Ein kleiner Artikel bei Wired (und eine unsägliche Diskussion bei Twitter) haben mich heute etwas erschüttert. Unter dem Label “Kunst” wird da die wissenschaftliche Methode über Bord geworfen, um Laune gegen Atomkraftwerke zu machen.
Im Artikel heißt es, dass die Schweizer Wissenschaftsillustratorin Cornelia Hesse-Honegger in der Nähe von Atomkraftwerken und Gebieten chemischer Kontamination Käfer sammelt, die Mutationen aufweisen. Und sie behauptet dass 10mal mehr davon Deformationen aufweisen als üblich.
In diesem kurzen Artikel ist so viel, was skeptisch werden lässt:
– Wieso gibt es nur Bilder von den Käfern statt Fotos? Und wie erkennt man, dass eine Mutation vorlag? Ein Käfer könnte auch durch Angreifer eine Antenne verloren haben.
– Warum läuft das ganze unter Kunst? Kunst darf alles, so ist das schon. Aber das passt eindeutig nicht mit den Tatsachenbehauptungen zusammen, die dann der Artikel enthält. Die Behauptung, dass nahe Kernkraftwerken deutlich mehr Mutationen auftreten, ist eine gewaltige. Es wäre in der Tat eine erschreckende Beobachtung, so sie denn stimmte. Die Sicherheit von Kraftwerken ist keine ja/nein-Frage und lässt sich nur durch die wissenschaftliche Methode und Einsatz von Statistik beantworten.
– Das ganze sieht für mich völlig nach Bestätigungsneigung (“confirmation bias”) aus. Wenn jemand Käfer sammelt, und mutierte Käfer zeichnen möchte, steht zu befürchten dass er normale eher übersieht. Leider ist es aber äußerst gefährlich, daraus Fakten zu behaupten wie die Mutationsrate nahe Atomkraftwerken ist höher. Das passt völlig in ein Ein-Bit-Denker-Weltbild (“Kernkraft=böse”), und so werden bevorzugt die deformierten Käfer gesehen und als Bestätigung einer Ansicht herangezogen. Und da ist es egal ob Kunst dran steht oder Wissenschaft – das geht alles in den gleichen Pott. Das sieht man auch im ursprünglichen Tweet dazu der neben dem Link die Bemerkung “Atomkraft ist völlig unbedenklich und sicher”. Und direkt im nächsten die Ausrede – ach ist doch nur Kunst. Ok, wenn es nur “Kunst” ist, dann nehmt es nicht um eure Meinung zu wichtigen Fragen damit zu formen. Diese Fragen kann nur Wissenschaft beantworten. Sagen wir mal, man wollte das erforschen. Dann müsste man erstmal Käfer finden die wenig wandern, also tatsächlich dort aufgewachsen sind. Dann müsste man ein Kriterium für Mutation festlegen. Dann müsste man mehrere “heiße” Standorte auswählen und dann ebenso viele unbedenkliche Standorte als Vergleich, die aber ein vergleichbares Ökosystem aufweisen. Schwierig genug. Wenn man das hat, müsste man dort nach strengen Kriterien Käfer sammeln – am besten alle die man finden kann. Idealerweise wüssten die, die sammeln nicht wo sie sind (was illusorisch ist, so ein Kühlturm fällt halt aus). Aber wenigstens die Auswerter dürfen nicht wissen, welche Sammlung woher stammt! Diese müssten dann statistisch bestimmen, ob die Käfer nahe Atomkraftwerken mehr Mutationen aufweisen. Ich kenne keine Studie, die eine solche Beobachtung gemacht hätte. Und ehrlich, wenn zehnmal mehr Käfer mutiert wären, säße ich nächstes Mal sicher auch auf den Schienen vor Gorleben! Dies ist eine sehr wichtige Diskussion, und es lässt sich einfach nicht auf eine Dichotomie herunterbrechen. Man kann nicht sicher/unsicher festlegen, und ich habe eine sehr gespaltene Meinung dazu. Aber eines kann ich sicher festlegen: Dass ein voreingenommenes Käfersammeln KEIN Ergebnis bringt und NICHTS beiträgt zu einer Diskussion, die differenziert und auf Fakten basierende geführt werden müsste.
– Ach und noch eins: Gesammelt bei Kraftwerken und Plätzen chemischer Kontamination?? Ja wenn man das zusammenwirft, muss einen eigentlich nichts mehr wundern. Dass chemisch kontaminierte Plätze Auswirkungen auf das Biosystem haben kann, ist wenig überraschend. Auch hier müsste man methodisch aber genauso sorgfältig vorgehen, aber vor allem Kraftwerke und die bösen bösen unsichtbaren Todesstrahlen von chemischer Kontamination trennen! Die Grammatik, die man für diese Diskussionen braucht, heißt “Statistik”.
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