Da neuerdings die unbelegten Behauptungen tieffliegen, dass eine geschlechtsneutrale Sprache keinen Einfluss auf Diskriminierung habe, habe ich mich mal auf die Suche nach Studien gemacht die den Einfluss untersuchen. Der erste Fund, über den ich berichten möchte, ich ein Reviewartikel von William Todd-Mancillas aus dem Jahr 1981.
Das Abstract fasst schon gut zusammen was die Befunde sein werden:
This article reviews empirically based studies demonstrating gender-biased perceptions resulting from use of “man”-linked words (e.g., “mankind”) and third-person-singular masculine pronouns. Contrary to commonsense beliefs, neither of these linguistic conventions has been found to he associated with equal likelihood perceptions of female and male referents.
Studien haben gezeigt, dass “Männerworte” einen Einfluss auf die Wahrnehmung haben. Und, was wichtiger ist, es konnte nicht festgestellt werden, dass die üblichen Sprachkonventionen als einvernehmlich mit Chancengleichheit gesehen wurden. Das oft zu hörende “Aber das weiß ja jeder, dass auch Frauen gemeint sind.” scheint also nicht zu stimmen, auch wenn es glaubwürdig erscheint.
Jetzt ist es in dem Fall nicht mehr egal, dass die Studie auf englisch ist. Die “Männerwörter” beziehen sich vor allem auf Berufsbezeichnungen, die auf “man” enden, auf Worte wie “mankind” und auf Personalpronomen wie “he/she”. Da deutsch aber eine noch deutlich stärker diskriminierende Sprache hat, würde ich jetzt erstmal nicht erwarten, dass der Effekt kleiner ist.
1973 stellten Bem&Bem eine Studie vor (PDF), in der sie den Einfluss der Sprache auf die Wahrnehmung von Jobangeboten untersuchten. 60 Schüler und 60 Schülerinnen bekamen je 12 Stellenangebote vorgelegt, die auf drei verschiedene Arten formuliert waren: Die einen hoben bei “Männerberufen” die “männlichen” Aspekte hervor, die zweiten waren neutral abgefasst, die dritten waren genau andersrum formuliert. Im ersten Fall wollten nur 5% der Frauen und 30% der Männer sich auf einen “anderen” Beruf bewerben. Die Prozentzahl verschob sich über 25%/45% bei neutraler Sprache zu 45%/65% bei umgekehrter Sprache.
Ein deutliches Signal, dass die Sprachwahl einen großen Einfluss auf das Berufsbild hat!
Diese Ergebnisse wurden von Shepelak, Ogden und Tobin und in einer ähnlichen Studie nochmals von Bem&Bem bestätigt. Diese Studien lassen ferner den Schluss zu, dass “Männerworte” eben nicht so empfunden werden, als ob sie gleichermaßen Frauen und Männer ansprächen.
Schneider und Hacker ließen 1973 für “Sex-role imagery and use of the generic man.” 306 Soziologie-Studenten Photographien aus Magazinen einschicken, die für ein Buch als Illustrationen für Kapitel wie “Culture”, “Population”, “Race and Minority Groups” oder “Social Theory” dienen sollten. Eine andere Gruppe erhielt Titel wie “Social Man”, “Industrial Man” oder “Urban Man”. 64% der letzten Gruppe schickten Photos mit Männern ein, während nur 50% der ersten Gruppe dies taten. Das ist jetzt auf deutsch etwas schlecht zu übersetzen, da “Man” in der zweiten Gruppe hier eben (angeblich) statt “Mensch” stehen sollte. Auf deutsch gibt es diesen Unterschied nicht (dafür genug andere).
Eine ähnliche Studie führte Linda Harrison durch, die Schüler Bilder malen ließ zu Begriffen, die wie im obigen Sinn “man” enthielten, oder stattdessen “human” oder “person”; oder aber explizit “men and women” oder “they”. Im Fall eins malten männliche wie weibliche Schüler deutlich mehr Männerfiguren.
Pincus und Pincus ließen 104 SchülerInnen und LehrerInnen Statements vorlesen die männliche Konstruktionen beinhalteten (“Our forefathers believed in religious freedom.”). In der Diskussion ergab sich, dass diese unabhängig vom Alter als sich auf Männer beziehend empfunden wurden.
Susan Shimanoff untersuchte 1975 die Männlichkeit/Weiblichkeit die mit Wörter wie “chairman” oder aber “chairperson” verbunden wurde. Wie in den anderen Studien wurde auch hier dem “chairman” mehr Männlichkeit zugesprochen.
Gary Gottfredson ließ 1976 von 94 Frauen eine Berufsberatung durchlaufen, wobei die Berufsbezeichnungen entweder “männlich” waren (chairman) oder neutral (chairperson). Es konnte keine Bevorzugung für eine der beiden Arten festgestellt werden.
Dies war aber tatsächlich die einzige der vorgestellten Studien, die keinen Einfluss der Sprache auf die Wahrnehmung feststellen konnte.
Eine weitere Reihe von Studien untersuchte die Wahrnehmung von Pronomen, also “he or she”. Soto, Forslund und Cole gaben 144 Personen Texte, die auf sechs verschiedene Arten mit Personalpronomen versehen waren: mit “he”, mit “she”, mit “he/she”, mit “she/he” oder mit zwei neuen Wörtern, die “he/she” darstellen sollten (“tey”) oder (“se”). Es konnte kein signifikanter Unterschied in der Wahrnehmung festgestellt werden.
Wendy Martyna testete etwas Ähnliches beim Schreiben. Frauen und Männer neigten zu geschlechtsspezifischen Pronomen in Sätzen, die mehr Verbindung zu Frauen und Männern hatten. Frauen neigten stärker dazu, in neutralen Sätzen “she” zu verwenden (oder “he or she”).
Moulton, Robinson und Elias ließen ihre KandidatInnen kurze Erzählungen zu Personen schreiben, über die in vorgelegten Sätzen etwas ausgesagt wurde. Entweder war in diesem Satz ein (his) oder ein neutrales Pronomen. Im Falle des (his) hätte dieses aber auch als neutrales Pronomen verstanden werden sollen, also wie in “A starting student will feel lonely in (his) starting courses.”. Trotzdem schrieben die meisten hier über männliche Studenten.
Todd-Mancillas selbst stellte 1980 mit Meyer fest, dass eine Schreibweise wie “s/he” oder sogar “tey” keinen signifikanten Einfluss auf das Leseverstehen oder sogar auf das ästhetische Empfinden hat.
Cathryn Adamsky stellte 1980 fest, dass Kinder den Gebrauch von Pronomen von ihren Lehrer übernehmen. Die Getesteten übernahmen wesentlich häufiger “she” in ihre Aufsätze, wenn auch die Lehrerin dies verwandte.
Diese Studien zeigen alle, dass “he” bzw “er” nicht als neutral verstanden wird.
Schwächen der Studien sollen nicht verschwiegen werden: Vier Studien hatten weniger als 100 Teilnehmer, in allen Studien waren SchülerInnen oder StudentInnen unter den Getesteten, und an zwei Studien nahmen nur Kandidatinnen teil.
Im Folgenden schlägt Todd-Mancillas Gegenmaßnahmen vor, die aber hier nicht das Thema sein sollen.
Halten wir nochmal fest: Sprache schafft Wahrheiten.
Als nächstes wäre es jetzt interessant, vergleichbare deutsche Studien zu untersuchen und neuere englische. Vielleicht findet sich auch etwas, das den Erfolg implementierter geschlechtsneutraler Sprache untersucht.
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