätstheorie und Schwarzen Löchern lesen will, das vor Freude an den Fakten der Realität fast platzt, “The Lightness of Being” nur wärmstens empfehlen.
Photo v. Frank Wilczek: Amity Wilczek
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