Dies ist eine Besprechung des Buches Breaking the Spell: Religion as a Natural Phenomenon/Den Bann brechen: Religion als natürliches Phänomen von Daniel Dennett. Die Einleitung und Übersicht dazu findet ihr hier.
Auf in den Hauptteil! Nach der Einleitung in den ersten drei Kapiteln nimmt uns Dennett jetzt mit auf den Weg, die Phänomene die Religion ausmacht zusammenzusuchen. Logisch beginnt die Suche mit der Geburt von Religionen.
Über die Geburt von Religion lässt sich etwas lernen an den Cargo-Kulten: Immer wieder hat die Ankunft von westlichen Kulturen in technisch weniger fortgeschrittenen Plätzen (wie Pazifikinseln im Zweiten Weltkrieg) zu religionsartigen Phänomenen geführt, hatten die Ankömmlinge doch magisch anmutenden Cargo dabei. Auf der Insel Tana bauten die Bewohner im Zweiten Weltkrieg sogar eine Landebahn samt Bambus-Radiomasten nach, in der Hoffnung dass ihr Messias, offenbar ein falsch verstandener GI-Name, wiederkehre.
Es gibt tausende Religionen weltweit – wie sind die alle entstanden?
Übrigens erzählt hier Dennett gar nicht die ganze Geschichte der Cargo-Kulte – die echte ist sogar noch interessanter – siehe Skeptoid #199. In Wahrheit hatten die Bewohner dieser Inseln nämlich schon lange unter christlichen Missionaren gelitten, und Anfang des 20. Jahrhunderts war es zu Gegenbewegungen bekommen. Und just als die Hoffnung auf Hilfe groß war, kamen die Amerikaner und brachten Cargo. Kein Wunder dass daraus eine Religion entstand, als man versuchte die Umstände für Cargo wiederherzustellen?
Religionen existieren noch nicht besonders lange, z.B. im Vergleich zur Sprache. Dennett schlägt vor, rückwärts in der Zeit zu gehen; denn jede Innovation an der Religion muss in der jeweiligen Umgebung einen Nutzen bringen. Dennett verspricht, in den folgenden Kapiteln die beste bekannte Geschichte dessen zu entwickeln, was Wissenschaft schon über Religion weiß, und vor allem auch was sie nicht weiß. Er möchte testbare Hypothesen bringen.
Many people wish that these were unanswerable questions. Let’s see what happens when we defy their defensive pessimism and give it a try.
Wer weist uns also den Weg dazu, wie wir das wissenschaftlich anpacken können? Zunächst einmal appelliert Dennett für ein fächerübergreifendes Unterfangen; und hebt als Beispiel Jared Diamonds “Guns, Germs and Steel” hervor (wenn ich das nicht gerade parallel lesen würde, käme ich mit der Rezension schneller voran…).
Zwei Anthropologen mit Kenntnis von kognitiver Psychologie und Evolutionstheorie, Pascal Boyer und Scott Atran wiesen den Weg zu einer entscheidenden These: Um die Wirkung religiöser Ideen und Praktiken auf den Menschen zu erklären, muss man die Evolution des menschlichen Bewusstseins verstehen.
Like many other natural wonders, the human mind is something of a bag of tricks, cobbled together by over the eons by the foresightless process of evolution by natural selection.
Die Evolution hat das Bewusstsein so gebaut, dass unsere frühen Vorfahren daraus in ihrer Umgebung einen besonders hohen Nutzen ziehen konnten. Aus der Krabbelkiste der Tricks, die sich dabei entwickelt haben, schießen manche über das Ziel hinaus und haben eigenartige Nebenprodukte. Manche wirken zusammen und erzeugen Muster, die man durch alle Kulturen beobachten kann. Manche dieser Konzepte, wie Boyer sie nenne, sehen Religionen oder Vorstufen von Religionen ähnlich.Zu diesen Konzepten gehören Alarmmechanismen, Gedächtnismanagement und etwas, das Dennett ‘intentionale Einstellung’ nennt und von dem wir bald hören werden.
Unser Bewusstsein hat sich sich so entwickelt, dass es vor allem andere Bewusstseine entdecken kann. Wenn es darum geht, einen Feind zu detektieren, ist es besser, auf der sicheren Seite zu sein, auf die Gefahr hin, einmal über zu reagieren. Vielleicht sollte ich ‘mind’ gerade nicht mit Bewusstsein übersetzen, da es auch Tiere betrifft. Aber mir fällt grad kein passender Begriff ein. Denn clevere Tiere haben ein System entwickelt um eine intentionale Einstellung einzunehmen, das heißt sie erkennen andere Dinge in der Welt als Agenten mit Vorstellungen, Wünschen und vorhersehbarem Verhalten. Diese Einstellung erlaubt es einem Tier beispielsweise, zu ‘wissen’ dass der Feind es fangen will, und auch wie er er wohl versuchen wird. Das ist eine gute Einstellung, um weitere Tricks zur Rettung auslösen. Dieses Spiel kann man weitertreiben: Es gibt gewisse Hinweise darauf, dass Schimpansen das zur zweiten Ordnung betreiben: Sie ‘wissen’, dass ein anderes Tier die intentionale Einstellung einnimmt. Sie haben einen Glauben über Glauben. Bei Menschen geht das noch zu höheren Ordnungen:
But even preschool children delight in playing games in which one child wants another to pretend not to know what the first child wants the other to believe(…)
– Intentionalität der fünften Ordnung. Diese Fähigkeit bringt die Menschen dazu, sich mit Volkspsychologie zu umgeben – und eine Welt voll Denkern und Hoffern und Feinden und Betrügern zu sehen. Wir können das lernen, im Gegensatz zu Tieren.
Das geht so weit, dass es uns Probleme bereitet, beispielsweise wenn ein Vertrauter stirbt. Wir nehmen dann durch zeremonielle Handlungen Abschied von einer Version des Verstorbener als ‘virtueller Person’.
Dennett stellt die Frage: Welche Rolle spielt die Sprache bei solchen Handlungen und der intentionalen Einstellung höherer Ordnung. Es ist ein kontroverses Gebiet, ob die Sprache dafür erforderlich war. Aber Sprache verleiht sehr viel mehr Tricks, über Intentionen und Gefühle zu sprechen und mit Worten eine virtuelle Welt voller Agenten mit Intentionen zu bauen. Diese Formung und Ausarbeitung von Verhaltensweisen sollten wir erforschen.
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