Physiker sind schon abenteuerlustig. Um ein Bose-Einstein-Kondensat zu erzeugen, braucht es ein Labor mit vorsichtig ausgerichteten Mengen an Kühlung und Laser, und Maßnahmen um die Einflüsse von außen so weit wie irgend möglich zu reduzieren. Warum also packen Physiker den ganzen komplexen Aufbau in eine Kapsel und lassen ihn in einem Fallturm 146 m tief fallen?
Ein Bose-Einstein-Kondensat ist ein extremer Materiezustand einer Gruppe bosonischer Atome. Bei Temperaturen äußerst nah am absoluten Nullpunkt fallen alle Atome in ihren energetischen Grundzustand und verlieren ihre individuellen Eigenschaften. Das Kollektiv assimiliert sie, sozusagen, und ein Haufen von einigen 1000 oder 10000 Atomen kondensiert zu einem gemeinsamen ‘Superatom’, das durch eine gemeinsame Wellenfunktion getragen wird. Ein Bose-Einstein-Kondensat ist ein äußerst attraktiver, da feinfühliger, Sensor für magnetische und Gravitationsfelder und für Physik bei sehr niedrigen Energien. Das Kondensat als Materiewelle könnte in interferometrischen Experimenten eingesetzt werden, um z.B. die allgemeine Relativitätstheorie und somit die Gravitationskraft äußerst genau zu untersuchen.
Je länger man ein Kondensat am Leben erhalten kann, desto genauer können die Messungen werden. Und zwar nicht nur linear, die Genauigkeit wächst quadratisch! Leider ist es im Labor äußerst schwer, Lebensdauern von 1 Sekunde oder mehr zu erreichen, da die Gravitation die Entwicklung des Kondensats stört.
Und so sind wir an dem Punkt, wo wir verstehen können, warum Tim van Zoest von der Uni Hannover und viele weitere Kollegen aus Darmstadt, Ulm, Birmingham, Berlin, München und Paris zusammengetan haben mit dem ZARM in Bremen um dort den 146 m hohen Fallturm zu verwenden. Der Aufbau zur Erzeugung des BEK wurde in eine Kapsel gepackt – und das Experiment konnte im freien Fall, also in Mikrogravitation stattfinden und somit viel länger ungestört ablaufen.
Gekapselte Kondensate
Den Aufbau so zusammenzupacken, dass er in eine Kapsel für den Fallturm passt, wird vor allem durch Atomchips ermöglicht. Die sind uns schon einmal zu Ostern begegnet, als Methode um gequetschte BEK zu erzeugen. Ein Atomchip ermöglicht mit den Strukturen auf einem Chip, Atome zu fangen, Laserkühlung anzuwenden und die Atome mit elektromagnetischen Wellen zu manipulieren.
Die Kapsel befindet sich 4,7 s im freien Fall und wird dann in einem 8 m tiefen Becken aus Plastikbällen abgebremst zu werden. Und das sieht so aus:
In der ersten Sekunde des Falls werden die Atome die kondensieren sollen, noch festgehalten bis die Schwingungen der Kapsel abgeklungen sind. Eine weitere Sekunde später ist die Kondensation bereits vollzogen, und die Lebenszeit des BEK ist mit 3 Sekunden etwas höher als die verbleibende Falldauer. Zeit genug also, und das haben die Autoren demonstriert, um die Entwicklung eines BEK zu untersuchen.
Die ersten Experimente haben bereits beobachten lassen, dass die Expansion des BEK in die unterschiedlichen Richtungen noch nicht wie theoretisch erwartet abläuft. Kleinste magnetische Felder stören noch, aber Maßnahmen zur Behebung dieser Probleme sind bereits in Arbeit. Es steht zu erwarten, dass wir noch eine Menge von Hilfe von Bose-Einstein-Kondensaten im freien Fall lernen werden.
T. van Zoest, N. Gaaloul, Y. Singh, H. Ahlers, W. Herr, S. T. Seidel, W. Ertmer, E. Rasel, M. Eckart, E. Kajari, S. Arnold, G. Nandi, W. P. Schleich, R. Walser, A. Vogel, K. Sengstock, K. Bongs, W. Lewoczko-Adamczyk, M. Schiemangk, T. Schuldt, A. Peters, T. Könemann, H. Müntinga, C. Lämmerzahl, H. Dittus, T. Steinmetz, T. W. Hänsch, & J. Reichel (2010). Bose-Einstein Condensation in Microgravity Science, 328, 1540-1543
Quellen und weitere Informationen
Bose-Einstein Kondensate | Center for Applied Space Technology and Microgravity (ZARM) | Atomchips
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